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Überwachung

Trotz neuer Kritik: EU drängt weiter auf die Verabschiedung der anlasslosen Chatkontrolle

Am Mittwoch sollte der EU-Rat einmal mehr über die anlasslose Chatkontrolle abstimmen – weil sich erneut zu viele Länder gegen die Verordnung stellten, wurde der Punkt aber von der Tagesordnung gestrichen. Die EU lässt jedoch nicht locker: schon kommende Woche gibt es einen neuen Anlauf.

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Seit zwei Jahren versucht die EU die anlasslose Chatkontrolle zu erlassen – doch viele Mitgliedsstaaten positionieren sich gegen die Überwachungsmöglichkeit.

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In der Europäischen Union ist die Einführung einer anlasslosen Chatkontrolle weiterhin ein Thema. Auch nachdem die belgische Ratspräsidentschaft im Juni turnusgemäß durch Ungarn abgelöst wurde, verfolgt der EU-Rat die Einführung dieser Überwachungsmöglichkeit. Die Chatkontrolle soll im Zuge der Child Sexual Abuse Regulation (zu Deutsch: Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern) laut der EU zur Überprüfung sämtlicher Nutzerinhalte eingeführt werden.

Doch diese Vorgehensweise trifft nicht nur bei Experten – beispielsweise der Gesellschaft für Informatik –, die vor einer flächendeckenden Überwachung warnen, sondern auch bei den Ländern selbst auf Kritik. Entscheiden soll der EU-Rat, genauer der Rat für Justiz, für den von deutscher Seite Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesinnenministerin Nancy Faeser zuständig sind. Beide haben dem Vorhaben tatsächlich schon eine Absage erteilt.

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Für den vergangenen Mittwoch setzte der ungarische Ratsvorsitz das Thema erneut auf die Tagesordnung, nachdem eine Abstimmung im Juni noch unter belgischer Führung wegen zu viel Gegenwind abgesagt werden musste (Apollo News berichtete). Doch auch dieses Mal stellten sich zu viele Minister gegen das Vorhaben.

EU-Staaten verhindern Abstimmung

Am Dienstag teilte das niederländische Ministerium für Justiz und Sicherheit mit, dass Bedenken bezüglich der möglichen Grundrechtseinschränkungen von der EU nicht „ausreichend berücksichtigt“ worden seien. Deshalb habe sich die niederländische Regierung gegen die Zustimmung für den Vorstoß entschieden – und ermöglichte damit eine Sperrminorität im EU-Rat gegen die geplante Verordnung. Auch andere Länder stellen sich gegen eine Abstimmung.

Wenn es keine Aussichten auf eine Einigung gibt, nimmt die Ratspräsidentschaft den betreffenden Punkt oftmals von der Tagesordnung – so auch in diesem Fall. Vom Tisch ist das Thema jedoch noch lange nicht: Trotz des erneuten Rückschlags teilte ein Sprecher des EU-Rats Netzpolitik am Mittwoch mit, Ungarn wolle „weiterhin aktiv Gespräche mit allen Mitgliedstaaten“ führen.

Schon in der kommenden Woche wird die Chatkontrolle wieder Thema im EU-Rat sein. Im Rahmen des Justiz- und Innenministertreffens der EU-Staaten am 9. und 10. Oktober soll der Vorstoß eingebracht werden. „Der Verordnungsvorschlag könnte von daher nächste Woche wieder auf die Tagesordnung kommen“, teilte der EU-Sprecher weiter mit. Ob auf dem Ministertreffen ein Umdenken bei den Kritikern bewirkt werden kann, ist aber fraglich.

Auch Deutschland blockiert das Vorhaben

Bundesinnenministerin Faeser und Bundesjustizminister Buschmann haben sich von Anfang an gegen die Chatkontrolle gestellt. Der FDP-Politiker wiederholte seine Ablehnung am Dienstag auf X: „Eine Chatkontrolle hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen. Den neuen Vorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft zur Chatkontrolle lehne ich ab“, teilte der Minister mit, denn: „Massenhaftes und anlassloses Scannen privater Kommunikation ist ein massiver und ungerechtfertigter Eingriff in die Privatsphäre.“

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Warum Buschmann und Faeser die EU-Verordnung blockieren, ist jedoch unklar. Zumindest Faeser gilt auf nationaler Ebene als Vertreterin einer strengen Überwachungspolitik. Das zeigten zuletzt die vom Innenministerium ausgearbeiteten Maßnahmenvorschläge infolge des Attentats in Solingen. Zur Terrorismusbekämpfung brachte Faeser einmal anlasslose Kontrollen von Sozialen Medien ins Spiel (Apollo News berichtete). Auch den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Überwachung und Identifizierung von Gefährdern brachte die Innenministerin in diesem Kontext ein (Apollo News berichtete).

Gegen die bereits im Sommer 2022 von der EU-Kommission, genauer von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, vorgeschlagene Chatkontrolle positioniert sich Faeser dennoch. Obwohl der Inhalt dem ähnelt, was die SPD-Politikerin für Deutschland fordert.

Im Rahmen der Chatkontrolle fordert die EU die anlasslose Überwachung sämtlicher Nachrichten. Kommunikationsdienstleister und soziale Plattformen sollten verpflichtet werden, Nachrichten, aber auch Bild-, Video- und Audiodateien nach Kindesmissbrauch zu durchsuchen. Sofern der Verdacht einer Straftat besteht, sollen entsprechende Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Die Überwachung soll dabei mittels KI-Programmen erfolgen.

Auf Biegen und Brechen: Ungarn verändert Vorschlag nur leicht

Die ungarische Ratspräsidentschaft überarbeitete den belgischen Vorstoß nach der Ablehnung im Juni leicht. Das entsprechende Dokument wurde von Politico geleakt, eine aktuelle Fassung veröffentlichte die Nachrichtenseite Contexte. Nach wie vor sollen Messenger-Dienste zur Chatkontrolle verpflichtet werden. Dabei soll die KI jedoch nur nach bekanntem, illegalem Material suchen. Wie das in der Praxis konkret aussehen soll, bleibt in dem Dokument weitgehend offen. Auch sollen grundsätzlich nach wie vor alle Nutzer einer anlasslosen Kontrolle unterzogen werden. Der juristische Dienst des Rats hat hier bereits erhebliche Zweifel angemeldet.

Im Juni hatte die belgische Ratspräsidentschaft wegen des massiven Gegenwinds eine Art Kompromiss vorgeschlagen: Die Kommunikationsdienstleister sollen freiwillig anlasslose Chatkontrollen durchführen, dafür würde die EU das bindende Gesetz nicht verabschieden. Weil die Abstimmung seitdem sowieso zweimal scheiterte, ändert sich für die Nutzer von Messengerdiensten und sozialen Netzwerken erstmal nichts. Wobei anzumerken bleibt, dass einige Anbieter wie Facebook und Google bereits freiwillig Daten an die EU weitergeben.

Kritiker sehen in der anlasslosen Chatkontrolle einen Verstoß gegen die Privatsphäre, weil die EU somit sämtliche Nachrichteninhalte von rund 450 Millionen Bürgern sammeln und auswerten könnte – obwohl das vorgegebene Ziel ein ganz anderes sein soll. Die EU-Kommission plante dafür ein „EU-Zentrum“ ein, das als zentrale Behörde für die Datensammlung und -verarbeitung zuständig sein soll.

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