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Milliardendefizit

Krankenkassen in Not: Patienten sollen künftig Hunderte Euro selbst übernehmen, fordern Experten

Rekordkrankenstände und leere Kassen bei den Versicherungen: Weil es schlecht um die Krankenkassen steht, fordern Experten jetzt einen Eigenanteil. Bis zu 1.000 Euro sollen Patienten selbst übernehmen. Das gesetzliche Versicherungssystem kommt an seine Grenzen.

Die Krankschreibungen sind in Deutschland auf einem Rekordstand.

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Die gesetzlichen Krankenkassen stehen vor einem Fiasko: Längst sind die Versicherungen defizitär geworden, der demografische Wandel trägt ebenfalls zu steigenden Kosten bei, der Krankenstand ist auf einem Rekordhoch. In der aktuellen Lage bleibt den Kassen nur ein Ausweg: eine Beitragserhöhung nach der anderen. Nach 2024 und 2025 ist eine Anhebung der Zusatzbeiträge auch für das kommende Jahr realistisch (Apollo News berichtete).

Experten und Verbände suchen jetzt nach Lösungen, um einerseits dem hohen Krankenstand und andererseits den steigenden Beiträgen zu begegnen. Der Ökonom Bernd Raffelhüschen hat eine Lösung für beide Probleme – die derzeit jedoch kontrovers diskutiert wird. Der Wirtschaftswissenschaftler fordert eine Eigenbeteiligung an der gesetzlichen Krankenversicherung, „damit die Krankenkassen entlastet werden“, so Raffelhüschen gegenüber Bild.

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Damit könnten beispielsweise die ersten 500 Euro bis 1.000 Euro im Jahr von den Patienten selbst übernommen werden, schlägt der Ökonom vor – allerdings nicht zum ersten Mal. Bereits 2023 hatte Raffelhüschen einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet: Die ersten 800 Euro sollten die Versicherten selbst übernehmen, alle weiteren ärztlichen Ausgaben bis 2.000 Euro sollten dann zu 50 Prozent von der Versicherung gezahlt werden, ehe die Kasse gänzlich übernehmen würde.

Damals warnte der Ökonom vor einem massiven Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge – derzeit liegen diese stabil bei 14,6 Prozent. Jedoch steigen die Zusatzbeiträge an, zum Jahreswechsel wurden sie auf durchschnittlich 2,5 Prozent angehoben, zuvor lag das Durchschnittsniveau bei 1,7 Prozent. Diese Erhöhungen sind aber notwendig, weil die Finanzrücklagen der Krankenkassen dahinschmelzen.

Im vergangenen Jahr hat sich ein Defizit von 5,5 Milliarden Euro aufgebaut. Nach dem ersten Halbjahr 2024 hatte das Bundesgesundheitsministerium noch mitgeteilt, das Defizit betrage 2,2 Milliarden Euro. Aber auch damals war die Dramatik der Lage bekannt: Die Finanzreserven der Krankenkassen betrugen rund 6,2 Milliarden Euro, was 0,23 Monatsausgaben entspricht. Die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve liegt mit 0,2 Monatsausgaben nur knapp darunter.

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Vor einigen Jahren sah das noch anders aus. Unter Jens Spahn wurde jedoch ein Gesetz umgesetzt, das den Abbau der Rücklagen vorsah. „Wir mussten über mehrere Jahre Minus machen, damit die Rücklagen geringer werden“, erklärte kürzlich der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas (Apollo News berichtete). So einschneidend der Vorschlag des Wirtschaftsexperten Raffelhüschen also wirken mag: Unbegründet ist diese Forderung nicht.

Der Ökonom möchte damit aber noch einen anderen Effekt bewirken: „Klar ist, dass wir eine andere Akzeptanz für Gesundheit haben müssen: dass man für Krankheit auch selbst einstehen muss.“ Deshalb fordert er, wie auch einige andere Ökonomen und Ärzte, die Wiedereinführung der Karenztage. Die ersten drei Krankheitstage sollten demnach unbezahlt bleiben. Anders als in anderen europäischen Ländern wird der Lohn in Deutschland im Krankheitsfall weitergezahlt. Für Raffelhüschen sind Karenztage daher „ein guter Weg, um selbst zu entscheiden, ob man arbeitsfähig ist oder nicht.“

Damit soll der hohe Krankenstand bekämpft werden – ob der aber tatsächlich auf häufigere Krankmeldungen zurückzuführen ist, ist bislang unklar. Ärztepräsident Klaus Reinhardt erklärt, Auslöser für die Rekordfehlzeiten seien in seinen Augen die elektronischen Krankschreibungen (eAU). Damit haben die Krankenkassen einen nahezu vollständigen Überblick über alle Krankschreibungen, während analoge Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oftmals nur beim Arbeitnehmer, nicht aber bei der Krankenkasse eingereicht worden waren. Die eAU wurde im Oktober 2021 eingeführt, von da an schossen die Krankschreibungen in die Höhe.

Eine Studie der DAK kommt laut der Deutschen Presse-Agentur aber auch zu dem Schluss, dass ein Drittel der zusätzlichen Fehltage seit 2022 auf „verstärkte Erkältungswellen und Corona-Infektionen“ zurückzuführen ist. Demnach dürfte es einen realen Anstieg an Erkrankungen in den letzten Jahren gegeben haben. Auch für die Techniker-Krankenkasse ist der tatsächliche Krankenstand ein Faktor. „Hauptdiagnose für die Fehltage sind nach wie vor Erkältungskrankheiten wie zum Beispiel Grippe, Bronchitis und auch Coronainfektionen“, sagte Techniker-Chef Baas. Ärztepräsident Reinhardt geht jedoch davon aus, dass es sich dabei oftmals um Bagatellerkrankungen handele, der Effekt sozusagen „künstlich gemacht“ sei.

Ähnlich wie Raffelhüschen macht also auch der Ärztepräsident das Problem beim Arbeitnehmer aus. In der Statistik schlägt sich die Zunahme der Krankschreibungen bemerkenswert nieder: In den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres waren bei der Techniker-Krankenkasse, der größten gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland, versicherte Erwerbstätige im Durchschnitt 17,7 Tage krankgeschrieben.

Im Vorjahreszeitraum waren es noch 17,4 Tage und 2019 sogar 14,1 Tage. Je nach Krankenkasse fällt diese Zahl mal höher und mal tiefer aus. Aber auch laut dem Statistischen Bundesamt waren die gesetzlich Versicherten 2023 im Durchschnitt 15,1 Arbeitstage krankgeschrieben, was immerhin drei vollen Arbeitswochen entspricht. Zwischen 2015 und 2019 lag dieser Wert bei zehn bis elf Tagen – was aber eben auch an den analogen Krankschreibungen liegen könnte.

Ein anderer Grund könnte die Vorsicht sein, die den Menschen während der Maßnahmen gegen Covid-19 auferlegt worden war. „Besonders in Pandemiezeiten war die Frage, wie man andere Menschen vor Ansteckung schützen kann, sehr präsent. Dieses Bewusstsein haben offenbar viele Menschen beibehalten“, so Techniker-Chef Baas. Das zeigt auch eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse: 77 Prozent der Befragten würden demnach ihre sozialen Kontakte bei ersten Symptomen einer Erkältung reduzieren.

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