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Editorial

Depression als Wahlkampfstrategie

Die CDU könnte einen Erdrutschsieg einfahren - doch Friedrich Merz führt einen maximal desolaten Wahlkampf. Er ist immer noch in den Wahlkampf-Weisheiten der Merkel-Ära verfangen.

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Deutschland im Wahlkampf, das ist wohl so etwas wie die kreative Hölle auf Erden. Leere, lächelnde Gesichter, Sinnsprüche wie aus der Literaturwerkstatt einer mäßigen 8. Klasse, Inhalte ohne Aussagekraft: Sichere Rente, bessere Bildung. Immer und immer wieder dasselbe.

Seit Jahren gilt die Maxime superkluger Strategen: Das Wichtigste sei, nichts falsch zu machen. Neunmalklug formuliert man Sätze so, dass keine Seite sie falsch verstehen könnte, bis sie nichts mehr bedeuten. Es ist eine Strategie, die bestenfalls 2013 noch bei Angela Merkel funktionieren konnte, als noch wenige gesetzte Player zwischen gesetzten Medien das Feld unter sich aufteilen konnten, als Wahlkampf am Reißbrett funktionierte. Friedrich Merz lebt vollkommen in dieser Welt: Seine politische Karriere hat er jetzt an die Brandmauer geknüpft, ein ganz kluger Schachzug. Dann kann er dem Habeck noch ’ne Scheibe abschneiden – oder sich jedenfalls von ihm keine abschneiden lassen.

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Merz als Kanzler steht schon fest, sagen ja alle in Berlin – und plötzlich sind auch alle ganz nett zu ihm, die smarten Hauptstadt-Journalisten. Dann macht er mit den Grünen noch einen schönen Deal und der Sack ist zu.

Doch ganz so läuft die Welt im Jahr 2025 wohl doch nicht mehr. Wenn die AfD ihren Parteitag streamt, kriegt sie auf X nach einem Musk-Retweet eine Million Live-Aufrufe, womit sie an einem Samstagnachmittag Primetime-Fernsehzahlen erzielt. Den SPD-Parteitag kann man gleichzeitig bei Phoenix schauen, auf YouTube haben sich ganze 1000 Leute eingefunden. Und so etwas soll auf die Dauer wirklich keinen Unterschied machen?

Im seichten Talk mit Musk hat Weidel sich wirklich nicht gerade auf Kanzler-Niveau präsentiert – die Wirkung eines solchen Events bleibt aber dennoch gewaltig.

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Wo ist denn der Wahlkampf der CDU? Irgendein begeisternder Moment eines Friedrich Merz? Spätestens seit Trump kann jeder halbwegs wache Beobachter sehen: Wahlen gewinnt man nicht mehr mit der berühmten „asymmetrischen Demobilisierung“. Man gewinnt sie mit inhaltlicher Dynamik, mit Begeisterung, man gewinnt sie mit einer Bewegung. Und dann neigt sich die ganze politische Ebene: Bernie-Sanders-Fans wählen Trump, weil sie sich mitreißen lassen, weil sie plötzlich merken, dass sie etwas ganz anderes wollen. Trump hat gezeigt, dass man Wahlen auch gewinnen und nicht nur nicht verlieren kann.

Auch in Deutschland ist das Feld beweglich: Die Leute wandern von den Grünen zur AfD zum BSW. Sie ändern ihre Meinung, Stimmungen kippen – zur Migration, zum Klimaschutz. Elon Musk selbst ist das beste Beispiel, 2020 wählte er noch Biden.

So funktioniert die Welt heute. In Österreich steht die FPÖ in Umfragen plötzlich auf 39 Prozent, in England ist die Neugründung Reform nicht mehr viele Punkte davon entfernt, stärkste Kraft zu werden – Monate nachdem Keir Starmer mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde.

Doch all das versteht man noch nicht in diesem Berlin. Schlaue „Kommunikatoren“ glauben, es wäre „disruptiv“, QR-Codes auf Wahlplakate zu drucken oder Jugendsprache-Tiktoks ins Nichts zu senden. Doch mit all ihren Anglizismen und weißen Sneakern und ihrer kreativen Hybris haben sie von der Digitalisierung und der Kraft sozialer Medien weniger verstanden, als der durchschnittliche Babyboomer, der auf Facebook Katzenvideos teilt.

Politisch ist Merz ja ganz modern – strategisch lebt er wirklich in den 90ern. Seine Sicherheit, er hätte das Feld ja abgesteckt und damit schon gewonnen, ist eines Kanzlers und einer Demokratie unwürdig – und könnte sich noch rächen. Er steht in Umfragen noch bei 30 Prozent, nicht mehr allzu viele Punkte über dem desaströsen Ergebnis von Laschet 2021 – obwohl wohl selten ein CDU-Kandidat eine bessere Ausgangslage für einen Wahlkampf hatte. Die Sehnsucht nach einem bürgerlichen, vernünftigen Land ist fast unermesslich, aber mit Blick auf die CDU spürt man nur Leere und Langeweile. Man darf wohl sagen:

Wenn die CDU diese Wahl noch vergeigt – sie hätte es sich redlich verdient.

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