Analysiert
Was die Wahlprogramme der Parteien verraten – und was nicht
Kurz vor der Bundestagswahl haben Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin und des Instituts für Demokratieforschung ihre Analyse der Wahlprogramme veröffentlicht. Im Rahmen des Manifesto-Projekts untersuchen sie regelmäßig die programmatische Ausrichtung europäischer Parteien und deren tatsächliche Positionen.

Wissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) und des Instituts für Demokratieforschung (IfDem) der Universität Göttingen untersuchen in einem gemeinsamen Projekt regelmäßig die Wahlprogramme von Parteien. Kurz vor der Bundestagswahl haben die Forscher nun ihre Analyse der Programme zur Bundestagswahl am 23. Februar vorgelegt. Apollo News dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse.
Das vom WZB und IfDem gemeinsam betriebene Manifesto-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe inhaltsanalytischer Verfahren die Wahlprogramme einer Vielzahl europäischer Parteien zu untersuchen und auf diese Weise die programmatische Ausrichtung sowie die tatsächlichen Positionen von Parteien zu ermitteln.
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In der Politikwissenschaft werden Wahlprogrammen in der Regel zwei zentrale Funktionen zugeschrieben: Einerseits stellen sie das Ergebnis innerparteilicher Aushandlungsprozesse dar und dokumentieren, worauf sich parteiinterne Interessengruppen oder Parteiflügel als Kompromiss im Vorfeld einer anstehenden Wahl verständigen konnten. Andererseits spielen sie über die Dokumentation eines parteiinternen Konsenses hinaus eine wichtige Rolle in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und Wählern.
Hierbei agieren Parteien unter Maßgabe strategischer Gesichtspunkte: Ob sie bestimmte Themen hervorheben, indem sie ihnen in ihren Wahlprogrammen viel Raum geben oder ob sie ein Thema gänzlich ignorieren und überhaupt nicht erwähnen, hängt davon ab, mit welchen Themen sie traditionell in Verbindung gebracht werden und bei welchen ihnen eine hohe Lösungskompetenz zugesprochen wird. Parteien betonen also ein je individuelles Set an Themen, das sich von dem ihrer politischen Mitbewerber unterscheidet und von dem sie sich den größten Nutzen bei Wahlen versprechen.
Das Manifesto-Projekt stellt auf seiner Webseite daher – für jedermann zugänglich – umfassende und vergleichbare Daten zu politischen Einstellungen von Parteien zur Verfügung, die aus der Analyse von Wahlprogrammen gewonnen werden. Der Datensatz des Projekts liefert dabei vergleichbare Informationen für über 1000 Parteien aus über 50 Ländern von 1945 bis heute.
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Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien
Die zentrale, gleichwohl wenig überraschende Erkenntnis der Wissenschaftler lautet dabei, dass gegenüber den Bundestagswahlen 2017 und 2021 die Wirtschaftspolitik wieder stärker in den Fokus gerückt ist und insgesamt das wichtigste Themenfeld darstellt. Damit bestätigen
die aktuellen Wahlprogramme, dass Parteien in wirtschaftlichen Krisenzeiten wieder zum Wachstumsparadigma zurückkehren, während Themen wie Umwelt- und Klimaschutz zumindest zeitweilig in den Hintergrund treten.

Besonders stark fällt diese Veränderung bei der FDP aus: Gegenüber ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 hat der Anteil an Aussagen, die einer wachstumsparadigmatischen Kategorie (Technologie/Infrastruktur, Bürokratieabbau, Sozialstaatsabbau, freie Marktwirtschaft, Wirtschaftsförderung) zugeordnet werden können, um ganze 19 Prozent zugenommen.
Gemessen an den Wahlprogrammen hat die FDP damit die AfD als marktliberalste Partei im deutschen Parteiensystem verdrängt. Parallel hat sich über alle Parteien hinweg der Anteil an Aussagen, die auf staatliche Interventionen zielen (Betonung der Grenzen des Wachstums, Lebensqualitätswachstum, Nachhaltigkeit, Marktregulierung, Arbeitnehmerrechte, Sozialstaatsausbau) verringert.
Die einzige Ausnahme hierbei bildet Die Linke, die zwar der Wirtschaft ebenfalls mehr Aufmerksamkeit schenkt, die in diesem Jahr nach 2017 aber das am stärksten linksgerichtete Wahlprogramm ihrer Geschichte vorgelegt hat und sich sogar in stärkerem Maße als 2021 für eine Einhegung der freien Kräfte des Marktes ausspricht. Alles in allem, so die Autoren, zeige sich mit Blick auf das Feld der Wirtschaftspolitik die klassische Aufteilung in ökonomisch linke und rechte Parteien.
