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Nicht die Ostdeutschen – die Architekten der Brandmauer sind der Demokratie überdrüssig

Die Reaktionen auf die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen sind vorhersehbar - Wähler- und Ossi-Bashing steht an. Und auch politisch sind die Ergebnisse der Wahlen schon entschieden, bevor das erste Wahllokal öffnet. Die wahren Demokratieverächter sind andere.

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Es ist Wahlsonntag, ein heiliger Tag in jeder Demokratie. Eigentlich. Doch die Heiligkeit dieses Tages ist beschmutzt – durch allerlei Aussagen und erwartbare Trends, die in diesem Sinne ein absolutes Sakrileg darstellen. Wir haben es heute, im Zusammenhang mit den Landtagswahlen im Osten, mit waschechten Demokratieverächtern zu tun – und damit sind nicht die Wähler in Sachsen und Thüringen gemeint.

Noch ist kein Wahlergebnis und keine Hochrechnung bekannt und noch wählen die Menschen in Sachsen und Thüringen fleißig. Dennoch steht manches jetzt schon fest. Drei Punkte sind jedenfalls so gut wie sicher und sehr vorhersehbar.

Wie genau die Wahl auch ausgehen wird – sicher ist, dass insbesondere die Verlierer sich in Wählerbeschimpfung ergehen werden. SPD-Chefin Saskia Esken erklärte ja bereits vor ein paar Wochen bei Markus Lanz, dass ihre Partei alles richtig mache und die Wähler das nur nicht begreifen würden. Es wird Leitartikel in den Haltungsmedien geben, die den Ostdeutschen pauschal ein Demokratie-Problem attestieren, weil der Ossi nicht so wählt, wie es der Wessi-Journalist gerne hätte. Damit drücken solche Schreiberlinge aber vor allem ihre eigene Demokratieverachtung aus.

Frustrierend muss es heute für CDU-Politiker in Sachsen und Thüringen sein: Die wissen im Grunde schon, wie die Wahl für sie ausgehen wird. In den politischen Folgen ist die Wahl nämlich längst entschieden. Die Parteizentrale in Berlin diktiert die „Brandmauer“ – und die logische Folge der Brandmauer gegen Rechts ist eine Regierung mit Links. Bereits jetzt regiert die CDU in Sachsen mit Roten und Grünen, in Thüringen sorgt sie mit einem sogenannten „Stabilitätspakt“ dafür, dass der linke Ministerpräsident Ramelow mit seiner Rot-Rot-Grünen Minderheits-Koalition im Amt bleiben kann. Das wird sich im Grunde auch so fortsetzen. Daran geht die CDU zwar mittelfristig kaputt (warum soll man CDU wählen, wenn man damit eine linke Koalition bekommt?) – aber dieser Kurs wird trotzdem fortgesetzt werden.

Politisch steht das Ergebnis der Landtagswahlen im Grunde schon fest

Nicht das prozentuale Ergebnis, aber das politische Ergebnis der Landtagswahlen steht daher schon im Voraus fest. Insbesondere in Thüringen wird die CDU mit dem Bündnis von Sahra Wagenknecht zusammenarbeiten müssen. Müssen, weil sie sich diese Bedingungen dank der Brandmauer selbst diktiert hat. Das ist Fakt. Vielleicht schafft es die „Kenia-Koalition“ in Sachsen von CDU, SPD und Grünen, ihre Mehrheit hauchdünn zu halten – aber letzte Wahltrends deuten allerdings nicht darauf hin. Sollte sie es trotzdem schaffen, dann regiert eine Koalition, die prozentual verloren hat – und in der die CDU weiter mit Rot-Grün zusammenarbeitet. Das entspricht vielleicht rechnerisch, wohl kaum aber authentisch dem Wählerwillen in Sachsen.

Das zeigt: Die Brandmauer, nicht die AfD, ist das wahre Demokratie-Risiko bei den Ostwahlen. Sie macht Wahlen eigentlich überflüssig – denn das Ergebnis steht schon fest. Und sie erzeugt berechtigterweise Verdruss gegenüber einem Parteiensystem, in dem es egal ist, wie man wählt. Die parlamentarische Demokratie wird so endgültig zur Parteien-Demokratie im schlechtesten Sinne, in der die Entscheidungen letztendlich nicht mehr vom Volk an der Wahlurne, sondern von Funktionären in den Parteigremien getroffen werden.

Demokratieverachtung der reinsten Sorte

Gerne – bestimmt auch heute wieder – wird von „Demokratieverdrossenheit“ und ähnlichen Dingen gesprochen, wenn man auf den Osten und die ostdeutschen Wähler schaut. Dabei sind diejenigen, die in Wahrheit der Demokratie überdrüssig sind, nicht die AfD-wählenden Ossis. Es sind die belehrenden Wessis, denen die Demokratie – die Herrschaft des Volkes – gegen den Strich geht. Die elitären Westdeutschen in Unternehmens-Führungsetagen, Redaktionsstuben, Parteizentralen und an den Universitäten finden, dass die Ostdeutschen falsch wählen. Der Meinung kann man freilich sein – nur ausdrücken sollte man sie nicht, vor allem nicht in dieser unerträglich-belehrenden Arroganz, als seien die Menschen in Sachsen und Thüringen zu doof für Demokratie. Das ist nämlich Demokratieverachtung der reinsten Sorte.

Die Wahrheit ist: Trotz aller Probleme und trotz eines Extremismus, den es im Osten sicherlich gibt, waren es die Ostdeutschen, die sich Demokratie erkämpft haben. Den Westdeutschen wurde sie hingegen geschenkt, in den Schoß gelegt. Kein Hamburger, Kölner oder Münchner musste tun, was die Leipziger, Dresdner oder Erfurter taten: Für die Demokratie unter Einsatz des eigenen Lebens auf die Straße gehen. Die Ostdeutschen haben sich das Recht erkämpft, zu wählen, wie und wen sie wollen – und reagieren deshalb zu Recht allergisch auf die, die ihnen dieses Recht mit der Macht des moralisch erhobenen Zeigefingers wieder absprechen wollen.

Die etablierten Parteien haben es weitgehend gar nicht für nötig gehalten, den Wahlkampf in Sachsen und Thüringen in der Sache zu führen. Für die Grünen ist das beste Argument ein rein rechnerisches – man brauche die Partei für die große Anti-AfD-Koalition. Die CDU in Thüringen meint: „Höcke ist doof, voll doof“, und ergeht sich in austauschbaren, ausgelutschten und in letzter Konsequenz leeren Anti-AfD-Phrasen. Und Mario Voigt meint, Höcke hat „Mettbrötchen“ statt „Gehacktes-Brötchen“ gesagt. So sieht inhaltliche Kapitulation aus. Auch das ist Demokratie-Überdruss und erzeugt ebenjenen bei den Wählern. Wählt uns nicht wegen dem, was wir tun – sondern wählt uns, weil die anderen doof sind? Das ist Wahlkampf, der die Demokratie aushöhlt.

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