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Nach Europawahl

Wie die Grünen trotz Wahl-Desaster jetzt in Brüssel nach der Macht greifen

Trotz katastrophalem Wahlergebnis wollen die Grünen ein Rechtsbündnis unter allen Umständen verhindern – und in Europa künftig selbst mit Ursula von der Leyen koalieren. Ihr schwindendes Vertrauen aus den eigenen Reihen hingegen macht das Bollwerk gegen Rechts immer wahrscheinlicher.

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Jahrelanges Drangsalieren der europäischen und insbesondere der deutschen Wirtschaft, stetiges Beschneiden bürgerlicher Freiheiten und der Kampf um die Informationshoheit – die Agenda seitens der Mächte rund um Ex-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihren Green Deal haben den Grünen im Europaparlament nun die Quittung gegeben: Von zuletzt 71 Sitzen sind der grünen Fraktion in Straßburg nur noch 53 geblieben. 

Zu den Hintergründen der Wahlklatsche hat man sich bei den Grünen noch nicht geäußert. In einem Bericht der Tagesschau heißt es lediglich, man sei „abgestraft“ worden, für das, was in Berlin geschehe. Da „das Grüne“ nicht mehr positiv besetzt sei, müsse man besser in die „Mitte der Gesellschaft hinein kommunizieren, besser zuhören.“

Grüne wollen „Verantwortung übernehmen“

Unterschätzt wird jedoch der Drang nach Macht bei den Grünen: Ihr Anspruch ist es, in der künftigen Regierung zu sein. „Wir wollen mitregieren“, hieß es nach der Wahlniederlage aus der Grünen-Fraktion. Vor dem Hintergrund, dass mehr „rechtsextreme, rechtsautoritäre und rechtspopulistische Parteien bei dieser Wahl Unterstützung gewonnen haben“, wollen die Grünen für „pro-europäische und demokratische Mehrheiten“ kämpfen, so die Fraktionsvorsitzende Theresa Reintke kürzlich in einer Pressekonferenz. „Wir sind für ein Europa, das Wohlstand erhält, Kurs beim Klimaschutz hält und natürlich Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa schafft und sichert.“ Auch der Green Deal soll weiter im Mittelpunkt stehen, der weder für Frieden noch für Wohlstand steht. 

Für den Machterhalt wollen die Grünen Ursula von der Leyen unterstützen, man sei bereit, ihr zu einer „demokratischen Mehrheit zu verhelfen“ und „Verantwortung zu übernehmen“, so Reintke – und das bei einem Wahlergebnis von 8,8 Prozent. Außerdem braucht von der Leyen die Grünen nicht für eine Mehrheitsbildung im Parlament, es reichen die Sozialdemokraten und die Liberalen. Vor der Wahl war es zwischen der Europäischen Volkspartei (EVP) und den Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) zu Annäherungen gekommen, allerdings scheinen diese aktuell wieder vom Tisch zu sein: Katharina Barley, Spitzenkandidatin der SPD im Europawahlkampf, sprach sich klar gegen eine Zusammenarbeit mit Europas Rechten aus: „Wir werden nicht mit Rechtspopulisten ins Boot steigen.“ Die Brandmauer wird wieder hochgezogen. 

Von der Leyen bei Gesprächen unerwünscht

Ein Bollwerk könnte es werden, sollten sich neben EVP und Sozialdemokraten sowohl die Liberalen als auch die Grünen zusammenschließen und einen Block aus vier Fraktionen bauen. Damit wäre Ursula von der Leyen auf der sicheren Seite, denn in ihren eigenen Reihen schwindet das Vertrauen: Innerhalb der EVP gibt es Abgeordnete, die die Ex-Kommissionschefin nicht unterstützen wollen. Außerdem dürfte die Annäherung an Giorgia Meloni für Unmut bei Sozialdemokraten und Grünen gesorgt haben. 

Zudem soll am kommenden Montag ein informelles Abendessen mit allen 27 EU-Staats- und Regierungschefs stattfinden. Man wolle Lehren aus den jüngsten Europawahlen ziehen. Es soll auch die zukünftige Ausrichtung der Union in der Wirtschaft und Klimapolitik diskutiert werden. Doch es wird vor allem um eins gehen: Wer wird neue Kommissionspräsidentin? Nach Insider-Informationen, die der WELT vorliegen, soll Ursula von der Leyen bei den Gesprächen um das Top-Amt in Brüssel nicht erwünscht sein. Sie soll schlichtweg den Raum verlassen – obwohl sie als noch amtierende Kommissionspräsidentin an der Teilnahme berechtigt ist.

Jedoch befürchten einige Abgeordnete, man könne nicht frei sprechen in ihrem Beisein: „Eine große Mehrheit der Staats- und Regierungschefs bevorzugt, dass sie nicht anwesend ist, um eine offene Diskussion zu ermöglichen“, sagt ein Insider gegenüber der WELT. Eine zweite Gruppe von Ländern habe keine klare Präferenz, während eine „sehr kleine“ Zahl wolle, dass sie während des gesamten Treffens bleibt.

Die Grünen haben bei der jüngsten Europawahl gerade einmal 8,8 Prozent geholt und damit gegenüber der Wahl von 2019 einen Verlust von 3 Prozentpunkten verbucht. Dennoch drängen sie nach Machterhalt, denn mit Ursula von der Leyen sind alle Projekte weiter durchführbar, insbesondere der Green Deal. Auch die Liberalen werden nach Emmanuel Macrons Deklassierung – in Frankreich ist er nur drittstärkste Kraft geworden – die letzten Möglichkeiten ausschöpfen, weiterhin Brüssels Agenda zu bestimmen. Sollten sich die Verdachte bestätigen, dass von der Leyen mit Vertrauensverlusten zu kämpfen hat, dann könnte das riesige Bollwerk gegen Rechts Wirklichkeit werden. Die Politik des letzten Jahrzehnts würde sich einfach fortsetzen.  

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