Eine Wagenknecht-Partei könnte kurz bevorstehen - sie trifft auf eine merkwürdige Sehnsucht fast über alle politischen Grenzen hinweg. Es ist die Sehnsucht nach dem Ende des aktuellen Parteiensystems und dessen Typus Politiker.

Ein Kommentar •

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Im politischen Berlin liebt man das Wort „Disruption“, denn es klingt schlau und sagt wenig. Doch jetzt könnte wirklich eine kommen; eine Detonation des politischen Parteiensystems. Man kann sie an allen Ecken und Enden riechen. An dem schier unaufhaltsamen Aufstieg der AfD, völlig ungeachtet der Tatsache, dass sich die Partei keinesfalls mäßigt oder überhaupt wesentlich verändert. An der Beliebigkeit mit der Wähler zwischen den verschiedensten Parteien hin und her wechseln, je nachdem wie ihnen dieser oder jener Kandidat gerade schmeckt. Man kann es riechen an den historisch schlechten Werten der Ampel-Koalition, die im Volk den schlechtesten Stand einer Regierung jemals hat – und daran, dass die CDU davon nicht profitiert. Man kann es riechen an den Ländern, vor allem im Osten, wo nirgendwo mehr ein Wunsch-Bündnis zustande kommt, sondern Parteien sich mit abstrusesten Kombinationen (Kenia, Jamaika, Rot-Rot-Grün mit CDU-Duldung) irgendwie an die Macht klammern, während allen klar ist, dass es so nicht gehen wird. Man riecht es an den Kommunen, wo Grüne und AfD-Stadträte kooperieren, während Friedrich Merz das für die CDU verbieten will.

Migrationskrise, Energiekrise, Wirtschaftskrise: Die Politik ist entkoppelt vom Bürger, soweit so klar. Aber jetzt könnte die Sache eben konkret werden. Denn da ist noch Sahra Wagenknecht.

Die Wagenknecht-Lunte 

„Sahra Wagenknecht ist die einzige…“ ist ein Formulierung, die viele wählen, wenn sie über die Noch-Linken-Politikerin sprechen. Und zwar egal ob sie links, rechts oder sogar FDP-Anhänger sind. Die einzige, die noch Rückgrat hat, die einzige, die ihre Meinung offen sagt, die einzige Politikerin mit Überzeugung – auf Aussagen wie diese kann man Menschen der verschiedensten politischen Richtungen vereinigen. Es gibt wohl um keinen Politiker in Deutschland einen auch nur vergleichbaren Mythos, wie um sie. Eine Wagenknecht-Liste käme nach einer Insa-Umfrage auf bis zu 25 Prozent in Thüringen. Nun sind solche Umfragen mehr als mit Vorsicht zu genießen – das Irre ist nur: Man könnte sich all das vorstellen. Sogar den Umstand, dass sie – als Marxistin – angeblich massiv Wähler von CDU und FDP ziehen würde. 

Wagenknecht ist die letzte echte Marke der deutschen Politik. Spiegel TV warf ihr das einmal vor, sie lächelte. Die Menschen mögen sie deshalb. Weil selbst manch einem liberalen Kapitalisten eine waschechte Marxistin mittlerweile lieber ist, als die konzeptlose Berliner Hauptstadt-Blase, die für gar nichts mehr steht, außer grenzenloser Selbstüberschätzung. 

Es sind schließlich vielleicht sogar mehr die menschlichen Aspekte, die die Menschen weg von den etablierten Parteien treiben, als die politischen. Es ist die Art wie Markus Söder herumekelt um seine innerparteilichen Gegner wie Friedrich Merz abzusägen – der gleich darauf behauptet, dass er nie gesagt hat, was ja jeder gehört hat. Es ist Kai Wegner, der auf dem CSD von Grundgesetzänderungen für Trans-Personen spricht, während er wenige Wochen vorher dafür gewählt wurde, das Shithole Berlin – meine geschätzte Heimat – wieder halbwegs in bürgerliche Bahnen zu lenken. Es ist die Nonchalance mit der Robert Habeck auf den wirtschaftlichen Niedergang des Landes blickt – „dann hören die eben für einige Monate auf zu arbeiten.“ Es sind Formulierungen wie die von Scholz, als er im Bezug auf Demonstranten von den „gefallenen Engeln, die aus der Hölle kommen“ sprach. Dann wendet man sich ab, wie man einem Zeugen Jehovas die Tür vor den Kopf knallt. 

