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Bizarres Schreiben an Parteifreunde: Lindners ewiges Zaudern auf dem Weg zum Meeresgrund

Im Osten wurde die FDP vernichtet: Neuer Tiefpunkt des langen Ampel-Siechtums der Freien Demokraten. Der beste Moment, um die unbeliebte Koalition zu verlassen, ist schon lange verstrichen - aber der zweitbeste ist jetzt. Zieht die FDP jetzt nicht die Reißleine, geht sie sicher mit der Ampel unter.

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Christian Lindner rühmt sich, die FDP gerettet zu haben – in diesem Sinne mag er es vielleicht sogar als sein Privileg sehen, sie wieder dahin zurückzuführen, wo er sie eingesammelt hat. Bald liegt sie noch schlimmer in Trümmern als 2013. Gestern, am Montag, lag die FDP bei 4,2 Prozent, bei der fast vernichtenden Niederlage 2013 schaffte man 4,8 Prozent. Es waren vor allem Christian Lindner und Wolfgang Kubicki, die zu diesem Zeitpunkt Verantwortung übernahmen und die FDP neu aufbauten. Bald könnten sie unter dem Tiefpunkt stehen, an dem sie vor dann 12 Jahren begannen.

Die Landtagswahlen im Osten waren für die FDP ein Desaster: In Sachsen erreicht man 0,9 Prozent, vertritt damit rechnerisch keine 40.000 Menschen mehr. In Thüringen landet man trotz eines prominenten Spitzenkandidaten mit Wiedererkennungswert bei 1,1 Prozent. In Brandenburg wird es in drei Wochen aller Voraussicht nach ganz ähnlich laufen, dort sind (immerhin) zwei bis drei Prozent prognostiziert. Die Freien Demokraten in den Ostbundesländern dürfen diese Quittung wütend nach Berlin weiterreichen: Da sitzt immerhin der wahre Adressat. Die FDP wurde abgestraft, weil sie in der Ampel regiert – und von den Wählern auch völlig zurecht als Mitschuldig an der schlechten Politik der unbeliebtesten Regierung aller Zeiten betrachtet wird.

Mal wieder, muss man sagen. Die Ampel ist für die FDP reines Siechtum: Direkt nach der Bildung der Koalition verlor die Partei schon, ein Jahr nach der Bundestagswahl hatte sie knapp ein Drittel ihrer Wähler verloren. Inzwischen steht die FDP unter der Fünf-Prozent-Hürde – mehr als die Hälfte der einstigen Wähler ist weg.

Fast jede Landtagswahl war eine Niederlage: In Nordrhein-Westfalen verlor die FDP sechs Prozent. Nichtmal halb so stark wie 2017 flogen die Liberalen aus der Regierung, die Christian Lindner damals noch selbst ausverhandelt hatte. Auch in Schleswig-Holstein halbierte man sich, und in Bayern, Berlin und Niedersachsen flog die FDP 2023 aus den Landesparlamenten. Und auch bei der Europawahl in diesem Jahr kam man unter fünf Prozent. Aber unverständlicherweise stand und steht die Partei trotz alledem in Nibelungentreue zu der unbeliebtesten Regierung aller Zeiten.

In der bürgerlichen Rechten verliert die FDP dank Ampel ihr Kernklientel – und in der politischen Linken gewinnt man als FDP bekanntermaßen seit ungefähr 50 Jahren keinen Blumentopf, geschweige denn einen Wähler. Die FDP reibt sich auf – wissentlich, willentlich, fortwährend. Die Ampel ist unbeliebt, die FDP ist auf Untergangsfahrt mit ihr. Und das liegt nicht daran, dass – wie so oft gesagt und geschrieben wird – die Koalition zu viel streitet. Streit ist gut und das Elixier einer lebendigen Demokratie: Das Problem ist, dass nach Ampel-Streits immer das falsche herauskommt.

Nach den Wahlen am Sonntag taucht Lindner lange ab – für den Politiker, der Social Media und schnelle Reaktionen mal für sich gepachtet hatte, unfassbar lange. Dann, am Tag nach der Wahl, gibt er eine Erklärung ab: Die Bürger hätten „die Schnauze voll“ und „eine klare Botschaft gesendet: Es muss sich etwas ändern“. Die Leute hätten „damit fertig“, wie die Regierung nichts tue, etwa „möglicherweise“ bei der Migration. Wie so oft sagt Lindner das richtige – aber er handelt nicht. Und nur Gott weiß vermutlich, warum er dieses „möglicherweise“ vorneweg schicken muss, als bestünde an dieser Frage an diesem Punkt ein ernsthafter Zweifel. Mit „FDP: Wir haben möglicherweise aus Fehlern gelernt“ gewinnt man keine Wahl.

