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Omi Merkel und das Sturkopf-Theorem

Angela Merkel beschallt in diesen Tagen ganz Deutschland mit ihrer Buchvorstellung. Bei unserer Autorin weckt das Krankenhaus-Erinnerungen. Über Sturköpfe im Alter und Menschen, die lieber schlafen statt leben wollen.

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Mit alten Leuten lohnt es nicht zu streiten. Diese Erfahrung habe ich vor allem in meiner praktischen Tätigkeit im Krankenhaus verinnerlicht. Versuchen Sie mal, einen alten Menschen, der sein ganzes Leben schon kein Vertrauen in Medikamente hatte, auf seine letzten Tage davon zu überzeugen, seine Tabletten zu nehmen. Oder einen Greis, der entschieden hat, nichts mehr essen oder trinken zu wollen, doch dazu zu bewegen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, den ich nur zu Beginn meiner Tätigkeit mit Elan geführt habe.

Aus dem Journalismus bin ich den Kampf um das beste Argument gewohnt, das harte Streiten über Tatsachen und logische Zusammenhänge – und eine gewisse Hartnäckigkeit in der Auseinandersetzung. Doch im Krankenhaus lernt man, dass man alte Leute kaum noch ändern kann und sie nicht selten ab einem bestimmten Punkt in einer Weltsicht festgefahren sind – aus der es kaum möglich ist, sie herauszureißen. Man lernt auch, dass es ab einem bestimmten Punkt sogar anständig ist, es nicht zu tun – weil ein Mensch, dessen Grundüberzeugungen so spät erschüttert werden, das mitunter gar nicht verkraften kann. Kurz: Wer viel mit alten Leuten zu tun hat, lernt wohl, ihre Sturheit zu akzeptieren und sich nur, wenn es absolut nötig ist, gegen sie aufzulehnen. 

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Nun ist Angela Merkel in diesem Jahr 70 geworden – und ich wäre geneigt, ihr dieselbe Milde angedeihen zu lassen. Wäre da nicht der Fakt, dass sie sich mir – uns allen – seit Wochen, und ganz besonders in den vergangenen Tagen, geradezu penetrant aufdrängt. Die Veröffentlichung ihrer Autobiografie hat sie in sämtliche Medien katapultiert – die Tagesschau hat ihre durchweg emotionsbefreite Buchvorstellung für würdig befunden, in den Hauptnachrichten erwähnt zu werden. Und selbst in den sozialen Medien wurde ich in diesen Tagen von einem Interview verfolgt, das die Komikerin Hazel Brugger – die in meiner Generation leider Gottes ziemlich bekannt ist – mit der Altkanzlerin geführt hat. 

Der gezeigte Ausschnitt des Interviews wurde von Brugger mit der Beschreibung „Schutzräume und Frauenrollen“ versehen und beinhaltet die Frage der Komikerin an Merkel, ob sie meine, Schutzräume für junge Frauen in der Politik geschaffen zu haben. Die Antwort der Kanzlerin: „Ich glaube, dass ich ein Rollenmodell gewesen bin, dass Frauen sich was zugetraut haben, dass Mädchen 16 Jahre aufgewachsen sind, mit mir als Kanzlerin, dass es also etwas Normales geworden ist und das ist für mich eine Freude.“ Als ich das sah, stieg mein Puls unvermittelt an. 

Immerhin war ich selbst erst sieben, als Merkel Kanzlerin wurde – ich bin also wohl oder übel von ihr mit gemeint. Und diese Antwort klingt nicht so, als würde sich Merkel damit nur auf den weiblichen Politikernachwuchs beziehen. Sie offenbart vielmehr, dass Merkel sich generell als Vorbild für junge Mädchen zu sehen scheint – und meint, ihre Politik habe – wie sie und Brugger es nennen – einen „Schutzraum“ (neudeutsch „Safe Space“) für Mädchen und junge Frauen geschaffen. 

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Nun, wenn Merkel eines in ihrer Zeit als Kanzlerin nicht getan hat, dann ist es Schutzräume für junge Frauen zu schaffen. Im Gegenteil. Mit ihrer Entscheidung, 2015 die Grenzen zu öffnen, hat sie zahlreichen jungen Frauen jeden Schutz im öffentlichen Raum genommen. Durch ihre Migrationspolitik hat sie zugelassen, dass zahlreiche junge Frauen von eingewanderten Migranten belästigt, vergewaltigt und getötet wurden und werden – und die Täter dies vor Gericht nicht einmal bereuen, weil dieser Umgang mit Frauen in ihren Herkunftsländern normal ist. Es wirkt fast wie ein Gemeinplatz, diese Erfahrung aus dem Alltagsleben zahlreicher Frauen, die ich kenne, aus den Medienberichten und Gewaltstatistiken hier noch einmal mehr anzuführen. 

Doch Frau Merkel scheint in einer anderen Welt zu leben. Das offenbart auch eine Passage des Interviews, in dem sie mit Brugger über ihr berühmtes Credo „Wir schaffen das“ spricht. Die Altkanzlerin erklärt dort: „Dieses ‚Wir schaffen das‘, was ich gesagt habe, das ist auf der einen Seite meine Haltung. Wenn sich etwas einem entgegenstellt, muss man es eben versuchen. Aber […] es ist auch eine Erfahrung, dass ich nicht enttäuscht wurde, dass so viele Menschen auch mitgemacht haben. Und daraus kommt der Reichtum unseres Landes.“ 

Hier fühle ich mich nun wirklich ausgesprochen stark an das Krankenhaus erinnert. Opa erzählt vom Krieg – und Oma Merkel von der angeblich gemeisterten Flüchtlingskrise. Befremdlich ist nur: Während sich bei den Arztvisiten alle Beteiligten bei solchen ausführlichen Vorträgen meist belustigt anlächeln oder peinlich berührt zurückziehen, wird Angela Merkel von sämtlichen Interviewpartnern aller Altersklassen geradezu auf Händen getragen. Ihre Zuschauer blicken zu ihr auf wie zu einer Heiligen – nicht wenige junge Influencer träumen in den sozialen Medien von den ruhigen Merkel-Jahren, in die sie sich zurückwünschen. 

Dass Merkel auf ihre alten Tage nicht weniger stur geworden ist, ist kaum verwunderlich. Doch was mich ratlos macht, sind all die Leute, die diese Frau bis heute verehren. Ich kann es mir nur durch Träumerei und, na ja, Dummheit erklären. Sie vermissen Mutti Merkel, die es noch heute vermag, ihre Zuschauer (je nach Perspektive) in den Schlaf zu wiegen – beziehungsweise bis in die Depression zu langweilen.

Ist ja alles so unübersichtlich geworden, seit sie weg ist. Und überhaupt ist das Leben im Allgemeinen und Speziellen unsicher und unangenehm ohne sie. Trump, Krieg, Klimawandel – und dann noch dieses kleine Ziepen im linken Zeh, das sofort weggeht, wenn Merkel spricht. Sollen sie träumen – aber meine Ohren schalten schon lange auf Durchzug. Ja, ja, Frau Merkel, ist gut, Frau Merkel. Wollen Sie die Suppe oder den Brei?

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