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Aserbaidschan blockiert das armenisch besiedelte Bergkarabach; manche sprechen schon von einem neuen Genozid. Doch Europa schweigt einfach und wiederholt den Umgang mit der Ukraine. Wieder geht es um Gas - und auch um Europas kulturelles Erbe.

Eine Analyse •

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Um sich von Energielieferungen aus Russland zu lösen, bezieht die EU deutlich mehr Gas aus Aserbaidschan. „Die EU wendet sich vertrauenswürdigeren Energielieferanten zu“, feierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Deal zwischen Brüssel und Baku im Juli 2022. Schluss mit Gas aus einem aggressiven, kriegerischen Land, dass Völkerrecht bricht und Menschen gezielt ermordet – das war die Räson des Abkommens mit der Kaukasus-Republik.

Ganz anders klingt das an anderer Stelle rund einen Monat später. „Aserbaidschan begeht in einem großen Konzentrationslager Völkermord!“, sagte der Präsident der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach.

Freiluft-Gefängnis Bergkarabach

Bergkarabach (auch Nagorno-Karabach genannt) ist eine Region, die völkerrechtlich in den Grenzen der Republik Aserbaidschan liegt. Bevölkert wird sie jedoch mehrheitlich von Armeniern. Wie so oft in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion korrespondieren die Grenzen hier nicht mit der Verteilung der Volksgruppen in der Region. Was kein Problem war, solange beide Länder, Armenien und Aserbaidschan, Teilrepubliken des Sowjetreiches waren, wurde nach dem Kollaps der UdSSR zum Konfliktherd. In einem Krieg eroberte Armenien 1994 zusammen mit karabachischen Truppen weite Teile des Gebietes sowie eine Landverbindung dorthin. 2020 flammte der Konflikt neu auf, und Aserbaidschanische Truppen vertrieben die Armenier erneut.

Die Lage von Bergkarabach in Aserbaidschan

In der von Russland vermittelten Waffenstillstandsabkommen von 2020 wurde geregelt, dass der Latschin-Korridor, die Verbindung zwischen Armenien und Bergkarabach, offenbleiben und von russischen Friedenstruppen gesichert werden soll. Genau das ist aber seit Monaten nicht der Fall. Im Dezember gab es erste Blockaden, seit Juli wurden diese massiv verschärft. Aserbaidschan rechtfertigt das mit angeblich „unerlaubtem Material“, das in Fahrzeugen des Roten Kreuzes geschmuggelt worden sein soll. Das Rote Kreuz bestreitet den Vorwurf.

Erinnerungen an den türkischen Genozid werden wach

In der Folge mangelt es der Region an so ziemlich allem. Medikamente, Nahrung Strom: Selbst Gemüse, dass vor Ort angebaut wird, kann die Städte des Territoriums nicht erreichen, weil Benzin und Diesel für den Transport fehlen. 120.000 Menschen droht mittelfristig der Hungertod. Der frühere Chefankläger am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Luis Ocampo, nennt das Geschehen einen „andauernden Genozid“. Heute gleicht Berg-Karabach einem großen Freiluftgefängnis – die Armenier sprechen von einem Konzentrationslager.

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Der Konflikt zwischen den türkisch-muslimischen Aserbaidschanis und den christlichen Armeniern hat auch eine historische Komponente: Das armenische Volk war jahrhundertelang Untertan der Sultane und Kalifen des osmanischen Reiches. Bereits über Jahre verfolgt, gipfelte der Hass der türkisch-muslimischen Chauvinisten in Konstantinopel letztendlich im Genozid: Der Völkermord an ihnen, der im Schatten des Ersten Weltkrieges Millionen Armenier das Leben kostete, hat das Land tief geprägt. Nationalistische Türken wollten die Armenier vernichten, weil sie dem Wunsch einer ethnisch homogenen Nation im Wege standen. Es ist nicht vermessen, Parallelen zwischen damals und der Situation heute in Bergkarabach zu ziehen. Hunger war ein zentrales Instrument im Vernichtungsfeldzug der Osmanen gegen die Armenier. Das Regime in Baku scheint auf dem Weg, genau dieses Mittel anzuwenden.

