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Plötzlich umentschieden

Der dubiose Brief der Bundeswahlleiterin – und ein Vorwurf, der den Kanzler das Amt kosten könnte

Plötzliche Kehrtwende: Erst erklärte die Bundeswahlleiterin eine kurzfristige Neuwahl für unproblematisch, einen Tag später warnt sie mit dramatischen Worten vor den Risiken. Das spielt Scholz irritierend passend in die Karten.

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Eine kurzfristige Neuwahl sei aus Sicht der Bundeswahlleiterin kein Problem – ein Sprecher sah keine besondere Herausforderung bei kurzfristiger Ansetzung. So hieß es zumindest am Donnerstag. Am Freitagnachmittag ist plötzlich alles anders: der Spiegel veröffentlichte ein Schreiben von Brand, in dem sie plötzlich aufgrund von „unabwägbaren Risiken“ vor einer Neuwahl warnte – und sogar in den Raum stellte, dass die ordnungsgemäße Durchführung bei einer kurzfristigen Ansetzung „nicht hinreichend gewährleistet“ sein könnte. Sie fuhr schwere Geschütze auf – sogar „das Vertrauen in die Integrität der Wahl“ und die „Grundpfeiler der Demokratie“ seien in Gefahr. Ein Alarmruf – und eine blitzschnelle Umentscheidung, die erhebliche Fragen aufwirft.

Denn genau dieser Brief kommt Kanzler Scholz jetzt sehr gelegen. Er steht massiv unter Druck, die Wahlen schneller als von ihm geplant durchzuführen und sofort die Vertrauensfrage zu stellen. Der Kanzler aber braucht Zeit und will noch Gesetze durchsetzen. Da liefert ihm die Bundeswahlleiterin verdächtig gute Argumente – insbesondere, wenn man bedenkt, dass Ruth im Geschäftsbereich von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) arbeitet. Gab es Kontakte zu Faeser oder anderen Teilen der Bundesregierung? Wurde der Brief abgesprochen, wurde gar Druck gemacht? Nius berichtet über Kontakte aus dem Umfeld des Bundeskanzlers im Vorfeld des Briefes, es soll sogar Druck ausgeübt worden sein. Auch die schnelle Veröffentlichung des Briefes wirft Fragen auf.

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Der Bundeskanzler hielt bis Freitag noch an seinem Plan fest, eine Vertrauensfrage vor dem Bundestag erst am 15. Januar stellen zu wollen. Nach dem EU-Gipfel in Budapest erklärte Scholz: „Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren.“ Zuerst möchte er mit den „demokratischen Fraktionen“ im Bundestag klären, welche Gesetze noch in diesem Jahr verabschiedet werden können. Scholz fügte hinzu: „Diese Verständigung könnte dann auch die Frage beantworten, welcher Zeitpunkt der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen – auch im Hinblick auf den möglichen Neuwahltermin.“ Dass die Bundeswahlleiterin nun in einem Brief vor den Risiken von Neuwahlen warnt, spielt dem angeschlagenen Kanzler in die Karten – nun muss er nicht mehr den starren Blockierer spielen, sondern hat ein viel besseres Argument.

Der Bundeswahlleiter spielt eine zentrale Rolle im demokratischen System, indem er für die ordnungsgemäße Durchführung von Wahlen auf Bundesebene verantwortlich ist. Ob Bundestagswahlen, Europawahlen oder Volksabstimmungen – der Bundeswahlleiter sorgt dafür, dass diese Wahlen korrekt vorbereitet, durchgeführt und die Ergebnisse zuverlässig ermittelt werden. Seine Aufgaben umfassen neben der Organisation auch die Zulassung von Wahlvorschlägen und die Bekanntgabe der Wahlergebnisse.

Zentral dabei ist die absolute Unabhängigkeit seiner Arbeit. Diese garantiert, dass der Bundeswahlleiter seine Aufgaben frei von politischem Einfluss ausführen kann. Er ist nicht weisungsgebunden und muss seine Entscheidungen und Handlungen nach objektiven Maßstäben treffen. Diese Unabhängigkeit soll die Integrität der Wahlen schützen und absichern, dass das Vertrauen der Bürger in die Fairness des Wahlprozesses nicht gestört wird. Die Unabhängigkeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Systems in Deutschland.

Er ist ebenfalls dazu verpflichtet, die Gebote des Grundgesetzes umzusetzen – dieses sieht Neuwahlen jederzeit 60 Tage nach Auflösung des Bundestages vor. Dass das genau jetzt nicht möglich sein soll, wirft ohnehin schon schwerwiegende Fragen auf.

Dass Scholz nicht vor geheimen Absprachen oder Treffen zurückschreckt, ist aus der Cum-Ex-Affäre bekannt. Der Bundeskanzler, damals noch Bürgermeister von Hamburg, hat sich mehrmals mit einem der Hauptverdächtigen im Cum-Ex-Skandal, Christian Olearius, ehemaliger Chef der Warburg Bank, getroffen. Dieser hatte die Treffen in seinem Tagebuch vermerkt – Scholz gab damals an, sich an keine Treffen erinnern zu können.

Neben der akuten Regierungskrise eröffnet sich nun für den Bundeskanzler ein unangenehmer Nebenschauplatz. Sollte es hier in irgendeiner Weise Absprachen zwischen der Bundeswahlleiterin und dem Kanzleramt beziehungsweise der Bundesregierung gegeben haben, wäre dies ein schwerwiegender Skandal. Wenn der Bundeskanzler aus politischem Kalkül die unabhängige Aufsichtsbehörde für Wahlen unter Druck setzen würde, wäre das ein klarer Rücktrittsgrund.

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