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Schunke-Ermittlungen: Grünen-Politiker liefert die ultimative Rechtsstaats-Offenbarung

Um halb zwei Uhr morgens schoß der Grünen-Landtagsabgeordnete Michael Joukov gegen die Journalistin Anabel Schunke, schwingt sich zum Rechtsexperten auf und insinuiert "psychische Probleme". Dabei offenbart er sein bemerkenswertes Verständnis des Grundgesetzes.

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Michael Joukov ist Grünen-Politiker und Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg. Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Was er nicht hat: einen Abschluss in Rechtswissenschaften, einen Abschluss in Psychologie, ein Mindestmaß an Schamgefühl oder Selbsteinsicht. Böse Zungen würden das als ideale Voraussetzung für das Amt eines Grünenabgeordneten bezeichnen, aber mit bösen Zungen möchte ich mich natürlich nicht gemein machen.

Um halb zwei Uhr morgens hat Michael Joukov sich berufen gefühlt, auf X (ehemals Twitter) einen Tweet verfassen zu müssen, eine ganze Reihe von Tweets sogar. Nicht zur Lage der Nation oder zumindest seines Bundeslandes, nicht zu seiner Politik – sondern zu Anabel Schunke.

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Was es war, das Joukov dazu verleitete, sich zu so später Stunde noch so intensiv mit dieser Frau zu befassen, ist nicht ganz klar. Vielleicht fühlte er sich von dem Geist Hegels durchströmt und musste ganz einfach die Welt an seinem Universalgenie teilhaben lassen – Sie wissen schon, Rechtswissenschaftler, Psychotherapeut, Frauenversteher.

Die Journalistin Anabel Schunke geht derweil gegen eine nicht rechtskräftige Entscheidung vor, nach der sie wegen Volksverhetzung (Paragraf 130 Strafgesetzbuch) zu einer Geldstrafe von 5.400 Euro verurteilt wurde. Auf X kritisierte sie diese Entscheidung: „Dass der Tweet unter dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit steht, wurde offenbar gar nicht erkannt, jedenfalls steht davon nichts in der Entscheidung.“

https://twitter.com/mjoukov/status/1822051804269445504

Michael Joukov hat diese Äußerung gelesen und war empört. So empört, dass er über 12 Tweets hinweg eine rechtliche Einordnung der Beziehung von Paragraf 130 StGB und der Meinungsfreiheit (Artikel 5 Grundgesetz) nach seiner persönlichen Auslegung schrieb – inklusive einer Ferndiagnose ihres psychischen Innenlebens.

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„Null Ahnung vom Rechtswesen“ unterstellt er Schunke, die sich in dem Tweet, auf den sie sich bezieht, mehrfach auf die rechtliche Einordnung ihrer Anwälte beruft. Ihre persönliche Meinung zu dem Verfahren und dem Umgang mit ihr sind für ihn „Ergüsse“ – dass sie sich auf ihre Meinungsfreiheit zu berufen versucht, bezeichnet er als „Schwachsinn“ und „verräterisch“.

Wie er zu diesem Schluss kommt? Das hat ihm ein Blick in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz verraten. Da steht, so zitiert er: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze […]“. Ob die Meinungsfreiheit betroffen ist, ergibt sich dabei für ihn so: „Ergo muss in der Entscheidung eines Gerichts nichts von ‘Meinungsfreiheit‘ stehen, es prüft, ob ein konkretes Gesetz verletzt wurde. Wenn nicht, ist Meinungsfreiheit automatisch gegeben.“

Weiter formuliert er: „Wer das nicht kapiert – nun ja, tun einige nicht. Wer aber diese Grundlagen nicht kapiert und dennoch tagein, tagaus belehrt, wie die Justiz zu funktionieren hat, hat sich ein falsches Hobby ausgesucht.“ Im Verlauf seiner Tweetreihe benutzt er Begriffe wie „Schwachsinn“ und „Unsinn“ immer wieder und endet damit, Anabel Schunke indirekt „psychische Probleme“ zu unterstellen.

Für jemanden, der selbst juristischer Laie ist, hängt sich Michael Joukov hier ganz schön weit aus dem Fenster. Ich an seiner Stelle hätte angenommen, dass die Formulierungen Schunkes, die in dem Tweet den X-Account des renommierten Medienrechtsanwalts Ralf Höcker (dessen Mandantin sie ist) verlinkt hat, von einem Anwalt gegengelesen wurden. Das ist bei öffentlichen Statements zu laufenden Verfahren wie dem vorliegenden jedenfalls ratsam und gängige Praxis.

Das soll Herrn Joukov natürlich nicht davon abhalten, sich seinen Traum zu erfüllen und morgens um 1:26 Uhr Verfassungsrichter zu spielen. Nur hätte er sich mit seinen herablassenden und überheblichen Bemerkungen und Beleidigungen über die Ausführungen Schunkes vielleicht etwas zurückhalten sollen.

https://twitter.com/ainyrockstar/status/1821829398833631479

Das Zitat von Schunke „Mein Anwalt sagte mir nach der Verhandlung, dass man 90 Tagessätze für gewöhnlich dafür kriegt, wenn man jemandem den Kiefer bricht. Aber so ist das eben mit den Prioritäten hier in diesem Land“ kommentierte Joukov mit dem Satz „vielleicht selber im Netz recherchieren?“ und fügte einen Lokalpresse-Artikel zu einem Einzelfall an, in dem ein Angeklagter wegen eines Kieferbruchs eine einjährige Haftstrafe bekommen hat.

