„Der 24. Februar 2022 ist eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“ So eröffnete Scholz seine Rede in der Sondersitzung des Bundestages, nur wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. „[Putin] zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung“, erklärte der Bundeskanzler – „fünf Handlungsaufträge liegen jetzt vor uns“, stellte er damals fest. Der zentrale davon: Die Stärkung der Bundeswehr. „Neue, starke Fähigkeiten“ versprach der Kanzler der Truppe. „Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren“. Das Ziel sei eine „leistungsfähige, hochmoderne Bundeswehr“.
„Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes in unsere Verteidigung investieren“, versprach Scholz im Bundestag. Doch jetzt bleiben die zwei Prozent auch dieses Jahr auf der Strecke – bereits letztes Jahr waren die Verteidigungsausgaben nicht nur nicht gewachsen, sondern schrumpften sogar. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wandte sich das Auswärtige Amt gegen die vom Verteidigungsministerium gewünschte, rechtliche Verankerung der zwei Prozent. Die geltende Rechtslage sei ausreichend. Außerdem sei die gesetzliche Festlegung auf eine genaue Prozentangabe problematisch, weil sich die Nato-Vorgaben ändern könnten. Was für ein Quatsch: Seit seiner Festlegung im Jahr 2014 hat sich das Zwei-Prozent-Ziel nicht verändert. Eine Debatte darüber gibt es nicht. Und selbst wenn: Gesetzliche Festlegungen können im Zweifel angepasst werden, wenn es nötig ist. Das sollte einer „Zeitenwende“-Regierung eigentlich klar sein.
Der deutsche Vulgärpazifismus ist wieder da
Bis 2024 will Deutschland die zwei Prozent erreichen – das ist NATO-Vereinbarung. Zur Erfüllung dieses Ziels fehlen mindestens noch 10 Milliarden Euro, wie Berechnungen des ifo-Instituts zeigen. 10 Milliarden Euro – das muss zu schaffen sein – egal, ob die Gelder direkt in die Bundeswehr, in andere Aspekte der nationalen Sicherheit oder als Unterstützung an NATO-Partner oder die Ukraine fließen. An Möglichkeiten zur Umsetzung mangelt es wahrlich nicht – es ist mal wieder der Wille, der in Berlin fehlt. Anderthalb Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges ist ja auch wieder sowas wie Normalität eingekehrt – an das Sterben zwischen Lemberg und Charkiw, Odessa und Mariupol hat man sich gesamtgesellschaftlich gewöhnt, die „Zeitenwende“ ist längst verpufft.
Und Merkels Außenpolitik der systematischen Schwäche ist wieder da – die Vorstellung, wir seien eine Art supermoralischer Friedens-Papst in einer Welt, deren Konflikte uns a) nichts angehen und b) schon von anderen gelöst werden würden. Er hätte am 24. Februar 2022 eigentlich beerdigt werden müssen. Aber die Borniertheit eines bundesrepublikanischen Juste Milieus, dass sich unter dem großzügigen Schutzschirm der Amerikaner immer wieder selbst versichern konnte, Gewehre, Panzer und Raketen ganz doof zu finden, war nie wirklich weg – höchstens für kurze Zeit auf Stumm gestellt. Das gestrige Veto des grünen Außenministeriums gegen ein verbindliches Zwei-Prozent-Ziel zeigt, dass dieser gerade in seiner politischen Heimat, der grünen Partei, nach wie vor verankert ist.
„Zeitenwende“ ist für die Ampel nur noch lästige Erinnerung
Jetzt kriechen die alten Fragen langsam wieder hervor: Brauchen wir tatsächlich zwei Prozent unseres BIPs für die Bundeswehr? Sind Waffen nicht eigentlich etwas schlechtes? Müssen wir Verteidigung nicht neu denken – zum Beispiel mehr Entwicklungshilfe zahlen oder progressive Außenpolitik machen? Und ist das überhaupt „unsere Sache“ da drüben in der Ukraine? Es zeigt sich in jeder Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine, die immer nach dem gleichen, ermüdenden Muster abläuft: Ein Waffensystem wird diskutiert, vermeintlich Friedensbewegte erklären, dass genau dieses Waffensystem uns, wie schon die zig Systeme davor, jetzt über die Grenze zum Krieg mit Russland treibe, der Kanzler eiert monatelang herum, und schließlich wird aufgrund des Drucks von Außen doch geliefert. Mit „Taurus“, der modernen Lenkrakete der Bundeswehr, wird sicherlich genau das Gleiche passieren.
„Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan“, versprach Bundeskanzler Scholz vor anderthalb Jahren im Bundestag. Seitdem zeigen er und seine Regierung immer wieder, dass das eine Lüge war – was nötig ist, passiert nicht. Ein Kanzler, der seine historische Zusicherung ernst meinte, würde einen solchen Beschluss wie gestern sofort aus der Welt räumen , indem er mit seiner Richtlinienkompetenz Fakten schafft. Er würde Basta-Politik im besten Sinne machen. Das darf er, das kann er, das müsste er – aber er will es nicht. Scholz offenbart, dass die „Zeitenwende“ selbst ihrem Schöpfer lästig geworden ist.
Passt doch: Wenden in Deutschland sind 360° Wenden.
Zeitenwende? Ich hab gar nicht mitbekommen,das wir die Uhren nicht mehr umstellen müssen…..
Bei allem Sarkasmus und Ironie:
Deutschland ist immer noch für die Zusagen in anderen Ländern bekannt, wenn aber jetzt egal welches Argument herangezogen wird, auch das nicht eingehalten wird…
Dann muss ich leider auch gewissen Zusagen, die mündl. geäußert worden sind bezügl. Osterweiterung Nato, der …..kurzum, was ist eine Zusage von Deutschland noch wert oder wie beständig??????????????????
Man konnte es damals ja kaum glauben – und wie sich nun zeigt, leider zurecht.