Werbung

Historischer Anklang

Lindner legt Wirtschafts-Ultimatum vor – findet kommende Woche das Finale der Ampel statt?

Ein neues Papier von Finanzminister Christian Lindner sorgt für Sprengstoff in der Koalition. Nicht nur fordert der FDP-Politiker nahezu umsetzbare politische Entscheidungen, er erinnert mit dem Schreiben auch an ein FDP-Schreiben aus 1982, das damals zur Regierungszuglösung führte.

Christian Lindner wird immer mehr zum Risiko für die Koalition.

Werbung

Finanzminister Christian Lindner hat zuletzt mit einem alternativen Wirtschaftsgipfel für Aufsehen gesorgt. Jetzt spaltet der FDP-Politiker die Ampel-Regierung weiter. Laut Stern hat Lindner ein 18-seitiges Moratorium verfasst, in dem eine „Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“ gefordert wird. Damit greift der Finanzminister grundlegende Standpunkte der Koalitionspartner an und hinterfragt die realisierten Pläne von SPD und Grünen.

Während der Inhalt aus organisatorischen Gründen weniger als tatsächlich ernsthaft umzusetzende Forderungen des FDP-Politikers gemeint sein wird, erinnert das Papier an einen historischen Vorstoß der FDP im Jahr 1982, der letztlich auch zum Bruch mit dem damaligen Koalitionspartner, der SPD, führte. Lindner dürfte sich dieser Parallele bewusst sein: Auch damals war es ein FDP-Finanzminister, der mit den Forderungen nach einer Wirtschaftswende die von Helmut Schmidt geführte Regierung endgültig aufmischte.

...
...

Diese Regierung sei für „Misstrauen und Verunsicherung in der Wirtschaft verantwortlich“, schrieb Otto Graf Lambsdorff in dem am 9. September 1982 an die eigene Koalition gerichteten Papier. Auf 34 Seiten führte der FDP-Finanzminister damals sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ aus.

Lindners Moratorium klammert Letzteres zwar aus und umfasst mit 18 Seiten nur etwa die Hälfte des berühmten Lambsdorff-Papiers, ist inhaltlich aber den Ausführungen des damaligen Finanzministers ähnlich. „Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik, […] um auf ihre veränderten Rahmenbedingungen eigenverantwortlich reagieren zu können“, hält Lindner entschieden fest.

Lambsdorff hatte 1982 ähnliche Worte gefunden. Der FDP-Politiker schlug damals vor, „schrittweise auf einen Abbau der dargelegten gesamtwirtschaftlichen Strukturprobleme“ hinzuarbeiten. So sollten beispielsweise die „Investitionsbedingungen zuverlässig“ verbessert werden, die Gewerbe- sowie Vermögensteuer gesenkt und „der Wirtschaft damit den Glauben an die eigene Leistung und die eigene Zukunft“ zurückgegeben werden. Aus organisatorischen Gründen sollten außerdem einige Gesetzesvorhaben gestrichen werden, so Lambsdorff damals.

Lesen Sie auch:

Bei Lindner klingt das ganz ähnlich. Ein „sofortiges Moratorium zum Stopp aller Regulierungen“ solle verhängt werden, um die wachsende Bürokratie in Deutschland zu stoppen, schreibt der Finanzminister. Auch neue Gesetze sollen gestrichen oder eingeschränkt verabschiedet werden, sodass der bürokratische und regulatorische Aufwand durch deren Einführung nicht steigt. „Sie alle passen in der aktuell diskutierten Form nicht zu den Herausforderungen des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds“, schreibt Lindner zu den Gesetzesvorlagen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für das Tariftreuegesetz, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Entgelttransparenzgesetz, das Beschäftigtendatenschutzgesetz und die arbeitgeberfinanzierte Familienstartzeit.

Des Weiteren betont der FDP-Politiker einmal mehr nachdrücklich, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen. Zudem sollen Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen – beispielsweise mit der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Eine Position, die die FDP seit Beginn der Legislaturperiode vertritt. Die SPD hält hingegen an der Entrichtung des Solidaritätszuschlags durch die Spitzen- und Höchstverdiener der oberen zehn Prozent fest.

Der Bundesfinanzhof hatte eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag Anfang 2023 abgewehrt, trotzdem argumentiert Lindner, „Verfassungsrechtliche Bedenken“, würden eine Abschaffung nahelegen. „Er sollte in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent abgesenkt werden. In einem zweiten Schritt könnte er im Jahr 2027 dann vollständig entfallen.“ Im Gegenzug könnte etwa „die Körperschaftsteuer in einem ersten Schritt unmittelbar im Jahr 2025 signifikant um zwei Prozentpunkte reduziert werden. Die weiteren Schritte sollten spätestens in 2027 und 2029 folgen“, erläutert Lindner.

Neben dieser Kritik, die vor allem die SPD trifft, nimmt der Finanzminister auch die Kollegen der Grünen ungenannt ins Visier: „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen“, kritisiert Lindner.

Das 18-seitige Papier ist somit ein Anschlag auf die Koalition. Die vorgeschlagenen Änderungen könnten wohl kaum in dem noch verbleibenden Jahr bis zur Bundestagswahl umgesetzt werden, geschweige denn bei der momentan angespannten Stimmung innerhalb der Regierung realisiert werden. Aus dieser Perspektive erscheint Lindners Vorstoß als Reminiszenz des Lambsdorff-Papiers, das 1982 zur Folge hatte, dass alle vier FDP-Minister am 17. September zurücktraten.

Das Schreiben gilt auch als „Scheidungspapier“, weil Lambsdorff sich mit den dargelegten Forderungen nicht nur von der SPD distanzierte, sondern sich in einigen Punkten der Opposition anschloss. Während Schmidt eine Minderheitsregierung anstrebte, begannen Teile der FDP Gespräche mit der CDU zu führen – woran sich die Liberalen letztlich zerstritten. Die Christdemokraten in Person von Helmut Kohl stimmten einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Schmidt am 1. Oktober 1982 zu – erfolgreich. FDP und CDU übernahmen die Regierung.

Ein Misstrauensvotum ist jetzt aufgrund fehlender Mehrheiten und Verhältnisse zwar nahezu ausgeschlossen, die Ampel-Koalition könnte dennoch gesprengt werden und Neuwahlen veranlasst werden (Apollo News berichtete). Union und SPD kämen laut aktuellen Umfragen auf bis zu 50 Prozent. Wie auch 1982 sind derzeit vier FDP-Politiker in Ministerämtern eingesetzt, die Partei verliert zunehmend an Zustimmung und liegt in Umfragen derzeit bei vier Prozent.

Der einzige gesichtswahrende Ausweg der FDP aus der Regierung ist daher der Koalitionsbruch. Es könnte das Finale dieser Koalition einleiten – am kommenden Mittwoch ist Koalitionsausschuss. Befürworter eines Weiter-So gibt es eigentlich nirgendwo mehr. 

Werbung