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Ist die Lilium-Pleite ein neuer Wirecard-Moment?

Lange Zeit glaubte man in Deutschland an die Erfolgsgeschichte Lilium. In einem beschaulichen Dorf in Oberbayern sollte das Flugtaxiunternehmen die nächste große Innovation entwickeln. Praktisch ohne nennenswertes Produkt und mit immer wilderen Verheißungen an der Grenze zum Betrug gelang es Öffentlichkeit und Politik zu blenden.

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Lilium war die Hoffnung der deutschen Start-up-Szene. Das Unternehmen hatte eine einfache Idee: Mit Jets, die an fliegende Autos erinnerten, wollte man die Luftfahrt revolutionieren. Mit seinem technischen Know-how schlug das Unternehmen seine Zelte im beschaulichen Gauting in Oberbayern auf. Endlich, so schien es, hatte Deutschland auch ein solch innovatives Unternehmen, wie es Amerika mit Boston Dynamics, Tesla und SpaceX bereits hat. 2019 erhielt Lilium für seine Designs den prestigeträchtigen Red-Dot Award. Selbst internationale Medien, auch aus Amerika, pilgerten nach Gauting, um über das verheißungsvolle Start-up, das ursprünglich von Münchner Studenten gegründet wurde, zu berichten.

Doch nach und nach zeigten sich Risse in der Fassade des vermeintlich visionären Unternehmens. Mittlerweile gleicht die Geschichte des Unternehmens eher der von Wirecard als der von Tesla. Die Entwicklung der ersten Flugtaxis schien seit der Gründung 2015 auf Hochtouren zu laufen. 2019 stellte man ein Modell des fünfsitzigen Lilium-Jets vor. Später folgte eine siebensitzige Version. Auch ein Prototyp des Modells wurde gebaut. Journalisten wurden zur Demonstration in Flugsimulationen des kommenden Flugtaxis eingeladen, um nochmals die visionäre Leistung des Unternehmens zu demonstrieren. Doch viel mehr hat man bis heute nicht vorzuweisen.

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Finanziert wurde das Unternehmen anfangs teilweise durch halbstaatliche Förderprogramme der Europäischen Weltraumorganisation, teils durch private Investoren. Mit einem Börsengang im Jahr 2021 wollte man die finanziellen Probleme lösen. Damals versprach das Unternehmen, bis 2024 90 Flugzeuge in die Luft gebracht zu haben und gleichzeitig zumindest einen vorzeigbaren Umsatz zu erzielen. Doch aus den Versprechungen wurde nichts. Erst verschob man die ersten Testflüge des Lilium-Jets in die zweite Jahreshälfte 2024, bis man im Juli dieses Jahres nochmals nachbessern musste. Anfang 2025 sollte dann erstmals ein bemanntes Flugzeug des Unternehmens starten.

Doch auch daraus wurde nichts. Zunehmend waren private Investoren nicht bereit, das mittlerweile etwas dubiose Unternehmen zu finanzieren. Für viele Insider wurde anscheinend zunehmend klar, dass Lilium keine Flugtaxis, sondern lediglich Luftschlösser baute. Einzig in der deutschen Politik wollte man an die Lilium-Erfolgsgeschichte glauben. Nachdem Lilium die bayerische Staatsregierung um ein Darlehen in Höhe von 100 Millionen Euro gebeten hatte, entbrannte dort ein Streit in der Koalition. Während Söder sich vehement für eine Unterstützung Liliums einsetzte, lehnte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger dies ab. Söder sprach schließlich ein Machtwort und setzte die Unterstützung durch, unter der Bedingung, dass der Bund die Bürgschaft mit Bayern teile.

Aus der Bundesregierung kam anfangs Zuspruch. Bei der FDP und der SPD unterstützte man die Förderung, einzig die Grünen lehnten ab. So gab es aber keine Mehrheit in der Bundesregierung. Schließlich platzte Mitte Oktober der Deal, eine Bürgschaft kam nicht zustande. Vorher hatte das Unternehmen noch versucht, Druck auf die Regierung auszuüben. Ein Standortwechsel war plötzlich im Gespräch. Der deutsche Start-up-Verband forderte in einem offenen Brief Unterstützung für Lilium, um den Tech-Standort Deutschland zu retten.

