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Pieter Omtzigt

Platz 1 in Umfragen: Wie eine neue bürgerliche Kraft das Parteiensystem der Niederlande sprengen könnte

Der beliebteste Politiker der Niederlande hat eine neue Partei gegründet. Umfragen sehen ihn schon als stärkste Kraft, im November sind Wahlen. Seine Ausrichtung ist betont nicht populistisch und klassisch bürgerlich, inhaltlich aber hart. Eine Leuchtrakete für die europäische Rechte?

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„Position Omtzigt, functie elders“ – „Position Omtzigts, andere Funktion“. Es sind vier unscheinbare Wörter, fast wie eine Randbemerkung, die jetzt das Parteiensystem der Niederlande in die Luft sprengen könnten. Es handelt sich hierbei um einen Auszug aus den Papieren zu den niederländischen Koalitionsverhandlungen nach den letzten Wahlen im März 2021. Mit diesen vier kryptischen Wörtern war gemeint, dass der populäre Politiker Pieter Omtzigt in eine irrelevante Position („andere Funktion“) weggelobt werden sollte – in die politische Bedeutungslosigkeit. Man wollte ihn kaltstellen. Die internen Papiere kamen durch einen Fauxpas einer Verhandlerin an die Öffentlichkeit. Eine politische Krise folgte. Ministerpräsident Rutte wurde vom Parlament fast das Vertrauen entzogen, während Omtzigts Popularität immer weiter stieg. Jetzt hat Omtzigt seine eigene Partei gegründet – Umfragen sehen ihn auf Platz 1. Und im November sind schon Wahlen.

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Wer ist Pieter Omtzigt?

Pieter Omtzigt ist ein einfacher Parlamentsabgeordneter, der nie ein höheres Amt inne hatte. Lange Zeit war er bei den Christdemokraten. So richtig berühmt wurde er erst Anfang 2021 durch die Aufdeckung der sogenannten Toeslagenaffaire (zu Deutsch Kindergeldaffäre), bei der die Regierung – an der Omtzigts Christdemokraten beteiligt waren – Familien, die Kindergeld bezogen, durch unrechtmäßige Rückzahlungsforderungen in den finanziellen Ruin trieb. Omtzigts ging mit der Arbeit des Ministerpräsidenten Rutte hart ins Gericht und implizierte im Parlament sogar, die Niederlande sei zu einer Art Bananenrepublik verkommen. Die Recherche Omtzigts schlug durch – Rutte musste zurücktreten und blieb bis zur gewonnenen Wahl nur noch geschäftsführend im Amt. Omtzigt war als Abgeordneter Ruttes gefährlichster Kritiker und schien sich in seiner Aufgabe als Überwacher der Regierung auch wohlzufühlen.

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Sein ehrlicher Idealismus machte Omtzigt beim Volk beliebt und in seiner Partei zur Hassfigur: In Parteichats wurde Omtzigt von seinen Parteifreunden u.a. als Psychopath und kranker Mann bezeichnet. Bereits 2020 wurde er um den eigentlich bereits versprochenen Parteivorsitz der Christdemokraten gebracht. Schließlich folgte im Juni 2021 die Trennung. Omtzigt saß von nun als unabhängiger Abgeordneter im Parlament.

Um aber seinen Posten auch nach der nächsten Wahl behalten zu können, musste er aufgrund des äußerst parteigebundenen niederländischen Wahlsystems entweder einer Partei beitreten oder eine eigene gründen. Die Frage nach seiner Zukunft wurde zunehmend dringender, da mit dem Bruch der letzten Rutte-Regierung Anfang Juli Neuwahlen im November anstehen. Seit Monaten wurde über eine „Liste Omtzigt“ spekuliert (ähnlich wie in Deutschland über eine „Liste Wagenknecht“), welche in theoretischen Sonntagsfragen meist deutlich den ersten Platz belegte. Und so machte Omtzigt es jetzt am Sonntag offiziell: Er gründete den „Neuen Sozial Vertrag“, seine eigene Partei.

Wofür steht Omtzigt?

Omtzigt steht keineswegs lediglich mit seinen Antikorruptionsrecherchen gegen den Mainstream. Die EU in ihrer aktuellen Ausprägung sah er seit jeher eher kritisch und auch die aus seiner Sicht allzu lasche Migrationspolitik der Regierung nennt er in seinem Basisprogramm „schlichtweg unüberlegt“. In diesem Eckpunktepapier positioniert er sich auch klar als fiskalkonservativ und wirtschaftsliberal. Neben dem Senken von Steuern fordert er einen weniger ausgabenfreudigen Staat.

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Und genau deshalb ist es besonders auffällig: Sowohl in seinem Eckpunktepapier als auch in seinen aktuellen öffentlichen Auftritten spricht er vollkommen unaufgeregt und nüchtern. Selbst den Hype, der sich um seine neue Partei breitmacht, dämpft er: Er wolle gar nicht, dass der „Neue Soziale Vertrag“ bei den kommenden Wahlen die meisten Stimmen bekomme, er solle stattdessen „vernünftig“ wachsen. So etabliert Omtzigt sich als geradezu Anti-Populistische Alternative zur aktuellen Politik der Niederlande. In einem Land, in welchem mit dem „Forum für Demokratie“, der „Partei für die Freiheit“ und der „Bauer-Bürger-Bewegung“ gleich drei erfolgreiche populistische Kräfte wirken, ist so etwas ein vollkommenes Novum. Und genau diese Tatsache wird Omtzigt wohl auch erfolgreich für sich nutzen können – seine Umfragewerte untermauern das.

Auch in Deutschland formiert sich um Sahra Wagenknecht wohl bald eine neue Partei, sie wird allerdings wohl kaum ähnlich bürgerlich geprägt sein, wie Omtzigts Sozialvertragspartei. Dabei sind in Deutschland die Parallelen zur niederländischen Politik groß. Ruttes Regierungszeit ist ähnlich wie bei Angela Merkel zunehmend von Stillstand und Verfall geprägt. Ähnlich wie in Deutschland, schafften es linke Kräfte bis vor kurzem durch Brandmauern Mitte-Rechts Parteien an eine grüne beziehungsweise linke Politik zu binden. Auch der sehnliche Wunsch im liberal-konservativen Milieu nach einer neuen bürgerlichen Partei ist ersichtlich. Anders als in den Niederlanden fehlt aber weit und breit eine passende Galionsfigur, welche den angeblich alternativlosen Alternativanspruch der Populisten anfechten könnte. Das Ganze dürfte auch eine nicht zu unterschätzende symbolische Bedeutung für die Rechte in ganz Europa haben. Bei den Wahlen im November wird es entschieden. Dann wird sich zeigen, ob Omtzigt für mehr qualifiziert ist, als für eine „andere Funktion“.

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