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Erfundene Belästigungsvorfwürfe

Verflechtungen bis in die Parteispitze? Die merkwürdigen Hintergründe im Fall Gelbhaar

Stefan Gelbhaar galt als gesetzter Direktkandidat der Grünen in Berlin. Erfundene Belästigungsvorwürfe katapultierten den Grünen-Bundestagsabgeordneten jedoch ins politische Aus – davon wiederum profitiert der Wahlkampfmanager von Robert Habeck.

Stefan Gelbhaar galt als engagierter Politiker – dann wurden plötzlich fragwürdige Vorwürfe erhoben.

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Eigentlich hatte Stefan Gelbhaar die Direktkandidatur in Berlin-Pankow schon sicher – doch auf einmal wurde der Grünen-Politiker mit Belästigungsvorwürfen konfrontiert. Obwohl Gelbhaar den Behauptungen mehrfach entschieden widersprach, fanden keine polizeilichen Ermittlungen und keine Untersuchung durch die Partei statt – mit schwerwiegenden Folgen: Die Person, die sich als das angebliche Opfer darstellte, existiert offenbar gar nicht. Eine Person profitierte dennoch: Der Wahlkampfmanager von Robert Habeck.

Zunächst berichtete der RBB im Dezember über die Vorwürfe der sexuellen Belästigung einiger Frauen, die ihre Aussagen gegenüber dem Sender sogar eidesstattlich versicherten. Das hatte zur Folge, dass Gelbhaar beschloss, sich nicht für die Wahl auf die Landesliste aufstellen zu lassen, sondern lediglich als Direktkandidat in die Bundestagswahl zu gehen. Ursprünglich wollte Gelbhaar auch für den zweiten Listenplatz hinter Bundesfamilienministerin Lisa Paus kandidieren – dieser Platz kam jetzt Andreas Audretsch zugute.

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Audretsch ist stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen und eben auch Wahlkampfmanager von Robert Habeck, dem Kanzlerkandidaten der Partei. 2021 verpasste Audretsch in Berlin-Neukölln zwar den Einzug in den Bundestag als Direktkandidat, wurde aber über die Landesliste, wo er auf Platz vier postiert war, gewählt. 2025 greift jedoch die von den Ampelparteien beschlossene Wahlrechtsreform, mit der das Parlament verkleinert werden soll.

Audretsch braucht daher bestmöglich einen der oberen Listenplätze oder muss sein Direktmandat gewinnen, um in den Bundestag einzuziehen – in Berlin-Neukölln gilt die SPD jedoch als stärkere Partei. Der ranghohe Grünen-Politiker profitierte daher von den Vorwürfen gegen Gelbhaar. Auf Listenplatz zwei kann Audretsch bei den derzeitigen Umfragewerten von über 20 Prozent für die Grünen in Berlin mit dem Wiedereinzug in den Bundestag rechnen.

Für Gelbhaar hingegen kam es doppelt bitter: Nicht nur verzichtete der 48-Jährige auf die Listenplatzkandidatur, er verlor auch seine sicher geglaubte Direktkandidatur. Wegen der Vorwürfe musste sich der Abgeordnete, der seit 2017 im Bundestag sitzt, erneut bei der Wahlversammlung am 8. Januar behaupten. Dort unterlag Gelbhaar jedoch seiner Konkurrentin Julia Schneider, die derzeit noch Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses ist.

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Schneider konnte 85,3 Prozent aller Stimmen für sich beanspruchen. „Ich kandidiere heute, damit wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren können und für einen Kreisverband, in dem Frauen sich sicher fühlen können und gehört werden“, sagte die 34-Jährige in ihrer Bewerbungsrede. Gelbhaar war zuvor mit dem Versuch, den Termin verschieben zu lassen, bei dem Kreisverband gescheitert. Im November hatte er die Kandidatur noch mit 98,4 Prozent gewonnen.

Die Vorwürfe sorgten offenbar für einen entscheidenden Richtungswechsel der Kreisverbandsmitglieder. Der RBB hatte im Dezember über die Behauptungen aufgrund angeblicher eidesstattlicher Versicherungen berichtet. Darin sowie in internen E-Mails ging es laut Tagesspiegel um die „strafrechtlich besonders relevanten Vorwürfe“ gegen Gelbhaar. Weitere, weniger relevante Meldungen an die Ombudsstelle der Grünen, die möglicherweise gefälscht worden sind, wurden in einer Erklärung des RBB am Freitagabend als Fälle mit einer „geringeren Fallhöhe“ dargestellt.