Während FDP, CDU/CSU und AfD Wirtschaftswachstum betonen, konzentrieren sich Die Linke, Grüne, SPD und BSW auf die stärkere staatliche Kontrolle des Marktes. Dieselbe Trennung lässt sich auch in Bezug auf Fragen der Sozialpolitik und des Sozialstaatausbaus feststellen, deren Bedeutung im Vergleich zu 2021 in etwa gleichgeblieben ist: Die Linke, SPD, BSW und Grüne plädieren für einen weiteren Ausbau, FDP, AfD und die Union hingegen für einen Rückbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates.

Bürokratieabbau im Fokus
Parallel zur moderaten Renaissance marktwirtschaftlicher Konzepte ist ein weiteres Thema prominent in den Wahlprogrammen vertreten: Bürokratieabbau. Wohl auch befeuert von Javier Milei und Elon Musk, hat sich Entbürokratisierung als ein neues zentrales Streitthema etabliert. Während es für die CDU/CSU gar das zweitwichtigste Thema darstellt, hat dessen Bedeutung auch bei fast allen Parteien gewonnen. Am deutlichsten ist der Anstieg bei der FDP, mit deutlichem Abstand dahinter folgen SPD und Grüne, kaum an Bedeutung gewonnen hat es dagegen bei der AfD und der Partei Die Linke.
„Insgesamt“, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler, „sehen wir also keine vollständige Rückkehr zu den alten Wirtschaftskonzepten, die Wachstum in den Mittelpunkt stellen, sondern eher ein situatives Betonen von Effizienz bei gleichzeitiger Herabstufung von Nachhaltigkeitszielen. Klassisch ökonomisch rechte Positionen wie Wirtschaftsförderung und Haushaltsdisziplin werden von der Union gegenüber 2021 etwas stärker betont, erreichen aber lange nicht die Werte wie in den 1990er und 2000er Jahren.“
Paradoxon Migrationspolitik
Etwas paradox mutet demgegenüber der Befund im Bereich der Migrationspolitik an. Denn während Asyl und Zuwanderung gegenwärtig die öffentliche Debatte dominiert und von den meisten Wählern als wichtigstes Problem benannt wird, spielt das Thema in den Wahlprogrammen eine untergeordnete Rolle. Wenig überraschend thematisieren die AfD mit 13,3 Prozent (-0,27) und die CDU mit 6,3 Prozent (+2,5) der Programminhalte Migration am stärksten, während die Ampelparteien und das BSW dem Thema weniger als 4 % ihrer programmatischen Aussagen widmen.
Allerdings spielt die Zuwanderungspolitik über alle Parteien hinweg eine geringere Rolle als noch 2017 und zählt einzig bei der AfD überhaupt zu den zehn wichtigsten Themen. Das könnte zum einen daran liegen, dass die Programme noch vor den Anschlägen und Attentaten von Magdeburg, Aschaffenburg und München verfasst wurden. Zum anderen könnte das aber auch dem geschuldet sein, dass Parteien von den Themen profitieren, die sie dominieren, und andere Parteien Migration daher gezielt weniger behandeln, um der AfD keine Vorteile zu verschaffen. Die enorme öffentliche Bedeutung des Themas zeigt vor diesem Hintergrund aber, wie stark der Verlauf eines Wahlkampfes von Zufällen geprägt werden kann, die sich dem Einfluss der Parteien entziehen und ihren strategischen Kalkülen diametral entgegenstehen.
Zeitenwende?
Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik macht sich die von Olaf Scholz in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ausgerufene „Zeitenwende“ durchaus bemerkbar. So lässt sich mit Ausnahme der AfD über alle Parteien hinweg ein Anstieg verteidigungspolitischer Aussagen feststellen. Die Unionsparteien sowie die FDP fordern dabei mehr militärische Stärke, während sich Die Linke und insbesondere das BSW, das das Thema mit 10 Prozent aller Aussagen am stärksten hervorhebt, für Abrüstung aussprechen.
An Relevanz verloren hat gegenüber 2021 das Thema Demokratie und demokratische Partizipation. Während sich grundsätzlich alle Parteien dafür starkmachen, die Demokratie in Deutschland zu stärken, werden in den Programmen unterschiedliche Ansätze deutlich. Große Überschneidungen finden sich unter anderem zwischen der AfD und dem BSW, die unisono die Bedeutung direktdemokratischer Verfahren und Volksabstimmungen auf Bundesebene betonen.
Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide die Meinungsfreiheit bedroht sehen und nicht zuletzt eine Zurückdrängung des öffentlichen Rundfunks fordern. SPD, Grüne und Die Linke eint demgegenüber eine gemeinsame Betonung der Stärkung demokratischer Teilhabe und Bürgerbeteiligung – zum Beispiel in Form von Bürgerräten. Auch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist ein gemeinsamer Nenner der linken Parteien.
Insgesamt verrät ein genauerer Blick in die Wahlprogramme also, dass sich die Parteien auf einen Wahlkampf mit Fokus auf die Wirtschaftspolitik sowie auf sozioökonomische Verteilungsfragen vorbereitet und gerüstet haben. Dass sich die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft sowie die Strukturprobleme des Industriestandorts in den Wahlprogrammen stärker widerspiegeln als es die öffentliche Wahrnehmung derzeit vermuten lässt, ist schlicht den Unvorhersehbarkeiten eines verkürzten Wahlkampfes und den Konjunkturen der öffentlichen Meinung geschuldet. Alleine die drei Städtenamen Magdeburg, Aschaffenburg und München stehen dafür pars pro toto.
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Die Wahlprogramme sind doch nichts weiter als Märchenbücher. Vor der Wahl wird alles mögliche und auch unmögliche versprochen und umgesetzt wird davon gar nichts.
Ich hoffe zumindest, dass es bei den Blauen anders ist.
Wir konnten alle sehen das es die letzten Jahre abwärts ging .
Vielleicht sollte die nächste Regierung mal von ihrem Ideologiekrampf herunterkommen und sich mehr um das eigene Land kümmern als andere zu bevormunden und Milliarden in der Welt zu verteilen .
Alles einmal mit Maß und Ziel angehen als aberwitzige Auflagen für das eigene Volk zu erfinden die es sonst auf der ganzen Welt nicht gibt .
Wahlprogramme sind nur für sich gesehen interessant und aufschlussreich. Sobald eine Koalition eingegangen werden muss, beginnt der Kuhhandel, beginnt das Feilschen um die Parteiinteressen, wie auf einem Bazar. Stark vorbei an den Wahlversprechen wird dann ein Koalitionsvertrag vereinbart, dessen hunderte von Kompromissen später abgearbeitet werden. Das Land steht dann schon nicht mehr im Vordergrund.
Ich kenne das Wahlprogamm, wesen Partei ich wählen will, in und auswendig, da brauche ich jetzt keine analyse mehr:
https://www.nius.de/kommentar/news/das-schlachten-hat-schon-lange-begonnen-was-wenn-gar-nicht-die-afd-das-problem-ist/f5800109-675e-43f4-90cc-cfaadb5d08b1
Meine Kreuze stehen fest.
Meine Wahl mit beiden Stimmen ist für morgen und die AfD schon längst getroffen.
Wahlprogramme sind wie der Wetterbericht von vorgestern,
Solange es kein RECHTSMITTEL in Deutschland gibt dies verpflichtend umzusetzen, solange ist es belangloses Gerede.
Sie dienen nur zur Orientierung, aber wenn man den Zielpunkt nicht kennt, nutzen Orientierungshilfen beim Wandern, äh wählen nichts.
Solange hierzulande sich die Bevölkerung mit einem Determinismus konfrontiert sieht, der Voraussetzungen hat, die kein Mensch erfüllen kann, werden gesellschaftlich noch die größten Anstrengungen und Mühen niemals von Erfolg gekrönt sein. Insofern täte es inzwischen mehr als Not, solch einen vernunftwidrigen Unsinn schleunigst an ein Ende kommen zu lassen. In den von den politischen Parteien vorgelegten Wahlprogrammen ist davon jedoch nichts zu lesen.
Wer hat Zeit sich hunderte Seiten Wahlprogramme durchzulesen?. An ihren Taten erkennt man sie ganz einfach, ihre Versprechungen braucht niemand.
Nach der Wahl: Steuer- und Abgabenerhöhungen längst geplant. Daher: Bitte nicht CSU/CDU/SPD/GRÜ/FDP ankreuzen!
Die Wahlprognosen der Sonntagsrunde des Kontrafunk waren sehr interessant. Vor allen Dingen der Ausspruch von Tichy brachte mich zum Lachen: „German Politikers deep in the Scheiß“.