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Die Mistgabel der Wirklichkeit und das unerschöpfliche Selbstmitleid des politischen Berlins

Hastig wird daran gearbeitet, die Bauern als Umstürzler, Staatsfeinde oder Rechtsradikale abzustempeln. Die Ampel suhlt sich derweil in Selbstmitleid und Ignoranz. Dabei hat man sich die Wut redlich verdient - und die Wirklichkeit holt einen immer irgendwann ein.

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Mit hochrotem Kopf spricht Lindner beim Dreikönigstreffen seiner Partei, beschwert sich über die Gemeinheit der Opposition, fordert die Bauern hilflos auf, sie mögen „Kehrt machen“. Er presst die Hände zu einer Art bittenden, gleichzeitig aggressiven Geste zusammen. Selten hat man den eigentlich rhetorisch glatt perfektionierten FDP-Chef so angefasst gesehen – man merkt gleich: Er fühlt sich von der Wirklichkeit ungerecht behandelt. Die denkbar schlechteste Eigenschaft für einen Anführer. Von der Wirklichkeit umzingelt fühlt sich Koalitionsfreund Robert Habeck aber schließlich schon lange. Und jetzt sitzt man geradezu im Realitätskessel. Tausende Bauern und LKW-Fahrer blockieren das halbe Land und ziehen nach Berlin.

Und schnell trendet auf Twitter schon „Weimar“, weil linke Schreiberscharen den angeblichen Angriff auf Robert Habeck zum versuchten Staatsstreich hoch schreiben. Ampel-Politiker fordern nicht nur uneingeschränkte Solidarität, sondern gar, dass die Bauern ihren Protest insgesamt absagen müssten. Im Erzgebirgskreis leistet ein CDU-Landrat gleich Folge und kündigt umfassende Demo-Verbote an, sogar Schulen werden geschlossen. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer will prompt die „neuen Medien“ regulieren. Steigern könnte man das nur noch, wenn man wieder den Bauernjörg gen Frankenhausen marschieren ließe. 

Die Sehnsucht nach Weimar

Der Grünen-Politiker Peter Heilrath unterstellt Welt-Chefredakteur Poschardt gleich mal „Fackelträger neuer Militanz“ zu sein, weil der die Bauern in Schutz nahm. Heilrath meint: „Ich bin sehr überzeugt, dass er auch vorne stehen wird, wenn es wieder gegen Minderheiten oder Juden geht.“
Das zeigt auch sehr schön, woher die grüne Sehnsucht nach Weimar rührt: Man sieht sich selbst als letzte Garde der Demokratie, die Juden von heute, die moderne weiße Rose. Jedenfalls unterbewusst. Man will sein eigenes Martyrium zum Nulltarif.

Es stellt sich heraus: Das meiste der Geschichte um den „Sturm auf Habeck“ ist aufgebauscht. Weder wurde Feuerwerk als Waffe eingesetzt, noch kam es zu ernsthafter Gewalt. Ein Bild, das Robert Habeck im Angesicht des „Mobs“ zeigen soll, stellt sich als Fake heraus, wie tatsächlich der dpa Faktencheck vermeldet. 

Dennoch geht es weiter. Im WDR erklärt Journalist Olaf Sundermeyer, bei Teilen der Demonstranten ginge es um Pläne eines „Umsturzes“. Cem Özdemir meint, man hätte „feuchte Träume von Umstürzen“.

Das Selbstmitleid der Ampel und ihrer Freunde ist unerschöpflich. Warum sind alle so böse zu uns? „You can’t twist the fabric of reality without having it snap back.“ – mit diesem Satz ist der bisweilen etwas fragwürdige kanadische Psychiater Jordan Peterson berühmt geworden. Zu Deutsch etwa: Die Beschaffenheit der Realität kann nicht verdreht werden, ohne dass die Realität zurückschnappt. Peterson berichtet von einem Phänomen, bei dem Menschen, die versuchen, die Realität zu verdrehen, erst zu einem späteren Zeitpunkt, die daraus resultierenden Konsequenzen zu spüren bekommen, ohne dass sie die Konsequenzen auf den Grundfehler zurückführen können – und sich dann der Ungerechtigkeit der Welt ausgesetzt fühlen.

Das Parteiensystem hat keine Antwort

Peterson versucht hier das Konzept in eine Art wissenschaftliche Form zu gießen, was man neudeutsch Karma oder klassisch Schicksal oder universelle Gerechtigkeit nennen würde. Im politischen Berlin ist es jedenfalls Tatsache. Man hat die Landwirtschaft jahrelang plattgemacht: Mit immer neuen Verordnungen Pflanzenschutzmittel abgebaut, Dünger wegreguliert und mit unendlicher Bürokratie immer mehr landwirtschaftliche Produktion schlichtweg zu schlechteren Bedingungen ins Ausland verlagert. Der Agrardiesel war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Jahrelang dachte man sich, mit den Bauern kann man das schon machen, was wollen sie tun – jetzt wundert man sich, dass die Realität zurückschnappt. Mit der Mistgabel.

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Die Union ist an dem Ganzen nicht unbeteiligt – auch unter der Regierung Merkel waren die Bauernproteste schon da, der Unmut unübersehbar. Auch deshalb gehen die Bauern so aggressiv auf die Straße – weil es das Parteiensystem nicht mehr vermag, die Empörung aufzufangen und in einen parlamentarischen Ablauf zu bringen.

Die Arroganz und Selbstbezogenheit des politischen Berlins hat den Kessel überhitzen lassen – jetzt fliegen die Ventile raus. Es ist das kumulierte, ruckartiges Zurückschnappen der Realität gegen eine Politik, die die Wirklichkeit längst als ihren stärksten Feind identifiziert hat.

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