Werbung

...
...

Maßnahmen-Kritik

Auch wegen Berichten zu Corona-Protokollen: Landesmedienanstalt geht gegen Multipolar vor

Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen geht gegen das Onlinemagazin Multipolar vor, mit dem Vorwurf, die journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigt zu haben. Es geht um kritische Beiträge zu Covid-19 und den Corona-Protokollen des RKI. Die Begründung der Landesmedienanstalt wirft dabei selbst einige Fragen auf.

Von

Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen geht derzeit gegen das Onlinemagazin Multipolar vor.

Werbung

Wegen der kritischen Berichterstattung über Covid-19 geht die Landesanstalt für Medien (LfM) in Nordrhein-Westfalen gegen das Onlinemagazin Multipolar vor. Das teilte das Medium am Dienstag mit. Zur Last gelegt werden der Redaktion Veröffentlichungen im Kontext mit Covid-19. Mit vier Beiträgen habe Multipolar gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen, behauptet die LfM in einem Schreiben.

Das Onlinemagazin hat bis zum 23. September Zeit, die betreffenden Beiträge anzupassen oder zu entfernen, andernfalls drohe ein „Verwaltungsverfahren“. Konkret geht es um Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags: Redaktionen sind angehalten, „den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“ und journalistische Erzeugnisse „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen“.

Das sei in vier in den vergangenen zwei Jahren veröffentlichten Artikeln nicht geschehen, beklagt die LfM. Im März 2022 veröffentlichte Multipolar ein Interview mit dem Arzt und Psychologen Prof. Christian Schubert, in dem dieser erklärte, die wegen Covid-19 beschlossenen Maßnahmen würden sich negativ auf das Sterbealter der Menschen auswirken. „Die Kollateralschäden, die wir jetzt zu erwarten haben durch diese Krise, werden die Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten verringern.“

Schubert nannte dazu auch Zahlen: „Für die Schweiz wurde berechnet, dass drei Monate Lockdown und Schulschließungen wegen der damit verbundenen psychopathologischen Folgen – wir sprechen zum Beispiel von Selbstmord, Depression und Traumatisierung – 1,76 Millionen Lebensjahre kosten. Damit sind die staatlichen Maßnahmen 55-mal schädlicher als das Virus selbst.“

Weil die Quelle der Zahlen „unklar“ sei und Multipolar deren Richtigkeit nicht ausreichend kontextualisiert oder belegt habe, sah die LfM einen Verstoß gegen Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags. Auch ein zwölf Monate später veröffentlichter Bericht über die mögliche Verbindung zwischen den Covid-Impfstoffen und der Übersterblichkeit in Großbritannien rückte ins Visier der LfM.

Das Onlinemagazin interpretierte die Daten des Office for National Statistics und kam zu dem Schluss, die Impfkampagne in Großbritannien führte „fast von Beginn an zu einer höheren Gesamtsterblichkeit der Geimpften, die zudem mit der Zeit ansteigt und umso höher ausfällt, je jünger die Geimpften sind“. Die LfM kritisiert, aus den Daten des britischen Statistikinstituts gehe „nicht hervor, dass die Corona-Impfung – wie in dem Beitrag behauptet – nutzlos oder gar schädlich war“.

Auch Berichte über die von Multipolar veröffentlichten Krisenstabprotokolle des Robert-Koch-Instituts beäugt die LfM kritisch. Unter Berufung auf zuvor nicht öffentliche und zunächst teils geschwärzte Sitzungsprotokolle behauptete Multipolar, die im März 2020 vom RKI beschlossene Hochstufung der Risikobewertung von „mäßig“ auf „hoch“ sei „anders als bislang behauptet nicht auf einer fachlichen Einschätzung des Instituts, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs – dessen Name in den Protokollen geschwärzt ist“ beschlossen worden.

Die LfM behauptet wiederum, in dem Protokoll vom 16. März sei festgehalten worden, dass „eine neue Risikobewertung vorbereitet“ wurde, die Hochstufung also intern entschieden wurde. Multipolar wiederum argumentiert, die Anwälte des RKI haben dem Onlinemagazin zugesichert, dass „keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung“ befassen.

Lesen Sie auch:

Aus den kürzlich durchgestochenen und gänzlich ungeschwärzten Sitzungsprotokollen geht hervor, dass die Hochstufung nicht durch einen externen Akteur, sondern den damaligen Vizepräsidenten des RKI, Lars Schaade, vorgenommen wurde. Auf der anderen Seite hat auch die LfM die eigens vorgetragene Behauptung, eine Hochstufung der Risikobewertung sei intern vorbereitet worden, nicht weiter stichfest untermauern können.

Der letzte von der LfM kritisierte Beitrag wurde im Juni veröffentlicht. Multipolar sprach damals mit einem Berliner Feuerwehrmann, der aus eigener Erfahrung erklärte: Zu Beginn der Pandemie gab es keine Überlastung der Intensivstationen. Krankenschwestern hätten ihm im persönlichen Austausch mitgeteilt, ein „Ansturm von Patienten“ sei nicht registriert worden. „Wir haben hier eine Auslastung, die liegt teilweise nur noch bei 40 Prozent“, sollen die Pfleger dem Feuerwehrmann mitgeteilt haben. „Es gab keine Pandemie in unserer Wahrnehmung.“

„Im Nachhinein muss ich sagen: Man wollte aber kopflose Panik verbreiten und man hat es geschafft. Ich habe natürlich gesehen, dass es überhaupt keinen Grund für die Angst gab, weil ja die Krankenhäuser frei waren“, erklärte der Feuerwehrmann gegenüber Multipolar. Die LfM sieht das anders: „Allerdings gibt es stichhaltige Belege dafür, dass in der Hochzeit der Pandemie viele Krankenhäuser unter erheblichen Kapazitätsengpässen litten. So betrug die Gesamtzahl der freien Intensivbetten über die Covid-19 Pandemie am Anfang ca. 12.000 und reduzierte sich dann im Laufe der Pandemie auf ca. 3.000“, heißt es in dem Brief an das Onlinemagazin.

Das könnte auch daran liegen, dass die Gesamtzahl der in Deutschland verfügbaren Intensivbetten von 26.796 Betten im Januar 2020 auf 18.400 Betten Ende 2022 reduziert wurde – Grund dafür soll der Personalmangel an deutschen Kliniken sein. Das erwähnt die LfM allerdings nicht. Jedoch merkt die Einrichtung an, Aussagen von Interviewpartnern müssen „nicht alle überprüft werden. Wenn allerdings erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt einer Aussage des Interviewpartners bestehen, gebietet es die journalistische Sorgfaltspflicht, kritische Nachfragen zu stellen, dazu recherchieren und/oder etwaige falsche Tatsachenbehauptungen des Interviewpartners unmittelbar einzuordnen“.

Die Landesanstalt ist eine öffentliche Einrichtung, die aus einem Teil des Rundfunkbeitrags finanziert wird. Die Einrichtung gibt sich dennoch als „staatsfern und wirtschaftlich unabhängig organisiert.“ Zuständig ist die Anstalt für die Beobachtung privater Medien. Multipolar prüft derzeit das weitere Vorgehen infolge des Schreibens der LfM.

Werbung