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Der „Finance Bro“ treibt die Feuilleton-Klasse in den Wahnsinn: Ist Kapitalismus wieder sexy?

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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Als Digital Native ist meine durchschnittliche Bildschirmzeit länger als mein nächtlicher Schlaf, und da ich ein Millennium-Baby bin, verbringe ich einen erheblichen Teil dieser Zeit nicht auf Facebook (wo ich noch nie einen eigenen Account hatte), sondern auf Instagram. Für TikTok bin ich noch nicht digital native genug, weshalb mein Gehirn in meiner Kindheit noch die Möglichkeit hatte, mich mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeitsspanne und Persönlichkeit auszustatten.

Ich sage mir immer, dass ich mit Instagram am Puls der Zeit bleibe, immer als Erste weiß, welche sozioökonomischen Bewegungen es in der Gesellschaft gibt, was als Journalistin doch unabdingbar ist. Daher war ich auch in der ersten Reihe dabei, als der Finance Bro entstand. Der Begriff kommt aus den USA und beschreibt Männer, die im Finanzsektor arbeiten. Vor allem sind Investmentbanker gemeint, die ihr natürliches Habitat an der Wall Street besiedeln, doch inzwischen ist es ein dehnbarer Begriff, Hauptsache irgendwas mit Wirtschaft, Grafiken und Zahlen.

Es gibt jedoch eine Bedingung: die Finance-Bro-Uniform. Finance Bros sind unschwer zu erkennen. Sie tragen Chinohosen, aufgeknöpfte Hemden und eine Weste (auch Power Vest genannt), meistens mit aufgesticktem Morgan Stanley Logo oder welcher Elite-Firma auch immer man seine Seele verkauft hat. Sie tragen, je nach Alter, ein Headset, AirPods oder ihr Iphone in der Hand, Hauptsache sie telefonieren nonstop. Wenn sie ihr Handy mal nicht zum Telefonieren nutzen, dann überprüfen sie ihr Depot.

Damit ist es den Finance Bros wichtig, sich zwar durch angemessene Bürokleidung von der restlichen Bevölkerung abzuheben, jedoch trotzdem lässig, nahbar und damit – vor allem nach der Finanzkrise 2007 – vertrauenswürdig herüberzukommen, daher auch der Verzicht auf den unnahbaren Anzug-mit-Krawatte-Look.

Der Hype um die Finance Bros entstand ursprünglich als Meme. In den Finanzvierteln kann man morgens um 8 Uhr und um 13 Uhr zur Mittagspause ganze Horden von Finance Bros beobachten, die alle ihre kleinen Finance-Bro-Uniformen tragen und mit Kaffee in der Hand über Aktien sprechen. Bilder davon gingen auf den sozialen Medien um, es wurden Videos mit Ausschnitten aus The Wolf of Wall Street oder American Psycho erstellt.

Der „Sommer des Rückschritts“?

Doch dann drehte sich die Stimmung nach und nach. Finance Bros wurden immer noch auf ihre putzige Art als etwas speziell angesehen, doch sie wurden zu einem Phänomen, einem Trend, einem Vibe. Männer bezeichneten sich stolz selbst als Finance Bros, machten Videos von ihren Westen- und Uhrensammlungen. Unter Frauen wurde ein Finance Bro als Freund der neue Geheimtipp. Die Schwelle zwischen Satire und ehrlicher Sympathie wurde immer dünner.

Zum Höhepunkt dieses Hypes kam der „Man in Finance“-Song plötzlich aus dem Nichts. Eine TikTokerin sang darin: „I’m looking for a man in finance, with a trust fund, 6’5, blue eyes“ (zu Deutsch: „Ich suche einen Mann im Finanzwesen, mit einem Treuhandfonds, 1,95 m groß, blaue Augen”). Das Originalvideo war nur ein kurzes TikTok-Video, das schnell auf allen Social-Media-Plattformen verbreitet wurde und Millionen Klicks generierte. Mehrere bekannte Musiker, darunter David Guetta, sprangen auf und mixten daraus ganze Lieder.

Dies- und jenseits des Atlantiks wurde „Man in Finance” damit nicht nur zum Internet-Phänomen, sondern weitläufig als „Lied des Sommers“ betitelt. In der ganzen Version ist eingespielt, wie eine Frau mit ihrer Freundin telefoniert: „Hi, ich komme gerade vom Date. Ich weiß nicht, verlange ich zu viel? Er war wirklich süß, er ist Musiker und super leidenschaftlich bei dem, was er tut. Aber keine Ahnung … alles, was ich suche…“ und dann geht der „I’m looking for a man in finance“-Refrain und der Elektro-Beat wieder los.