Nach eigenen Aussagen berichtete der RBB nur über die durch die Frauen versicherten Vorwürfe. Doch eben jene Darstellungen sind höchstwahrscheinlich gefälscht worden. Unter den angeblichen Opfern soll auch eine „Anne K.“ sein – eine Frau, die offenbar gar nicht existiert. Das würde auch erklären, warum keine polizeilichen Ermittlungen gegen Gelbhaar eingeleitet wurden. Stattdessen wurde jetzt gegen eine grüne Bezirkspolitikerin Strafanzeige gestellt, die hinter den Vorwürfen stecken soll.

Aus Unterlagen eines Verfahrens, in dem Gelbhaar eine Unterlassung der Berichte des RBB gefordert hatte, geht laut Tagesspiegel hervor, dass „Anne K.“ laut Einwohnermelderegister gar nicht an der angegebenen Adresse wohnhaft ist. Vor Ort fanden sich weder ein passendes Klingelschild noch ein dazugehöriger Briefkasten, auch die Nachbarn konnten den Namen nicht identifizieren.

Der Berliner Landesverband der Grünen wollte gegenüber der Zeitung aus Datenschutzgründen zudem nicht mitteilen, ob eine Person mit dem Namen „Anne K.“ als Parteimitglied registriert ist. Am Freitag teilte der RBB dann mit: „Anne K. war nicht diejenige, für die sie sich ausgab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“ Der Sender hatte offenbar nur telefonisch Kontakt mit dem Opfer – plötzlich war „Anne K.“ dann tagelang nicht erreichbar.

Bei weiteren Recherchen sei der RBB dann auf eine Bezirkspolitikerin der Grünen gestoßen, die sich in den Augen des Senders „zweifelsfrei“ in gemeinsamen Gesprächen als „Anne K.“ ausgegeben habe und diesen Namen auch nutzte, um die eidesstattliche Versicherung abzugeben – was wiederum strafbar wäre, weshalb der Sender juristisch gegen diese Person vorgeht. Diese wiederum behauptet, lediglich den Kontakt zu „Anne K.“ hergestellt zu haben.

Der RBB reagiert dennoch: Die Aussagen von „Anne K.“ haben offenbar einen so relevanten Teil der Vorwürfe ausgemacht, dass sich der Sender entschloss, sämtliche Berichte über die Behauptungen gegen Gelbhaar zu entfernen. Das wiederum entlastet den 48-Jährigen, die neuen Erkenntnisse könnten theoretisch zu einer dritten Wahlversammlung führen. Gelbhaar hatte immer wieder betont, die Vorwürfe seien gelogen, er verwies auf parteiinterne Intrigen: „Ich weiß seitdem, dass es sich bei diesem Vorgang um eine in Teilen geplante Aktion handeln muss. Das Ziel ist, mich massiv zu diskreditieren, […]. Das ist schlichtweg kriminell“, erklärte er in einer Stellungnahme am Silvestertag.

Der Kreisvorstand der Grünen riet dem 48-Jährigen dennoch zum Verzicht auf eine Direktkandidatur – die Meldungen bei der Ombudsstelle der Partei sollen jetzt zudem weiter aufgearbeitet werden. Auch hier gibt es jedoch den Verdacht, dass „Anne K.“ Meldungen über Gelbhaar eingereicht hatte. Die von dem Grünen-Politiker selbst eingeleiteten Schritte gegen die Berichterstattung des RBB könnten jetzt zu seiner Rehabilitation führen.

Bis zum 20. Januar kann die Partei theoretisch die Kandidatenaufstellung noch einmal ändern – danach geht das nur noch, wenn der eigentlich aufgestellte Kandidat unter keinen Umständen antreten kann. Der Zeitraum ist denkbar knapp, zumal die Vorwürfe gegen Gelbhaar zwar offenbar gefälscht, aber auch nicht widerlegt worden sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Grünen-Politiker sein Bundestagsmandat verliert – da er eben auch auf keiner Landesliste steht – ist daher hoch. Auch die politische Karriere des Familienvaters, der eigentlich als engagierter Politiker gilt, steht auf der Kippe.

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