Der syrische Bürgerkrieg scheint vorbei: Das ist der Tenor in der westlichen Diskussion. Man hört kaum noch etwas aus dem Land, das die Schlagzeilen einst bestimmte wie kaum ein anderes. Meldungen aus Syrien gibt es freilich noch immer – aber sie verhallen, verschwinden im medialen Trommelfeuer zwischen dem Ukraine-Krieg und dem israelischen Kampf gegen die Hamas in Gaza. Wenn in Deutschland über Syrien gesprochen wird, dann vor allem im Kontext von Migration und Abschiebungen. Lange waren Abschiebungen nach Syrien ein Ding der Unmöglichkeit – jetzt wird es seit Monaten von der Politik diskutiert.
Assad hat den Krieg überlebt – tatsächlich und politisch. Der Diktator, der zwölf Jahre lang den wohl brutalsten Krieg des 21. Jahrhunderts führte, scheint wieder legitimiert. Saudi-Arabien eröffnete etwa seine Botschaft in Damaskus im Mai wieder, nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate schon im Januar einen neuen Botschafter entsendet hatten. Die VAE hatten ihre Beziehungen schon 2018 normalisiert, als damaliges erstes Mitgliedsland der Arabischen Liga.
Die Nachbarländer Syriens begannen insbesondere innerhalb der letzten anderthalb Jahre, ihre Beziehungen zu normalisieren – immerhin hatten jahrelange Isolation und Sanktionen keine Änderung des Verhaltens des Assad-Regimes bewirkt. Gleichzeitig sahen immer mehr Nachbarn in der Region eine Normalisierung der Verhältnisse mit Syrien als ihr eigenes Interesse, etwa wegen der Sorge über die Auswirkungen der syrischen Wirtschaftskrise auf die regionale Stabilität. Das Land wurde 2023 auch wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Der jordanische Außenminister Ayman Al-Safadi begründete die arabische Annäherung an das Assad-Regime mit dem Fehlen einer „wirksamen Strategie zur Lösung des Syrien-Konflikts“.
Der syrische Präsident hat in den letzten anderthalb Jahren auch wieder regelmäßig an regionalen Foren teilgenommen, etwa im November 2023 an einem Dringlichkeitsgipfel zum Gazastreifen, wo er, der sein eigenes Volk über zehn Jahre abschlachtete, die israelische Gewalt gegen die Palästinenser verurteilen konnte. Das zeigt: Der Assad-Staat ist etabliert wie seit 2014 nicht mehr – und zurück auf der internationalen Bühne.
Dabei ist Syrien noch immer gespalten: Auch, wenn die Zentralregierung in Damaskus rund zwei Drittel des Staatsgebietes mehr oder weniger unter ihrer Kontrolle hat. Im Norden und Nordwesten des Landes kontrollieren türkische Truppen einen Grenzstreifen zur Türkei. Im äußersten Nordwesten, im Gebiet um die Stadt Afrin, hält die islamistische „Nationale Erlösungsarmee“ unter Duldung der Türkei ein vergleichsweise kleines Gebiet unter ihrer Kontrolle. Die Gruppe besteht aus Nachfolgern der islamistischen Al-Nusra-Front. Im Nordosten herrschen die sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), eine von den syrischen Kurden angeführte Koalition. Die Kurden haben mit ihrem Freistaat Rojava dort de facto eine autonome Region geschaffen. Im Süden, im irakischen und jordanischen Grenzgebiet, kontrollieren die Vereinigten Staaten zusammen mit verbündeten Milizen etwas Land.
Der Krieg ruht – aber er ist nicht vorbei, der Konflikt ist nicht gelöst. Das Feuer des Krieges, das eigentlich erloschen scheint, glüht weiter – und scheint gar dabei zu sein, sich erneut zu entfachen. Das laufende Jahr ist gewaltvoll wie lange nicht mehr, die Zahl der getöteten Zivilisten steigt seit Jahren an. UN-Beobachter werfen beiden Seiten fortwährende Verbrechen vor: Der Assad-Regierung wird Folter von Gefangenen zur Last gelegt. Andererseits halten die SDF nach UN-Angaben schon seit Jahren fast 30.000 Minderjährige in verheerenden Verhältnissen in Gefangenenlagern fest, weil ihre Eltern die Terrormiliz Islamischer Staat unterstützt haben sollen.