Was für ein intelligenter Konter, da hat er es ihr und ihrem Anwalt aber richtig gegeben. Weil sich pauschale Äußerungen zu einer Regel ja auch mit einem Einzelfall widerlegen lassen. Ich eigne mir dieses amateurhafte Argumentationsmuster nur sehr ungern an. Aber das ist die Sprache, die er offenbar nur versteht.

In Hinblick auf eine ganze Reihe von Fällen, in denen Angeklagte wegen übler Nachrede und Beleidigung zu ähnlich hohen Strafen wie Frau Schunke verurteilt wurden, weil sie andere als psychisch krank bezeichnet haben, würde ich an der Stelle von Herrn Joukov überlegen, ob ich die Bemerkungen zu ihren „psychischen Problemen“ so stehen lassen wollen würde.

Nebenbei bemerkt behauptet Joukov auch in Tweet 7, dass Anabel Schunke von dem Medium Nius bezahlt werden würde. Das ist falsch, Schunke gab bereits vor Monaten bekannt, dass sie nicht mehr für Nius arbeitet.

Die ganze Analyse – oder um es in seiner eigenen Sprache zu sagen, „Ergüsse“ – beruhen bereits auf einem grundlegenden Fehler. Anabel Schunke spricht von einem strafrechtlichen Verfahren, in dem sie, wie sie findet, zu Unrecht für etwas strafrechtlich belangt wurde, das sie gar nicht getan hat. Sie argumentiert, dass ihre Äußerung keine Volksverhetzung, sondern freie Meinungsäußerung war.

Joukov selbst will das widerlegen, indem er anführt, dass es Grenzen der Meinungsfreiheit gäbe. Problem: Beide Argumentationen schließen sich nicht aus. Anabel Schunke ist nicht vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil sie die Ansicht vertritt, dass der Paragraf der Volksverhetzung sie in ihrer Meinungsfreiheit verletzt. Sie geht in Berufung, weil sie findet, dass ihre Äußerung gar nicht in den Tatbestand der Volksverhetzung fällt.

Um Schunkes Behauptungen zu widerlegen, müsste man nun argumentieren, dass ihre Äußerung sehr wohl den Tatbestand des Paragrafen 130 StGB erfüllt. Doch der Paragraf ist ja sooo lang und der Artikel 5 viel kürzer, da ist es schon klar, dass man lieber mit der Wand spricht.

https://twitter.com/Ralf_Hoecker/status/1822252005680648588

Da Joukov also gar nicht inhaltlich auf die Behauptungen von Anabel Schunke eingegangen ist, ist es unklar, was daran denn nun „verräterisch“ sein soll. Wenn überhaupt, verrät er sich selbst. Denn so wie Joukov die Rechtsordnung verstanden haben will, definieren sich die Grundrechte durch ihre Schranken. So funktioniert das aber nicht. Das Grundgesetz heißt so, weil es den grundsätzlichen Rahmen der Rechtsordnung bildet. Alle anderen Gesetze sind darauf aufgebaut und müssen verfassungsgemäß sein. Der Paragraf zur Volksverhetzung kommt nach der Meinungsfreiheit. Das heißt, er ist so auszulegen, dass er die Meinungsfreiheit nicht verletzt – nicht umgekehrt. Das Strafgesetz steht nicht über dem Grundgesetz.

Zu behaupten, es sei „Schwachsinn“, in der Auslegung des Paragrafen 130 StGB die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen und dass es gänzlich isoliert von den Grundrechten des Angeklagten zu betrachten sei, ist nicht nur falsch – es zeugt auch verräterisch von einer wenig liberalen Rechtsauffassung.

Joukov scheint der Ansicht zu sein, dass die Meinungsfreiheit da aufhört, wo das Strafrecht anfängt, und die Meinungsfreiheit damit im Rahmen der Volksverhetzung keine Rolle mehr spielt. Doch Grundrechte – darunter auch Artikel 5 – schützen die Bürger vor ihrem Staat. Es gibt wohl kaum ein rechtliches Gebiet, in dem der Bürger in einer verletzlicheren Position und damit mehr auf einen solchen Schutz angewiesen wäre, als im Strafrecht.

https://twitter.com/ulfposh/status/1822244977335742599

Obwohl der Tweet Freitagnacht geschrieben wurde, muss man annehmen, dass er diesen Tweet so meinte, wie er ihn geschrieben hat. Denn am Samstag verteidigt er ihn weiter eifrig. 

Was jedoch an diesen Äußerungen im Gedächtnis bleiben sollte, ist Joukovs Vorstellung von unserem Rechtsstaat. Denn nach seiner Fantasie scheint dieser dem Staat Schlupflöcher zu bieten, in denen er frei von den lästigen Zwängen des Grundgesetzes gegen seine Bürger agieren kann. 

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