Werbung

Neuwahl-Affäre

Die Chronik der dubiosen Gespräche zwischen dem Kanzleramt und der Bundeswahlleiterin

Wie kann es sein, dass die Bundeswahlleiterin innerhalb eines Tages ihre Meinung zur Machbarkeit einer Neuwahl so drastisch ändert? Gab es eine politischer Einflussnahme? Eine Chronik der Behördenkommunikation wirft weitere Fragen auf.

Werbung

Wie kann es sein, dass eine unabhängige Behördenleitung, wie die Bundeswahlleiterin Ruth Brand, über Nacht ihre Meinung über eine mögliche Neuwahl derart ändert? Einen Tag nach der Auflösung der Ampelkoalition, am Donnerstag, erklärte ein Sprecher der Bundeswahlleiterin, dass eine kurzfristige Neuwahl aus Sicht der Bundeswahlleiterin kein Problem sei. Am darauffolgenden Freitag änderte Brand ihre Meinung. Plötzlich warnte sie vor den „unabwägbaren Risiken“, die eine Neuwahl mit sich bringen könnte.

Auf Nachfrage von Apollo News, ob dieser Meinungswechsel mit einer Weisung aus dem Kanzleramt zu tun haben könnte, und ob es vor der Versendung des Briefs einen Kontakt zum Bundeskanzleramt gegeben habe, erklärte der Pressesprecher der Bundeswahlleiterin, die Bundeswahlleiterin habe „das Hinweisschreiben dem Chef des Bundeskanzleramts den Inhalt des Schreibens lediglich kurz vor Versand telefonisch angekündigt.“ Einen weiteren Kontakt wollte man zunächst nicht bestätigen. Zuvor versicherte man gegenüber Apollo News, dass die Bundeswahlleiterin „bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben“ als „unabhängiges Wahlorgan – ebenso wie die übrigen Wahlorgane – nicht an Weisungen, sondern an die gesetzlichen Vorschriften gebunden“ sei.

...
...

Dass es eine politische Einflussnahme gegeben haben soll, dementierte das Amt erneut gegenüber dem ZDF. „Es gab auch keine Weisung oder Einflussnahme auf die Position der Bundeswahlleiterin im Zusammenhang mit Neuwahlen“, hieß es dort. Am Sonntag berichtete die Bild über einen weiteren Austausch der Bundeswahlleiterin mit dem Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Diesen Kontakt verschwieg die Bundeswahlleitung gegenüber Apollo News.

Laut Aussagen des Bundespresseamts gegenüber der Bild fand am vergangenen Freitag ein Telefongespräch zwischen der Bundeswahlleiterin und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt statt. Die Welt veröffentlichte ebenfalls eine Rekonstruktion der Ereignisse, die man von der Bundeswahlleitung erhalten habe. Laut diesem Protokoll habe Brand um 10:20 Uhr im Kanzleramt angerufen „und äußerte bei den Mitarbeiterinnen des Vorzimmers die Bitte um ein Telefongespräch mit Bundesminister Schmidt. Dieser befand sich in einer Veranstaltung und wurde nach Ende der Veranstaltung von seinen Mitarbeiterinnen über den Anrufwunsch informiert“.

Um 12:10 Uhr „ermittelte das Büro von Bundesminister Schmidt einen Rückruf bei der Bundeswahlleiterin“. Dort erklärte Brand, dass sie „zeitnah ein Schreiben an den Bundeskanzler und Bundespräsidenten versenden werde, in dem sie Sorgen in Hinblick auf einen zu frühen Wahltermin äußern werde.“ Weiter hieß es: „Sie habe diejenigen anschreiben wollen, die in Hinblick auf den Neuwahltermin Entscheidungen zu treffen hätten.“ Mit dem Anruf bei Bundeskanzleramtschef Schmidt wollte sie „sicherstellen, dass die Dringlichkeit der Nachricht bei den richtigen Adressaten ankommt“.

