Opfer eines Anschlags oder Simulant? Kurz vor der Landtagswahl in Bayern äußert sich die zuständige Staatsanwaltschaft in der Causa Chrupalla ungewöhnlich deutlich zu Wort: Und widerspricht dem AfD-Chef. Wenige Tage später muss sie dann allerdings zurückrudern. Ein unerklärlicher Fehler.

Eine Analyse •

Offensiv erklärte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt kurz vor der richtungsentscheidenden Landtagswahl in Bayern, es gäbe entgegen der Aussage Tino Chrupallas keine Indizien dafür, dass bei dem zuvor zusammengebrochenen AfD-Politiker eine Einstichstelle gefunden wurde. Chrupalla – Opfer eines Anschlags oder Simulant? Ungewöhnlich eindeutig äußert sich die Staatsanwaltschaft und erweckt den unmissverständlichen Eindruck: Chrupalla inszeniert sich nur zum Opfer. Deutschlandweit verbreiteten das Medien. Es stand fest: Die AfD hat einen Angriff inszeniert.

Wenige Tage nach der Wahl dann die plötzliche Wende. Die Staatsanwaltschaft erklärt: Es hat doch einen Einstich im rechten Oberarm des Bundessprechers der AfD gegeben. Und man muss sogar eine Falschaussage einräumen: Die Einstichstelle wurde von den zuständigen Ärzten nicht nur in der Anamnese niedergeschrieben, sondern sie wurde diagnostiziert. Diese entscheidende Aussage unabhängiger Mediziner war vor der Wahl bekannt – und wurde dennoch von der Staatsanwaltschaft bestritten. Der Reihe nach.

Stochern im Gerüchte-Nebel

Bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Theaterplatz in Ingolstadt musste Chrupalla am 4. Oktober wegen zunehmenden Unwohlseins mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Zunächst kursieren wilde Theorien, die den Vorfall relativieren oder Chrupalla gar eine Vortäuschung unterstellen – genauso wie Falschinformationen aus den Reihen der AfD, die später korrigiert werden müssen. Aus der AfD heißt es, es sei ein „Einstich im Körper des Chefs festgestellt“ worden. Seit dem tobt ein Kampf um diese zentrale Frage: Stich oder kein Stich. Anschlag oder keiner.

Chrupalla legt sich fest. Und schließlich liegt am Freitag vor der Wahl ein Arzt-Brief vor, in dem behandelnde Ärzte eine „intramuskuläre Injektion“ bei Chrupalla benennen, es wird sogar vom ZDF verifiziert. Der Arzt-Brief diagnostiziert eine „Nadelstichverletzung“ im rechten Oberarm. Infolgedessen sei es zu „Schwindel mit Übelkeit und Brechreiz sowie Kopfschmerzen mit präkollaptischem Ereignis“ gekommen.

Doch von dieser ärztlichen Diagnose will die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Apollo News zu diesem Zeitpunkt nichts wissen. Zwei Tage vor der Landtagswahl meldet man sich schließlich mit einer ungewöhnlich eindeutigen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Es heißt: „Die in der Anamnese durch die Ärzte niedergelegte Schilderung, bei einer politischen Veranstaltung sei Herr Chrupalla ‚beim Selfies schießen in einer Menschenmenge mit einer Spritze in den rechten Oberarm gestochen worden‘, finden in den bislang vorliegenden Zeugenaussagen […] keine Grundlage“. Das Schreiben, in dem der Einstich durch Ärzte benannt wird, wird zur Anamnese erklärt – das würde bedeuten, dass die Faktengrundlage lediglich Chrupallas Aussage wäre und kein darüber hinausgehender ärztlicher Befund. Damit wäre der Arzt-Brief faktisch irrelevant, denn dass Chrupalla selbst von einem einen Einstich spricht, war ja bereits bekannt. Bundesweit wird entsprechend berichtet.

Die Augsburger Allgemeine meldet dann, dass es sich bei der Darstellung einer „intramuskulären Injektion“ um die Beschreibung „des Verletzungsbildes auf Grundlage von Chrupallas Angaben“ handele. Dabei spricht das veröffentlichte – und zu diesem Zeitpunkt von zahlreichen Medien verifizierte – Arztschreiben, eindeutig von „Diagnosen“. Doch die Staatsanwaltschaft weist all das zurück.

Bayerns Innenminister nennt AfD „infam und hinterfotzig“

Weil keine schädlichen Substanzen in Chrupallas Blut nachgewiesen werden können und Zeugen lediglich sahen, wie sich der AfD-Abgeordnete an den Oberarm fasste, wird ein tätlicher Übergriff zwei Tage vor den Landtagswahlen zunächst abgetan, auch ranghohe Politiker äußern sich einschlägig zum unklaren Tathergang.

„Wie infam und hinterfotzig die AfD im Landtagswahlkampf versucht, aus den Vorfällen bei ihrer eigenen Klientel Kapital zu schlagen, ohne die Ermittlungen abzuwarten“ sei erschreckend, monierte Bayerns Innenminister, Joachim Herrmann, am 6. Oktober. Trotz eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Ingolstadt gegen Unbekannt gäbe es „bislang keine Erkenntnisse, dass Chrupalla angegangen oder angegriffen wurde“, so Herrmann.

Dann wurde es zunächst still um Chrupalla. Als sich auch diese Aufregung nach den Wahlen wieder gelegt hatte, folgte der nächste Knall seitens der Staatsanwaltschaft: „Es hat eine Einstichverletzung gegeben“, räumte die bayerische Behörde am 11. Oktober, drei Tage nach den Landtagswahlen und eine Woche nach dem Vorfall ein. In der Mitteilung kommt es zu zwei brisanten Aussagen. Zunächst korrigiert sich die Staatsanwaltschaft nun und erklärt, dass diese Einstichverletzung im Arztbericht „Teil der Diagnose, nicht der Anamnese“ war – und damit schon längst vorlag, seitens der Staatsanwaltschaft nur falsch interpretiert wurde. Ein kaum erklärbarer Fehler – schließlich behauptete man zuvor explizit das Gegenteil, obwohl auf dem Arzt-Brief groß und gleich am Anfang von „Diagnosen“ die Rede ist.

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Außerdem räumt die Staatsanwaltschaft ein: „Und sie hat Blut auf Tino Chrupallas Kleidung hinterlassen.“ Damit besteht ein weiteres eindeutiges Indiz für eine Einstichstelle. Zur Frage, wie dieser Fehler passieren konnte, wollte sich die Staatsanwaltschaft gegenüber Apollo News nicht äußern.

Das bayerische Staatsministerium für Justiz teilte auf Anfrage von Apollo News zudem mit, dass die Ingolstädter Staatsanwaltschaft das Ministerium permanent über den aktuellen Ermittlungsstand informierte. Die Staatsanwaltschaft ist dem Justizministerium gegenüber weisungsgebunden – und das war in den Vorgang im Detail involviert.

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