Mit russischer Unterstützung führt Assad auch weiter den Luftkrieg gegen die Reste der Opposition: Immer wieder werden auch zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen, sogar Flüchtlingslager bombardiert. Allein in den Nicht-Regime-Gebieten im Nordwesten leben laut UNO rund 4 Millionen Menschen, davon fast 3 Millionen Binnenvertriebene, vor allem in solchen Lagern. Rund 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Das Auswärtige Amt beschreibt die humanitäre Lage in Syrien als „defizitär“: 16,7 Millionen Menschen seien abhängig von humanitärer Hilfe. Das ist ein Großteil der rund 22 Millionen Syrer.
Der neue, alte Terror des Assad-Regimes
Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind in Syrien an der Tagesordnung – ebenso wie die Folter, der viele dieser willkürlich Inhaftierten erleiden müssen. Laut dem Auswärtigen Amt werden weiterhin etwa 100.000 Personen als politische Gefangene festgehalten oder gelten als vermisst.
Widerstandsgruppen haben in diesem Sommer damit begonnen, als Antwort darauf Assad-Offiziere als Geiseln zu nehmen. Mit ihnen presst man Gefangene frei – was immer wieder funktioniert. „Niemals zuvor ist das Regime so kontinuierlich herausgefordert worden – und niemals zuvor hat es sich so beugen müssen“, schreibt der Syrien-Experte Charles Listner in Foreign Policy. Von Mitte Juni bis Mitte Juli sollen bewaffnete Kräfte mindestens 25 syrische Offiziere im Rahmen solcher Vergeltungsmaßnahmen als Geiseln genommen haben. Aber auch mit direkter Gewalt und „Vergeltungsschlägen“ gegen Regimekräfte antwortet man.
Listner berichtet über ein Beispiel: Nachdem eine Frau in der Stadt Inkhil im Süden Syriens durch Regimekräfte festgenommen wurde, attackierten bewaffnete Gruppen am 10. Juli mehrere Checkpoints der Assad-Truppen sowie ein örtliches Hauptquartier des Geheimdienstes. Die Regimekräfte feuerten zurück, setzten auch Artillerie ein, woraufhin Rebellen einen Konvoi mit Verstärkung in einem Hinterhalt mit Panzerfäusten vernichteten. In der Folge dieser Ereignisse wurde die festgenommene Frau freigelassen.
Zu solchen Eskalationen kommt es immer wieder – und immer öfter. Sie zeigen, dass es in Syrien keinen wirklichen Frieden gibt und Assad auch nicht der klare Gewinner eines vorübergegangenen Bürgerkrieges ist. Tatsächlich ist die Kontrolle, die die Zentralregierung in Damaskus ausübt, oft mehr Schein als Sein. Syrien ist ein Land ohne Frieden, aber mit einer fragilen Schein-Stabilität, die eher einem eingefrorenen Status Quo gleichkommt.
Insbesondere eine Eskalation zwischen Israel und der Terrorgruppe Hisbollah dürfte Syrien treffen – eine israelische Invasion des Libanons etwa, wo die Hisbollah Stellungen unterhält und viel Einfluss ausübt, dürfte über kurz oder lang auch Syrien betreffen, denn auch dort ist die Hisbollah präsent. Die Hisbollah ist ein Proxy des iranischen Mullah-Regimes – auch Assads Syrien ist seit langem ein Partner Teherans. Zusammen mit Russland war der Iran am engagiertesten, wenn es darum ging, Assad an der Macht zu halten.
Findet der Islamische Staat zu alter Stärke zurück?
Der Islamische Staat galt als besiegt – der Westen und seine Verbündeten im Anti-Terror-Kampf feierten 2019 zumindest den Sieg, als man Ende März 2019 das letzte vom IS kontrollierte Stück Land befreite. Aber der IS ist nie wirklich zerstört: Tatsächlich ist der IS schon deshalb nicht besiegt, weil seine globalen Ableger, etwa in verschiedenen Ländern Afrikas, weiter existieren und handlungsfähig sind.
Aber auch der IS in Syrien ist nicht vernichtet – im Gegenteil. Die Gruppe kontrolliert inzwischen wieder Teile Syriens, auch wenn es sich dabei um weitgehend unbewohnte, versprengte Flecken in der Wüste handelt.