Lesen Sie auch:

Rund eine Stunde später, um 13:19 Uhr, wurde das Schreiben an das Kanzleramt versendet und etwa 60 Minuten später an Bundeskanzler Scholz weitergeleitet. Zusätzlich soll Schmidt gegen 14:17 Uhr erneut per SMS mit Brand Kontakt aufgenommen haben, um nachzufragen, ob noch andere Politiker über den Brief informiert wurden oder ob das Schreiben nur an den Bundeskanzler ging. Neben Kanzler Scholz und seinem Vertrauten Schmidt wurde auch die Bundestagspräsidentin in die Angelegenheit eingeweiht.

Das Kanzleramt weist die Vorwürfe der Einflussnahme zurück. Ein Sprecher von Wahlleiterin Brand betonte ebenfalls: „Es gab keine Weisung oder Einflussnahme auf die Position der Bundeswahlleiterin im Zusammenhang mit Neuwahlen“, hieß es gegenüber der Bild.

Seit dem Richtungswechsel der Bundeswahlleitung wurde viel über eine mögliche Parteimitgliedschaft der Bundeswahlleiterin spekuliert. Gegenüber Apollo News erklärte ein Sprecher: „Frau Brand gehört keiner Partei an und sie war auch nie Mitglied einer Partei.“

Diesen schnellen Meinungswechsel der Behörde von „einer Neuwahl stehe nichts im Weg“ hinzu „eine Neuwahl bringe unabsehbare Risiken mit sich“, begründete man ebenfalls gegenüber diesem Magazin.

Am 07.11. hätte ein „Beschäftigter der Bundeswahlleiterin“ der Deutschen Presse-Agentur gegenüber erklärt, dass man sich als Behörde an die gesetzlichen Fristen halten müsse. „Hieraus wurde in der Presseberichterstattung mitunter abgeleitet, dass sich die Bundeswahlleiterin für eine Wahl im Januar ausgesprochen hat“, so die Erklärung. Laut dem Sprecher stünden die Aussagen des Mitarbeiters „nicht im Widerspruch zu den Aussagen von Frau Brand gegenüber Medien und im Schreiben an den Bundeskanzler“.

Es sei die Aufgabe der Bundeswahlleitung, neben der Sicherstellung ordnungsgemäßer Wahlen, auch „auf Risiken hinzuweisen“, dies hätte Frau Brand in dem Schreiben getan.

Laut dem Sprecher habe Frau Brand ebenfalls in dem Schreiben zum Ausdruck gebracht, „dass die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie“ sei. Daher sei es „erforderlich, den vom Grundgesetz vorgegebenen Zeitraum der 60 Tage ab Auflösung des Deutschen Bundestages voll ausschöpfen zu können, um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können.“

Wer das Schreiben an die Presse durchgesteckt haben könnte, scheint bei der Bundeswahlleitung niemanden zu interessieren. Der Brief der Wahlleiterin an Scholz wurde erstaunlich schnell an den Spiegel durchgestochen – der Verdacht liegt nahe, dass es gewollt war, dass der Brief möglichst schnell öffentlich wird. Auf Apollo News-Nachfrage erklärte die Bundeswahlleitung: „Wir ermitteln nicht, auf welchem Weg das Schreiben an die Öffentlichkeit geraten ist.“ Normalerweise wird undichten Stellen in Behörden und Ämtern nachgegangen, um zu gewährleisten, dass vertrauliche Dokumente nicht an die Öffentlichkeit gelangen.

Natürlich könnte es auch sein, dass eine Stelle des Bundeskanzleramts das Schreiben durchsickern ließ. Denn im Kanzleramt ist das Interesse, Neuwahlen so unbequem wie möglich zu machen, wesentlich höher. Das Bundeskanzleramt ließ eine ähnliche Anfrage von Apollo News unbeantwortet und verwies lediglich auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums.

Werbung