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Grund zur Freude? Was Assads Ende für Syrien und die Welt bedeutet

Diktator Assad ist weg - viele Syrer feiern, andere fürchten sich. Wieso kollabierte sein Regime so schnell, was passiert jetzt in Syrien und was bedeutet das für die Welt? Eine Analyse.

Syrer feiern in Hama das Ende des Assad-Regimes - wird ihre Zukunft eine gute?

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Mehr als 13 Jahre Bürgerkrieg – und plötzlich ist alles vorbei. Wie ein Kartenhaus kollabiert das Assad-Regime in Syrien, quasi über Nacht. Innerhalb weniger Tage zerbricht eine Ordnung, die viele schon als stabilisiert betrachtet hatten.

Im Westen waren sich viele sicher, dass Assad den Bürgerkrieg für sich entschieden hatte – die letzten Tage zeigen, dass das immer ein Trugschluss war. Und die Bilder von feiernden Syrern in den Straßen der Großstädte unterstreichen, dass die Anti-Assad-Stimmung nie wirklich weg war. Nichtmal die Soldaten der syrischen Armee wollten für ihren Oberbefehlshaber kämpfen, sie übergaben ganze Städte kampflos an die Rebellen. Jetzt ist Assad geflohen, seine Familie befindet sich Berichten zufolge bereits in Russland.

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Assad war ein Diktator und ein Schlächter – er führte über ein Jahrzehnt einen brutalen Krieg gegen das eigene Volk, auch mit Massenvernichtungswaffen, beging unzählige Kriegsverbrechen und regierte auch vor dem Bürgerkrieg einen Staat, der von Willkür, Repression und Angst lebte. Aber wird das, was jetzt kommt, wirklich besser?

Warum ging alles so schnell?

Viele hatten den Bürgerkrieg in Syrien fälschlicherweise als beendet betrachtet. Apollo News berichtete im September bereits ausführlich über das „Pulverfass Syrien“ und die verkannte Instabilität im Land. Das laufende Jahr war gewaltvoll wie lange nicht mehr, die Zahl der getöteten Zivilisten stieg ebenfalls seit Jahren wieder an. Die scheinbare Stabilität war eben nur das – scheinbar. Und der plötzliche Vormarsch der Rebellen kam auch nicht aus dem Nichts. Die islamistischen Rebellen haben die letzten Jahre zur Institutionalisierung und Kooperation genutzt, um Bündnisse zu schmieden und sich zu disziplinieren.

Assads Herrschaft basierte derweil seit Jahren schon nicht mehr auf der eigenen Macht, sondern auf der Unterstützung durch Russland sowie den Iran und ihm nahe Gruppen wie die Hisbollah. Russland ist nach hunderttausenden Verlusten und einem langen Krieg in der Ukraine geschwächt und hatte nun nicht die Kapazitäten, sich dem Vormarsch der syrischen Rebellen ernsthaft entgegenzustemmen. Und auch die iranische Achse in der Region, vor allem die Hisbollah, ist in den letzten Monaten von Israel zerrieben worden. Damit brachen die wichtigen Stützen des Assad-Regimes weg – andere hatte er nicht mehr. Dass offenbar die Armee keine nennenswerte Gegenwehr leistete und das ganze Land im Handstreich an die Rebellen fiel, unterstreicht, dass Assad schon lange ein König ohne Königreich war.

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Droht ein islamistisches Syrien? Dann brennt die Region

Der Kopf des schnellen Vorstoßes der Rebellen, Abu Mohammed al-Jolani, ist Chef der islamistischen HTS-Miliz – und jetzt der starke Mann in Syrien. Die HTS ist ein Bündnis verschiedener, islamistischer Milizen um die ehemalige Al-Nusra-Front. Das Akronym steht für „Hayat Tahrir al-Sham“, was auf Arabisch „Komitee zur Befreiung der Levante“ bedeutet. Er kämpfte früher unter anderem für al-Qaida im Irak. Aktuell gibt sich geläutert, führt Interviews mit westlichen Medien und verspricht, Syrien zu einem toleranten und freien Ort für alle Völker und Religionen zu machen, ob Sunniten, Schiiten, Christen, Alawiten, Drusen, Kurden oder andere. Klingt gut – allerdings versprachen die Taliban bei ihrer Machtübernahme in Afghanistan dasselbe. Inzwischen haben sie das „Islamische Emirat Afghanistan“ in eine islamistische Steinzeit zurückbefördert. Auch, wenn die Truppen der Islamisten sich aktuell gemäßigt verhalten und ihre Anführer viele Versprechungen machen – all das ist mit Vorsicht zu genießen.

Wenn so ein Afghanistan-Szenario auch in Syrien passiert, brennt die Levante: Israel wird einen islamistischen Terrorstaat an seiner Grenze nicht hinnehmen wollen und ist jetzt schon in die syrische Grenzregion einmarschiert, um eine Pufferzone am Fuße der Golanhöhen zu etablieren. Und auch die arabischen Nachbarn Syriens, etwa der Irak, dürften mit großer Sorge auf ein islamistisch beherrschtes Damaskus blicken. Es könnte der Startpunkt für eine neue Offensive des Islamismus und des Terrorismus sein – und die Region weiter ins Chaos stürzen.