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Besser spät als nie

Jetzt schwört Lindner die Parteiführung zunächst intern weiter auf „business as usual“ ein, wie eine interne Nachricht zeigt, die Focus Online vorliegt. „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die heutigen Wahlergebnisse werden in vielerlei Hinsicht eine Prüfung. Nicht nur, aber auch für uns“, schreibt Lindner – und ruft dazu auf, bis zu den Landtagswahlen in Brandenburg in drei Wochen die Reihen geschlossen zu halten. Man sollte den Parteifreunden im Wahlkampf dort „in jedem Fall ermöglichen, dessen Schlussphase mit Motivation, Würde und Respekt gestalten zu können. Meine Bitte ist daher, dass wir bei öffentlichen und internen Einordnungen Rücksicht nehmen. Entscheidungen zur weiteren Strategie mit Blick auf 2025 stehen erst nach Brandenburg an.“

Heißt das, nächsten Monat ist die Ampel weg? Oder doch weiter das, was die FDP zu ihrer selbstzerstörerischen Doktrin von „staatspolitischer Verantwortung“ gemacht hat? Es heißt vor allem: noch drei Wochen geschlossene Reihen. Keine vorschnellen Äußerungen nach Außen. Dass genau diese interne Anweisung dann binnen Stunden in der Presse ist, wirkt da zumindest nicht vielversprechend. Aber die Partei ist hochnervös.

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Dabei könnte die FDP bei nach Umfragen zunehmend eindeutigen vier Prozent im Bund mit Neuwahlen eigentlich nur gewinnen. Was ist die Alternative? Noch ein Jahr Ampel, und dann in einem halben Jahr gegen die eigene, stoisch durchregierte Bilanz Wahlkampf machen? Selbsterhaltungstrieb kann es nicht sein, es ist vielmehr das Gegenteil.

Es entscheidet sich jetzt: Spät ist immer noch besser als nie. Bald hat man auch den allerletzten Hauch einer Chance für einen glaubhaften Ausweg aus dem Ampel-Debakel verspielt. Und den Wahlkämpfern in Brandenburg hilft man auch nicht, indem man noch ein paar Wochen weiter siecht. Besser den FDP-Austritt aus der Ampel in Brandenburg zur Wahl stellen – schlimmer als jetzt kann es bei prognostizierten zwei Prozent eh nicht werden.

Für einen glaubhaften Abtritt hat man eigentlich jetzt schon zu viel schlechte Politik mitgetragen und wird im Wahlkampf ohnehin daran gemessen werden: An der Coronapolitik Karl Lauterbachs, der Gesellschaftspolitik der Grünen mit „Demokratiefördergesetz“, „Selbstbestimmungsgesetz“ oder an Habecks „Heizungsgesetz“. Überall stand auch der Name FDP drauf. Manches von dem, was da beschlossen wurde, war immerhin auch Parteilinie. Und die Änderungen, die man hier und da beispielsweise beim Gebäudeenergiegesetz noch rein verhandelt hat, werden bei der Bundestagswahl für die Wähler irrelevante, kleine Miniatursiege sein im Vergleich zur Gesamtbilanz. Die Ampel-Lebenslüge der FDP, dass man Rot-Grün irgendwie verbessere, Schlimmeres verhindere oder zumindest verschlimmbessere, kann sich doch im Ernst keiner mehr vormachen, schon gar nicht in der Partei selbst.

Das, was die FDP betreibt, ist nicht mal mehr Harakiri – Harakiri beschreibt immerhin ehrenvollen Selbstmord, der die Würde und das Gesicht eines Mannes restauriert. Die FDP wird nichts restaurieren und am politischen Tode der Partei wäre auch nichts Ehrenvolles, wenn sie 2025 aus dem Bundestag fliegt.

Die FDP hat den letzten, denkbar dünnsten Hauch einer Chance, aus der Koalition auszusteigen – der jeden Tag noch etwas dünner wird. Die Partei muss den Sprung aus der Ampel wagen. Der beste Moment war vor Jahren, vor zwei Tagen – aber der zweitbeste Moment ist jetzt. Was hat sie denn noch zu verlieren? Es ist besser, spät zu gehen, als nicht zu gehen. Und alles ist besser, als noch ein Jahr falsch zu regieren.

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