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Journalist, Aktivist oder Spion? Die vielen Gesichter des Julian Assange

Dank eines Deals mit dem US-Justizministerium kommt Julian Assange auf freiem Fuß – und bekennt sich der Spionage schuldig. Über einen Mann, in dem verschiedene Lager ihren Helden sahen und der sich mit zweifelhaften Methoden viele Feinde gemacht hat.

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Julian Assange kommt frei – das war am Dienstagmorgen die bestimmende Schlagzeile. Das US-Justizministerium von Joe Biden hatte mit dem Australier einen sogenannten „plea deal“ ausgehandelt, nachdem der 52-Jährige sich in Teilen für schuldig bekennt und im Gegenzug eine massiv reduzierte Haftstrafe von nur fünf Jahren erhält. Das entspricht eben jener Zeit, die er in Großbritannien in Auslieferungshaft saß – er kommt also sofort frei.

Assange wurde in Großbritannien bereits aus dem Gefängnis entlassen und befindet sich auf dem Weg in Richtung Pazifik, wo er zu einem Gerichtstermin auf den nördlichen Marianneninseln, einem US-Territorium nahe seiner Heimat Australien, erscheinen soll. Bidens Regierung vollzieht damit eine völlige Kehrtwende im Umgang mit Assange. Ursprünglich hatte ihm nach den US-Anklagen eine Höchststrafe von 175 Jahren gedroht. Stattdessen kommt er nun frei, ohne je einen Tag in einem US-Gefängnis verbracht zu haben.

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Viele feiern seine Freilassung als einen Sieg, wissen jedoch wenig über den Mann, der in den letzten Jahrzehnten weit mehr als nur ein Journalist war – er diente mit seiner Plattform WikiLeaks als Projektionsfläche für verschiedenste politische Lager. Bekanntheit gewann er in den Jahren der Kriege im Irak und Afghanistan für seine Veröffentlichungen von US-Militärinternas.

Die bekannteste ist das von WikiLeaks mit „Collateral Murder“ betitelte Video, in dem ein US-Militärhelikopter während des Irakkriegs das Feuer auf eine Gruppe von Zivilisten und mehreren Kameraleuten eröffnet, nachdem Kameraequipment als Panzerfäuste fehlidentifiziert wurden. US-Truppen waren vor dem Vorfall aus der gleichen Gegend mit Panzerfäusten attackiert worden.

Enthüllungen, die Leben kosteten

Assange und seine Plattform wurden damals von den meist linksliberalen Kritikern der Politik des republikanischen US-Präsidenten George W. Bush in den USA und Europa als Enthüller gefeiert. Später kehrte sich diese Dynamik dann um, als WikiLeaks 2016 E-Mails der Demokratischen Partei veröffentlichte, die die Parteiführung im Umfeld von Kandidatin Hillary Clinton belasteten und Wahlkampfmanipulationen zu ihren Gunsten bei den Vorwahlen zeigten.

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An die Daten kam man offenbar durch einen russischen Hack. Bei vielen US-Linken galt WikiLeaks damit als Verbündeter Putins und die Veröffentlichung als Einmischung des gleichen in die US-Wahl 2016, die am Ende Donald Trump gewann. In dessen Lager gibt es seitdem zunehmend Zuspruch für Assange.

Dennoch war es Trumps Regierung, die besonders scharf gegen Assange vorging. Unter ihr ergingen die Anklagen 2019 und 2020. Für Trumps Außenminister Mike Pompeo war WikiLeaks gar ein „nichtstaatlicher feindlicher Geheimdienst“. Kam diese Haltung wirklich nur daher, weil Assange in den Bush-Jahren einige unangenehme Videos veröffentlichte? Oder die E-Mails von Clinton, die aber doch Gegenspielerin von Pompeos Republikanern war?

Nein, denn Assange war eben nicht nur als vermeintlicher Enthüllungsjournalist aktiv, der Fehlverhalten von US-Behörden publik machte. Er veröffentlichte ganze Datensätze von US-Militärgeheimnissen – oft ohne Schwärzung. Dabei handelte es sich oft um Dinge, die keineswegs die ganze Welt sehen sollte. Etwa die Namen afghanischer Informanten der Anti-Taliban-Koalition oder technische Details von Militärgerät.

„Also haben sie es verdient, wenn sie getötet werden“

Diese Informationen entschieden über Leben und Tod von NATO-Soldaten mit, die damals in Afghanistan gegen die Taliban-Terroristen im Einsatz waren. So machte Assange etwa detaillierte Informationen über Minenentschärfungsgeräte publik, die wiederum ihre Umgehung für Terroristen einfacher machten. Ebenjene Sprengfallen waren für viele der getöteten westlichen Soldaten in den Kriegen im Mittleren Osten verantwortlich – zum Teil starb durch sie jeder zweite tote US-Soldat.

Und zu den hunderten Informanten, die beim Einsatz gegen die islamistischen Taliban halfen, die durch seine ungeschwärzten Veröffentlichungen in Todesgefahr gerierten, meinte Assange einst gegenüber Reportern: „Nun, sie sind Informanten, also haben sie es verdient, wenn sie getötet werden. Sie haben es verdient.“ Dass Assange von vielen US-Sicherheitsbehörden nicht wie ein Journalist, sondern eher als ein ausländischer Agent gesehen wird, der für den Tod von US-Soldaten und Verbündeten verantwortlich ist, dürfte angesichts dieser Aktionen kaum überraschen.

Zudem ist er nicht nur für die Publikation jener sensiblen Militärgeheimnisse angeklagt worden, sondern auch für das Ausspionieren dergleichen in US-Militärsystemen. Er hatte nämlich dem US-Soldaten Chelsea Manning, der eine hohe Sicherheitsfreigabe besaß, geholfen, eben jene Geheimdokumente von Computernetzen der US-Streitkräfte zu entnehmen. Das gibt er jetzt im Rahmen des Deals zu.

Von Whistleblowern zugespielte Dokumente zu veröffentlichen mag das eine sein, selbst in Militärnetzwerke einzudringen ist etwas anders. Das ist definitiv nicht Aufgabe von Journalisten. Angeklagt wurde er am Ende für beides. Weil er auch für Veröffentlichung ins Visier genommen wurde, macht ihn das für manche zu dem Märtyrer für Pressefreiheit schlechthin, dabei waren seinen Aktionen oft mehr Aktivismus als nur Journalismus – und zum Teil lebensgefährlich für die Betroffenen.

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