Russland, Iran, Türkei und das Spiel der Großmächte

Verschiedene regionale und internationale Akteure blicken nun ganz unterschiedlich auf die Situation: Feiern dürfte vorerst die Türkei, die offenbar auch zu großen Teilen hinter der aktuellen Entwicklung steckt. Ein etwas kryptisches Statement des türkischen Präsidenten Erdogan ließe sich zumindest so deuten.

Im Fernsehen erklärte er am Wochenende, dass die türkische Regierung auf einen schnellen Vormarsch der Rebellen hoffe. „Wir hatten Assad angerufen. Wir sagten, lasst uns die Zukunft Syriens gemeinsam bestimmen. Wir haben keine positive Antwort erhalten“, so Erdogan. Dass die Türkei islamistische Milizen in Syrien steuert und unterstützt, ist nichts Neues. Bereits bei mehreren Invasionen, etwa im Kampf gegen kurdische Gruppen im Norden Syriens, kooperierte die türkische Armee ganz offen mit Banden, die von Terroristen oft kaum etwas unterscheidet. Mit der ungewissen Zukunft Syriens bleibt vorerst auch das künftige Verhalten der Türkei offen. Klar scheint nur: Ankara wird in Syrien-Fragen eine noch größere Rolle spielen als bisher.

Doch der Umsturz in Syrien hat auch Bedeutung über die Region hinaus. Dass etwa Russland seit zehn Jahren militärisch in Syrien engagiert ist, ist kein Freundschaftsdienst Putins für Assad – sein Syrien war für Moskau von strategischer Bedeutung. Nicht nur als einer der wenigen wohlgesonnenen Staaten und Partner, sondern vor allem als Basis.

Zum Beispiel die Marinebasis in Tartrus an der Mittelmeerküste hatte eine extrem hohe strategische Bedeutung für die russische Flotte. Ein Stützpunkt, der aus russischer Sicht hinter dem Bosporus liegt, eröffnete viele Möglichkeiten der Machtprojektion im Mittelmeerraum. Ein Stachel im Fleisch der NATO direkt unter der Nase von Türken, Griechen, Briten und Amerikanern, dazu einen Katzensprung vom Suezkanal entfernt. Dass die Russen Syrien evakuiert haben, ist also ein klares Zeichen der Schwäche und hängt mit dem Ukraine-Krieg zusammen. Russland hat dort hunderttausende Verluste zu beklagen und kann sich einen Kampf an zwei Fronten offensichtlich nicht leisten.

Auch für den Iran ist der Assad-Kollaps eine direkte Niederlage. Immerhin war es neben Moskau vor allem Teheran, welches das Regime zuletzt am Leben erhielt. Die Iranischen Revolutionsgarden waren genauso in Syrien aktiv wie die Hisbollah, gerade sie bildete eine wichtige Stütze für Assad. Israel hat die Hisbollah jedoch nachhaltig geschwächt – so sehr, dass diese Stütze jetzt offenbar vollkommen weggebrochen ist. 14 Monate Krieg gegen Israel hat die iranische Achse in der Region fast ausbluten lassen – die Kraft, Assad zu stützen, fehlte.

Herrscht in Syrien jetzt Frieden?

Assad ist jetzt weg, sein Regime auch – aber kehrt damit der Frieden nach Syrien ein? Während viele Menschen feiern, leben andere in Angst. Religiöse Minderheiten wie die syrischen Christen etwa fürchten die Islamisten, auch, wenn diese bisher noch tolerant auftreten. Auch Assad-Anhänger oder Menschen, die für seinen Staat arbeiteten, fürchten jetzt um ihre Sicherheit.

Und auch ganz unabhängig davon steht eine Frage im Raum: Bleibt der Frieden zwischen den verbündeten Milizen überhaupt bestehen? Die jetzige HTS-Gruppierung etwa ist eine Allianz verschiedener Gruppen, die durch einen gemeinsamen Gegner zusammengeschweißt wurde. Sie verband vor allem das Ziel, Assad zu stürzen. Der ist jetzt weg – und mit ihm vielleicht das einende Band der Rebellion.

Drohen nun Machtkämpfe, Zersplitterungen und gar eine zweite Runde des Bürgerkrieges? In Libyen erlebte die Welt, dass das Ende eines Diktators nicht notwendigerweise ein Ende von Bürgerkrieg und Instabilität bedeutet. Grund zur Freude haben aktuell sicher viele Syrer – ob diese Freude anhalten wird, ist offen. Die jüngere Geschichte der Region lehrt jedoch, dass man sich nicht zu früh freuen sollte.

Die Frage der syrischen Flüchtlinge in Deutschland und ihrer Rückkehr in die Heimat ist an dieser Stelle ausgeklammert – Apollo News wird sich diesem Thema in einem separaten Beitrag widmen.

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