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Nun darf aber niemand einfach nur harmlosen Spaß haben, wenn FAZ-Feuilleton-Kommentatorinnen da noch ein Wörtchen mitzureden haben. Mitte dieser Woche veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine daher einen Kommentar, in dem unter anderem der Hype um „Man in Finance“ als „Sommer des Rückschritts“ betitelt wird.

Der Song würde Frauen „zur Suche nach reichen Männern“ aufrufen. „Wo ist die Emanzipation geblieben?“, fragt die Autorin. Nun, wahrscheinlich da, wo die FAZ ihren Sinn für Ironie gelassen hat. Megan Boni, bekannt unter ihrem TikTok-Handle „Girl on Couch“, die junge Sängerin, die hinter „Man in Finance“ steht, hat zur Entstehungsgeschichte des Songs gesagt: „Ich bin selbst Single und wollte mich darüber lustig machen. Also dachte ich an die unmöglichsten, haarsträubendsten Ansprüche, die man an einen Mann nur stellen kann.“ Dass das Lied eine Parodie ist, weiß die Autorin zwar, kritisiert aber, dass das Lied trotzdem einen wahren Kern habe. Dass sich Frauen tatsächlich reiche Männer wünschen, würde die Bestrebungen nach Emanzipation „zunichtemachen“.

Na gut, Frau Obertreis, schreiben wir das Ganze doch mal um: „Ich suche nach einer Frau im Finanzwesen, mit Millionenerbe, 50 kg, blondes Haar.“ Ich kann Sie schon hören: Die armen Frauen aus dem Finanzsektor, die so skrupellos gebodyshamed werden, ’ne? Und ist das wirklich alles, wofür eine Frau da sein soll, Mitgift und Deko?

Die ideale Risikoanlage?

Man kann aus der linken Perspektive aus einem schwächlichen, selbst-diskriminierenden Kontrollverlust eine toxisch-männliche Kontrollübernahme machen, indem man nur die Geschlechter wechselt. Die FAZ hat bei dem Versuch, sich zur letzten Kämpferin der weiblichen Emanzipation zu machen, einfach nur die eigene sexistische Weltsicht offengelegt, in der Frauen nur passive Rollen einnehmen können. Aber man musste ja unbedingt jedem den Spaß verderben.

Mal ganz abgesehen davon, dass die FAZ weder Satire noch Sexismus erkennen kann – was ist bitte so schlimm daran, nach einem Mann im Finanzwesen zu suchen? Diese Bewegung kommt für junge Frauen genau richtig. Diesen Sommer schmachtet man keinen Gitarristen oder Philosophiestudenten mit langen Haaren und abgewetzter Lederjacke hinterher, nur weil sie ein Motorrad haben, charmant rumflirten können und was von wahrer Liebe labern – nach einem Date bei Burger King aber schon Privatinsolvenz anmelden müssen und morgen die gleichen Floskeln einer anderen erzählen.

Diesen Sommer sucht man sich einen Finance Bro, der vielleicht ein bisschen steif ist und keine Unterhaltung führen kann, die nicht irgendwann auf den DAX zurückkommt – aber im Restaurant easy mit der AmEx zahlen und die Prozentrechnung für das Trinkgeld im Kopf ausrechnen kann. Diesen Sommer beeindruckt man eine Frau nicht mit Waschbrettbauch oder schräg gesungenem Liebeslied, sondern mit dem effizienten Erstellen einer Excel-Tabelle und einer intellektuell stimulierenden Analyse der japanischen Wirtschaftskrise.

Diesen Sommer wird der Standard hochgesetzt. Ich kann mir, um nochmal auf die sozioökonomischen Entwicklungen zurückzukommen, die ich auf Instagram im Blick haben will, gut vorstellen, dass dieser Finance Bro-Hype im Zusammenhang mit der weltweiten Wirtschaftskrise stehen könnte. Wenn der Iced Matcha Latte unbezahlbar wird, ist das für die schlaue Frau das Zeichen, auf einen zuverlässigen Mann zu setzen. Männer spekulieren mit Aktien, Frauen mit ihrer Männerwahl. Finance Bros scheinen mir da eine gute Risikoanlage und hoch im Kurs zu sein.

Als Frau einen reichen Mann zu suchen, ist nichts Neues. Ich persönlich habe mir das bereits im Kindergarten zum Ziel gesetzt. Aber das ist doch gerade super. Da hat man gleich schon mal was mit seinem zukünftigen Finance-Liebhaber gemeinsam, der auch Erfahrung darin haben dürfte, alte Methoden als große Innovation zu vermarkten. Wie heißt es nochmal so schön? Verkaufe mir diesen Stift.

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