Es ist die Leere, die man in den Gesichtern dieses Politiker-Typus sehen kann, die mehr abschreckt, als ihre misslungene Politik.

Triumph der Personen über die Parteien

Die Wahl von Personen nach ihrer Persönlichkeit, fast unabhängig von ihren politischen Inhalten, könnte das sein, was uns bevorsteht. Was in Deutschland eher verpönt ist, ist in der repräsentativen Demokratie eigentlich angelegt. Eigentlich wählt man ja in erster Linie Repräsentanten, denen man vertraut, damit diese dann Entscheidungen treffen – gerade in Bereichen, zu denen man selbst vielleicht gar keine Meinung hat. Repräsentative Demokratie heißt auch, dass der Souverän durch Persönlichkeiten wirkt.

Im ganzen Westen verdrängen die Persönlichkeiten die Parteien. Angefangen mit Trump, jetzt mit Meloni, zwischendrin mit Le Pen und Macron gleichermaßen. Kurz, Farage, Johnson – immer wieder waren es die Ausnahmepersönlichkeiten, die dem fragilen Parteiensystem den Rest gaben. Nur in Deutschland ist die alte Ordnung der trägen Parteien mit ihren Stammwählern, ihrer rhetorischen und inhaltlichen Blässe noch in Takt. Und in Deutschland ist weit und breit keine Ausnahmepersönlichkeit in Sicht, die das ändern könnte – außer Sahra Wagenknecht. 

Sie sammelt schon. Ihre Unterstützer verlassen die Linkspartei oder gehen auf Abstand. Wie Tichys Einblick berichtet, soll Ulrike Guerot schon als Kandidatin zur Europawahl gehandelt werden. Das wäre der Gipfel der Ironie. Denn die Apologetin der „Vereinigten Staaten von Europa“ war bis vor wenigen Jahren noch der Mainstream des Mainstreams. Glauben Sie mir, ich habe eine Abiturklausur über sie geschrieben. 

Die letzten Tage im Adenauer-Haus 

Ob Wagenknecht es am Ende persönlich schafft, ist offen. Am Ende ist es vielleicht aber auch egal. Ansonsten gibt die AfD dem alten Parteiensystem den Rest oder eine neue bürgerliche Kraft, die schon seit Jahren herbeiphantasiert wird. Denn dass die marxistische, halb und halb pro-russische, semi und dreiviertel rechte Wagenknecht eine solche Sehnsucht entfaltet, ist schlichtweg der finale Beweis für das Ende der aktuellen Parteienlandschaft. Mehr noch: Für den absoluten Wunsch nach deren Kollaps. Der Absturz von CDU und SPD scheint schon besiegelt, für sie spricht nur nur noch ihr Trägheitsmoment. 

Politiker, die die Zeichen der Zeit verkennen und sich ihrer Sache sicher bleiben, während sich um sie herum alles ändert, kennt die Geschichte viele. Portugals Diktator Antonio Salazar führte noch Kabinettssitzungen vom Krankenbett durch, da war er schon abgesetzt, nur traute sich niemand es ihm zu sagen. Hitler modellierte bis zuletzt an den Monumentalbauten der „Reichshauptstadt Germania“, da waren die Russen noch hunderte Meter vom Bunker der neuen Reichskanzlei entfernt – währenddessen organisierte Parteifreund Bormann noch die letzte parteiinterne Intrige gegen Hermann Göring. Ähnlich bekannt ist Mielkes Ausspruch: „Ich liebe doch alle, alle Menschen“.
Ein bisschen – aber nur ein bisschen – könnte man sich an solche Hybris bis zum Schluss erinnert fühlen, wenn die besten Parteifreunde Merz, Wüst und Söder darüber streiten, wer denn nun in zwei Jahren Unions-Kanzlerkandidat werden soll. Dabei ist die Frage längst nicht mehr wer, sondern ob jemals wieder jemand von der Union den Kanzler stellen wird – den Weg des Niedergangs haben die Democrazia Cristiana in Italien oder die Republikaner in Frankreich schon vorgezeichnet.

Die Lunte brennt sich schon ihren Weg zum Pulverfass, auf dem sie sitzen. Denn disruptiert sich dit janze, wa. Mit einem lauten Knall. 

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