In der jüngsten Vergangenheit hat der IS seine Taktik geändert – statt auf Eroberungen setzt man auf Raubzüge durch das Land. Immer wieder werden Dörfer überfallen, über die der IS so zumindest auch eine indirekte Form von Kontrolle ausübt. Im Juli erklärte das Zentralkommando der US-Streitkräfte CENTCOM in einer Pressemitteilung, dass der IS in diesem Jahr auf Kurs sei, die Anzahl seiner Angriffe im Vergleich zum Vorjahr zu verdoppeln. „Die Zunahme an Attacken deutet darauf hin, dass ISIS versucht, sich nach mehreren Jahren verringerter Fähigkeiten neu zu formieren.“
Ein Artikel des Wall Street Journal berichtete im August darüber: Das Blatt zitiert Quellen aus den USA und den SDF, die die Einschätzung des US-Kommandos bestätigen. „Dieses Jahr war das schlimmste Jahr, seit wir den Islamischen Staat besiegt haben“, sagte etwa General Rohilat Afrin, Co-Kommandeur der SDF, der Zeitung. „Egal, wie sehr man sie niederschlägt, sie werden versuchen, wieder aufzustehen.“ Im März dieses Jahres stieg die Zahl der IS-Angriffe auf ein Jahreshoch von 100 im Monat, der Großteil davon im von Assad kontrollierten Territorium.
Auch in Europa wird der IS zunehmend aktiver – und gefährlicher. Nicht nur zeichnete sich die Terrorgruppe für den Anschlag in Solingen verantwortlich; auch der Angriff auf die Crocus-Konzerthalle bei Moskau, bei dem im Frühjahr hunderte Menschen starben, geht wohl auf das Konto eines zentralasiatischen Ablegers der Terrorgruppe. Auch in Afghanistan spielte der Ableger ISIS K in den letzten Jahren eine aktive Rolle.
Die Anzeichen eines Wiederaufstiegs verdichten sich auch in Syrien – was die instabile Lage zusätzlich anheizen könnte. Das Land hat keinen Frieden, aber noch keinen Krieg – Syriens Waffenstillstand, der kaum noch einer ist, könnte bald endgültig zerbrechen und das geschundene Land in die zweite Phase eines blutigen Krieges stürzen.
Neue Fluchtbewegungen? Ein Desaster, sind doch die Nachbarländerselbst Kriegs-und Konfliktzonen oder, wie die Türkei, mit Millionen syrischen Flöchtlingen längst am gesellschaftlichen Siedepunkt. Inzwischen kommen, wie Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen, wieder über hunderttausend Syrer nach Deutschland – wenn sich die Lage im Land wieder verschärft, werden es perspektivisch wohl noch viele mehr werden.
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Wer nicht über den Zugriff auf Ölfelder durch USA berichtet, hat eine rosarote Brille auf.
Hat der Autor das Landbereit und mit den Menschen vor Ort geredet, oder woher bezieht er all sein Wissen über den Diktator, der sein eigenes Volk abschlachtet? Bezieht er sich außerdem auf das gleiche Auswärtige Amt, welches gerade in einem gigantischen Asylbetrug verstrickt ist? Fragen über Fragen.
Was ist Ihre Botschaft,Max Roland?
Soll Deutschland noch mehr und unbegrenzt Syrer aufnehmen?
Gab’s da in der Nachbarschaft nicht schon einmal so einen miesen Diktator? Was ist eigentlich aus dem Land geworden, nachdem der Wertewesten dort tonnenweise Demokratie abgeworfen hat?
Und warum sollte das unser Problem sein? Sind wir das Welt-Therapie-Zentrum? Oder das Auffangbecken aller, die gerne Sparsam und Leistungslos „Leben“ möchten? Ne, sind wir nicht. Also, Probleme in Syrien sind die Probleme in Syrien. Ich kann es nicht mehr hören!
„Assad hat den Krieg überlebt – tatsächlich und politisch. Der Diktator, der zwölf Jahre lang den wohl brutalsten Krieg des 21. Jahrhunderts führte…“
Da habe ich aufgehört zu lesen, da kann ich auch ÖRR schauen oder Bild und Spiegel konsumieren.
Das Problem alleinig auf Assad beschränken zu wollen, greift zu kurz. Da ist immer noch die Türkei, welche Gebietsansprüche geltend macht, das sind auch die ausländischen Interessen, welche gezielt Gruppen unterstützen, welche das Assad Regime stürzen sollen und vor allen Dingen sind da immer noch die Terroristen unterstützt durch unterschiedliche Interessen, welche ebenfalls nicht das Land zur Ruhe kommen lassen. Gerade die Auswüchse der zuletzt aufgeführten Gruppe verspüren wir mittlerweile auch in Deutschland. Da ist Assad, der auf all das reagieren muss und welcher seinen Machtanspruch mit Mitteln verteidigt, welchen jegliche demokratischer Grundlage fehlt.
In diesem Gemenge kann es keinen Frieden geben. Da würde es auch keinen Frieden geben, wenn Assad weg wäre, denn es würde einen neuen Diktator geben, welcher möglicherweise noch schlimmer wäre. Um Frieden in dieser Region braucht es eine weltweite Allianz, welche den Frieden auch will und die Terroristen nicht unterstützt.