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RKI wusste, dass mehr Testungen „einen künstlichen Anstieg erzeugen“ können – Gesundheitsministerium hielt dicht

Obwohl das RKI bereits im April 2020 wusste, dass eine Zunahme der Testungen „einen künstlichen Anstieg erzeugen“ kann, wurde das vom Bundesgesundheitsministerium verschwiegen. Der Krisenstab solle sich an politische Weisungen halten, diese aber kennzeichnen, hieß es stattdessen.

Die Krisenstabsprotokolle des Robert-Koch-Instituts fördern nach und nach immer mehr Details über die eigentliche fachliche Diskussion des Gremiums, aber politisierte Kommunikation des Bundesgesundheitsministeriums ans Licht.

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Mitte März 2020 nahm die Ausbreitung von Covid-19 in Deutschland offiziell so richtig Fahrt auf: Anfang März wurden täglich hunderte neue Fälle registriert, Ende März waren es bereits zehntausende pro Tag. Das Onlinemagazin Multipolar hatte damals herausgefunden: Die steigenden Infektionszahlen korrelierten mit einer immer größeren Anzahl durchgeführter Tests, wie ein Vergleich der Kalenderwochen elf und zwölf aus 2020 zeigte.

Laut Robert-Koch-Institut wurden in der Woche vom 9. bis 15. März 130.000 Tests durchgeführt, wovon sich etwa 8.000 als positiv entpuppten. In der Woche darauf gab es dreimal so viele Infektionen – das Testkontingent wurde aber auch auf 350.000 erhöht. Das heißt: Der Anteil der positiven Tests stieg nur leicht von sechs auf sieben Prozent. In der öffentlichen Kommunikation des Bundesgesundheitsministeriums spielte das aber keine Rolle.

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Dabei warf auch der Krisenstab des RKI einige Wochen später die Frage auf, „ob aktuell die Fallzahl aufgrund vermehrter Testung“ steigen würde. So zumindest steht es im Ergebnisprotokoll vom 6. April 2020, das aus den bereits Ende Mai offiziell vom RKI herausgegebenen Dokumenten, die die Protokolle bis April 2021 beinhalten, hervorgeht.

Ein Auszug aus den offiziellen Krisenstabsprotokollen des Robert-Koch-Instituts vom 6. April 2020.

Zu diesem Zeitpunkt galten deutschlandweit etwa 95.000 Personen als mit Covid-19 infiziert, täglich kamen tausende Fälle hinzu. Was Multipolar bereits zwei Wochen zuvor aufgedeckt hatte, schien jetzt auch das RKI intern zu beschäftigen: „Eine Zunahme der Testungen kann einen künstlichen Anstieg erzeugen, ohne dass sich der epidemiologische Verlauf ändert“, heißt es in besagtem Protokoll vom 6. April.

Zwar merkten die Krisenstabsmitglieder an, dass für eine solche Einschätzung auf fachlicher Ebene verlässliche Daten fehlen – immerhin war der Lockdown erst zwei Wochen zuvor in Kraft getreten, sodass der „Effekt auf die Fallzahlen noch nicht abschließend beurteilt werden kann“. Andererseits haben Testungen „tatsächlich zugenommen, während der Positivanteil von 13 auf 8,5 Prozent zurückgegangen ist“, steht in dem Protokoll vermerkt.

Mit anderen Worten: Die Krisenstabsmitglieder stellten auf fachlicher Ebene einige Fragen zur wissenschaftlichen Einschätzung der Lage – das Bundesgesundheitsministerium ließ jedoch ausschließlich die absoluten Zahlen der Ergebnisse ohne die dazugehörige Kontextualisierung der Testanzahl veröffentlichen.

Passend dazu heißt es in dem Protokoll unter dem Punkt „Umsetzung BMG Anweisungen“: „Wichtig ist, dass das RKI die Anordnungen des BMG regelmäßig als solche ausweist, um sichtbar zu machen, wenn es sich um politische Entscheidungen und nicht um wissenschaftlich begründete Entscheidungen handelt.“ Brisant aus diesem Vermerk ist nicht der – an sich lobenswerte – Umstand, dass das Bundesgesundheitsministerium diesbezüglich Transparenz forderte, sondern dass es damit bereits zu Beginn der Pandemie bewusste politische Weisungen gab.

Ein Auszug aus den offiziellen Krisenstabsprotokollen des Robert-Koch-Instituts vom 6. April 2020.

Das beste Beispiel dafür ist der bereits bekannte Satz „es soll hochskaliert werden“, der in dem Protokoll vom 16. März 2020 festgehalten wurde. Zwar war der entscheidende Akteur in dieser Situation noch der Vizepräsident des RKI, Lars Schaade. Wann immer das RKI in der Folge aber eine Herabstufung des von Covid-19 ausgehenden Risikos fachlich für richtig hielt, musste dieser Schritt politisch abgesegnet werden.

So beispielsweise am 10. Juni, als das RKI „nach BMG nun herunterstufen“ durfte. Unter Karl Lauterbach, der im Dezember 2021 zum Bundesgesundheitsminister ernannt wurde, änderten sich die Bedingungen nicht. Am 9. Februar wurde eine Abstufung sogar abgelehnt. Ein deeskalierendes Signal sei „politisch nicht gewünscht“. Derlei Beispiele finden sich massenhaft in dem kürzlich durchgestochenen Datensatz der Krisenstabsprotokolle, der die Dokumente bis 2023 umfasst. Die Echtheit ist derzeit noch nicht bestätigt, RKI und Bundesgesundheitsministerium haben die Authentizität bislang aber auch nicht infrage gestellt.

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