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Sozialpädagogik und „Nazi“-Geschrei nach den Wahlen: Die Etablierten wollen nichts verstehen

Demut? Respekt vor dem Wähler? Fehlanzeige! Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen beschimpfen die etablierten Politiker den Wähler. Es ist die pure Borniertheit - nicht die Politik war schlecht, sondern die Menschen haben falsch gewählt. Wäre es da nicht besser, die Politik löste das Volk auf und wählte ein neues?

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„Wir haben verstanden“. Diesen Satz sagte der ehemalige CSU-Chef Horst Seehofer 2018. Gerade hatte sich die neue, alte GroKo gebildet: Union und SPD waren bei den Wahlen im Vorjahr abgestraft worden, dann regierten sie doch – die Koalition der Wahlverlierer, die Regierung, die keiner wollte, kam doch nochmal zusammen. Aber zumindest sagte Seehofer diesen Satz – da wirkte dieser körperlich große Mann für einen Moment etwas kleiner. Als hätte er den Kopf geneigt vor dem Wähler.

Horst Seehofer ist inzwischen raus aus der Politik – und mit ihm, so scheint es, der letzte Rest Demut. Liest und hört man am Sonntagabend die Reaktionen von Politikern, ist von Demut zumindest keine Spur mehr zu finden. Die Menschen in Sachsen und Thüringen haben ein klares Votum abgegeben – gegen die etablierte Politik, gegen das politische Berlin und die Hauptstadtblase, gegen die Parteizentralen. Hohe Wahlbeteiligung, Verschiebungen in der Parteienlandschaft: Es war eine lebendige Wahl, die Demokratie lebt im Osten auf. Und die Wähler zeigen ein klares Stoppschild in Richtung Berlin: So kann und darf es nicht weitergehen.

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Nur hohle Phrasen – keine Spur von Selbstkritik

Doch diejenigen, die mit diesem Stoppschild gemeint sind, machen genauso weiter – und stecken den Kopf in den Sand. Selbstkritik, Demut, Anerkennung des Wählervotums? Fehlanzeige! Thüringens SPD-Chef Georg Maier gibt die Schuld für die Sozen-Klatsche am Abend den „Populisten“, eigene Fehler vermag er nicht zu sehen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert meint, man habe Politik nicht genug erklärt – mal wieder zu doof, der Ossi.

In der ARD spricht mal derweil davon, Mario Voigt und die CDU hätten ja die „meisten demokratischen Stimmen“ erhalten. Soll heißen: Ein Drittel der Wähler in Thüringen ist raus, ihre Stimme ist „nicht demokratisch“ und damit illegitim, im Grunde illegal, zählt nicht. So hat man Stimmen in dieser Republik auch noch nicht sortiert – das geht gegen den Kern der Demokratie. Aber die Demokratieverächter sind immer die anderen. Die Zeit fragt derweil aus dem Hamburger Redaktionsstübchen heraus: „Wo bleibt die Wählerkritik?“, als würde nicht schon aus allen Rohren auf die blöden Ossis geschimpft werden.

ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten nennt das Wahlergebnis „schwer erträglich“ und trägt mit viel Pathos über den Jahrestag des Zweiten Weltkrieges vor – die Wahl sei eine „Mahnung an die Nachgeborenen“. Die etablierten Medien sind hier keinen Deut besser als die doofe Politik und regelrecht empört, dass ihre Belehrungen mal wieder nicht verfangen haben und der doofe Wähler einfach wählt, wie er will.

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CDU-Politiker Jens Spahn – vielleicht inspiriert von Frau Schausten – ergeht sich am Abend beim Welt-Talk in hohlen Nazi-Vergleichen. Er lese Höckes Buch, weil man „auch in der Geschichte öfter mal vorher hätte lesen sollen, was Leute wollen.“ Und „die ganze Gründung der Union ist eine Reaktion auf die Barbarei der Nazis“ – und deswegen werde es mit der AfD keine Zusammenarbeit geben.

Ansonsten ist Spahn am Abend eines historischen Erfolgs der AfD der Meinung, dass diese ihren „Zenit erreicht“ habe. „Sie sind eine Scheinriesin“, wirft Spahn Parteichefin Weidel entgegen. Ansonsten erklärt er den Wählern, dass sie – mal wieder – falsch gewählt hätten. „Liebe Deutsche, wenn ihr andere Politik wollt, müsst ihr uns als CDU/CSU stark machen“.

Während Spahn „Nazi“ schreit und den Wähler belehrt, mimt SPD-Chef Lars Klingbeil den Sozialpädagogen: Er wolle jetzt „zuhören“ und Politik „auf Augenhöhe erklären“, sagt er am Sonntagabend in der ARD. Gesprochen wie eine herzallerliebste Grundschullehrerin – und im Grunde die gleiche Wählerverachtung wie bei Spahn, zwar freundlicher verpackt, aber genauso herablassend.

Unsere Politik war gut, nur der Wähler hat falsch gewählt!

Das sind natürlich die gleichen hohlen Floskeln, wie man sie nach jeder Wahlniederlage hört. Was man nicht hört: Ein „mea culpa“ oder zumindest ein „wir haben verstanden“. Horst Seehofer hatte noch den Anstand, diesen Satz nach den Wahlniederlagen von Union und SPD 2017 zumindest vorzuschieben. Den aktuellen Spitzenpolitikern fehlt selbst dieser letzte Funken an Gefühl. Stattdessen ist der Wähler schuld, der falsch gewählt hat – dieses undankbare Stimmvieh, das die großen Taten und hehren Ideen von Schwarz-Rot-Gelb-Grün nicht richtig zu schätzen weiß und zu blöd ist.

Die etablierte Politik versteht nicht, sie scheint auch gar nicht willens dazu. Stattdessen stecken die Politiker den Kopf in den Sand, verstecken sich hinter hohlen Phrasen und beschimpfen den Wähler. Wer meint, seine Politik nach einer Wahlklatsche noch „auf Augenhöhe erklären“ zu müssen, sagt dem Wähler deutlich: Ich halte euch für Kinder, die zu dumm sind und von alleine nichts begreifen. Und Spahns hohle „Nazi“-Rhetorik ist die gleiche stumpfe Keule, mit der man seit 11 Jahren auf die AfD draufhaut. Wie „gut“ das für die Etablierten funktioniert hat, zeigen die Wahlen in Sachsen und Thüringen erneut.

Das politische Berlin zeigt keinen Respekt vor dem Wähler und keine Demut vor Wahlen – es zeigt nur, wie abgehoben, eingegraben und borniert es ist. Bertolt Brecht drängt sich geradezu auf: Wäre es da nicht besser, die Politik löste das Volk auf und wählte ein neues?

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