Europa schweigt – die neue Gasabhängigkeit

Eigentlich sollten russische Truppen den lebenswichtigen Latschin-Korridor sichern, wie im Waffenstillstand von 2020 vereinbart. Außerdem gilt Russland ohnehin als Schutzmacht Armeniens im Kaukasus. Doch de facto tut Moskau nichts gegen die Blockade. Der Krieg in der Ukraine hat Russland die Handlungsmöglichkeiten genommen – das bedrängte Regime kann es sich nicht leisten, auch noch einen Konflikt mit Aserbaidschan vom Zaun zu brechen. Die Turk-Republik ist seit 2022 von hoher Bedeutung für das isolierte Russland, um überhaupt noch Zugänge zum Weltmarkt zu erhalten. Auch das relativ gute Verhältnis zur Türkei, die als Schutzmacht Aserbaidschans auftritt, will der Kreml nicht riskieren. Der einstige Machtpoker im Kaukasus zwischen der Türkei und Russland via Aserbaidschan und Armenien scheint ausgespielt.

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Ein Interesse an intakten Beziehungen zu Baku hat aber nicht nur Moskau, sondern auch Brüssel. Die EU will Aserbaidschan für sich als neuen Gaslieferanten aufbauen. Wir erinnern uns: „Die EU wendet sich vertrauenswürdigeren Energielieferanten zu“, sagte von der Leyen zum Gasdeal mit dem Kaukasus-Land. Nicht nur, weil Russland in der Ukraine gebunden ist, fühlt Aserbaidschan sich ermutigt: Auch Europa hält die Füße still – man will die neue Gasquelle in Baku nicht verärgern. Dabei hat man überhaupt erst den Deal mit Aserbaidschan gemacht, um nicht mehr von einem aggressiven, menschenrechtsverletzenden Regime abhängig zu sein. Jetzt lässt Europa die Armenier, die in gewisser Weise die Wurzel des christlichen Abendlandes darstellen, einfach im Stich. Europa wiederholt die Fehler seiner naiven Russlandpolitik gerade im Kaukasus – und das Regime in Baku kann damit rechnen, dass die EU den beginnenden Genozid einfach passieren lassen wird. Das tödliche Schweigen der Europäer machen das Gerede von „Wertegemeinschaft“ zur Makulatur – mal wieder.

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15 Kommentare

  • ja nu, „Wertegemeinschaft“,
    bedeutet eben westlicherseits „Werte“ im Sinne von Cash/Bodenschätze/Rohstoffe/Ausbeutung.

    Mir tun die Armenier echt leid, insbesondere bei deren Historie der letzten 120 Jahre.

  • der meiner ansicht nach einzige hochkompetente nicht ideologisch eingefärbte völkerrechtler alfred de zayas meint dazu: „Azeri President Ilham Aliyev should be indicted by the International Criminal Court under article 6, for committing the crime of aggression.“
    https://twitter.com/Alfreddezayas/status/1312400506069962754

  • Die Idee ist gar nicht so schlecht, wir nehmen die christlichen Armenier aus Bergkarabach hier auf und schicken die Afghanen und Iraker dorthin. Dann gibt es hier weniger Gruppen-/Vergewaltigungen, Enthauptungen und Messerangriffe und die können sich dort untereinander dann einigen wer der Anführer sein darf.

  • Was für ein verworrener Käse!!

  • Ja, das passt schon zu dieser grün-linken EU. Und was sagen die Vertreter der christlichen Kirchen (Bischöfe, Laienorganisationen wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken etc.) dazu? Nichts, ihre christlichen Glaubensbrüder/-schwestern interessieren sie nicht. Was soll man auch von Bischöfen erwarten, die auf dem Tempelberg ihr christliches Kreuz verstecken, um die Muslime nicht zu verärgern?

    0
  • Die „christlichen Wurzeln“(lol) von Europa liegen sicher nicht in der ketzerischen Nestorianischen Kirche. Das ist wirklich beleidigend selbst für Anti-Islam Wutboomer wie hier der Leser für dumm verkauft werden soll um Sympathie für den russischen Proxystaat Armenien zu mobilisieren und dafür dann die „Wertegemeinschaft“ mobilisiert werden soll damit dieselbe linksgrüne Agenda umgesetzt wird nur von „rechts“. Am Ende ist das Feindbild der Nationalist der eine Homogene Gesellschaft will.

    0
  • Es heißt Nagorny-Karabach (Нагорны-Карабах)

    0
  • …“Dabei hat man überhaupt erst den Deal mit Aserbaidschan gemacht, um nicht mehr von einem aggressiven, menschenrechtsverletzenden Regime abhängig zu sein“ ….

    Ja neee is klar!
    ::::::::::::::::::::
    Religion in Azerbaijan

    Religion in Azerbaijan (approximate est.).
    Note: Religious affiliation for the majority of Azerbaijanis is largely nominal, percentages for actual practicing adherents are probably much lower.

    Islam (97%)
    Christianity (3%)
    Other (0%)
    Unaffiliated (0%)

    https://en.wikipedia.org/wiki/Religion_in_Azerbaijan

    ….da hab ich keine Fragen mehr.

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