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Das Gerede vom Standortwechsel war am Ende doch nur heiße Luft. Nun hat das Unternehmen am Donnerstag angekündigt, Insolvenz anmelden zu müssen. Die Aktie des Unternehmens brach daraufhin ein. Von etwa 0,50 Punkten brach der Kurs zeitweise um 80 Prozent auf lediglich 0,126 Punkte ein.

Lilium besitzt kaum noch Vertrauen bei privaten Investoren. Wieso sollte der Staat dann das Risiko übernehmen? Bereits jetzt wurden 1,5 Milliarden Euro an Investitionen in das Unternehmen gesteckt, ohne jegliche nennenswerten Erfolge. Auch die 100 Millionen Euro, die vom Bund und von Bayern gekommen wären, hätten wohl kaum zum endgültigen Durchbruch geführt, sondern wären lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein geblieben – man hätte einige Wochen länger durchgehalten.

Dennoch hielten bis zuletzt die Union, SPD und die FDP an einer Rettung von Lilium verbissen fest. Auch bekannte Investoren, wie Frank Thelen, sprachen sich für eine Unterstützung Liliums aus, wollten jedoch selbst kein weiteres Risiko übernehmen.

In einem ausführlichen Kommentar auf der Social-Media-Plattform LinkedIn begründete Thelen vor nur rund zwei Wochen seinen Einsatz für das Start-up. Dabei schrieb er sogar, dass es bei Lilium um die Zukunft Deutschlands ginge. Das Produkt des Unternehmens sei keine Vision, sondern greifbare Realität. Gleichzeitig prognostizierte der Investor dem Unternehmen eine glorreiche Zukunft: „Der Lilium-Jet ist aktuell das international beste Konzept und wird (…) großen Erfolg haben.“

Aus der FDP wurde die Entscheidung der Grünen, Lilium nicht auszuhelfen, scharf kritisiert. Man glaubte daran, dass das Unternehmen nun ins Ausland auswandern würde. In einer eindeutigen Stellungnahme sagte beispielsweise FDP-MdB Lukas Köhler, dass den Grünen der „Weitblick für Zukunftstechnologien und den Wirtschaftsstandort Deutschland“ fehle. Den Lilium-Jet nannte er unterdessen eine „echte Innovation(…)“

Die gesamte Posse um Lilium erinnert zunehmend an die Wirecard-Affäre von vor einigen Jahren. Auch damals verliebten sich deutsche Politiker in ein Unternehmen, dessen Versprechungen zu schön waren, um wahr zu sein. Selbst als bereits 2015 die angesehene Financial Times (FT) erste große Zweifel an Wirecard anmeldete, verschloss man in Deutschland lieber die Ohren davor. Ab 2019 ermittelte man sogar gegen zwei FT-Journalisten wegen Marktmanipulation.

Noch wenige Wochen vor der Insolvenz von Wirecard im Sommer 2020 versuchte die Bundesregierung, das offensichtlich betrügerisch agierende Unternehmen mit Krediten zu retten. Auch jetzt hielten Politiker von fast allen Parteien an der Geschichte Liliums fest. Unkenrufe seitens Insidern, wie beispielsweise Lieferando-Gründer Christoph Gerber, ignorierte man nur allzu gerne. Diesmal konnte das Desaster nur knapp verhindert werden; es flossen keine 100 Millionen Euro an Lilium. Der Fall zeigt aber erneut, wie schnell ein Unternehmen zahlreiche deutsche Politiker und Investoren mit Versprechungen von einer neuen visionären Idee in einen gefährlichen Schlaf verführen kann.

Ein Unternehmen, das tatsächlich so kurz vor einem großen Durchbruch steht, würde private Investoren mit Leichtigkeit finden. Dass der deutschen Start-Up-Szene und der FDP nichts anderes einfällt, als nach Staatsgeldern zu rufen, entlarvt ihre vermeintlich marktwirtschaftlichen Überzeugungen. Was Lilium bei Börsengang für Zahlen prognostizierte, grenzt rückblickend betrachtet allerdings an Betrug. Und in einigen Jahren wird man das Kapitel Lilium vermutlich eher in eine Reihe mit Wirecard stellen: In der Verzweiflung hängt man sich in Deutschland an Fantasien fest. 

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