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Gesetzesänderung zum Verfassungsgericht: Der problematische Hintergedanke einer Anti-AfD-Reform

Die Reform des Grundgesetzes, angeblich zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor „extremistischen Kräften“, ermöglicht es, die AfD von der Richterwahl auszuschließen. Unter dem Vorwand, die Funktionsfähigkeit des Gerichts zu sichern, wird die politische Realität ausgehebelt.

Der Bundestag hat am Donnerstag die Änderung des Grundgesetzes beschlossen

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CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke haben am Donnerstag mit Zwei-Drittel-Mehrheit die Reform der Artikel 93 und 94 des Grundgesetzes beschlossen. Konkret werden in diesen Artikeln die Bestimmungen und Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts geregelt. Ziel der Reform ist es, das Verfassungsgericht „resilienter“ zu machen und vor „extremistischen Kräften“ zu schützen.

Lediglich das BSW und die AfD stimmten gegen den Gesetzentwurf. Dies wurde im Vorfeld erwartet, da die Reform insbesondere darauf zielt, der AfD Einflussmöglichkeiten auf das Bundesverfassungsgericht zu verwehren. Der Gesetzentwurf wurde mit 600 Ja-Stimmen bei 69 Gegenstimmen angenommen.

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Zwar muss der Bundesrat der Änderung noch zustimmen, mit Widerstand ist hier jedoch nicht zu rechnen. Größtenteils zielt die Änderung darauf ab, bisher lediglich einfachgesetzliche Modalitäten, die im Bundesverfassungsgerichtsgesetz verankert waren, nun auch verfassungsrechtlich festzuschreiben. Demnach wird die Amtszeit der Richter auf zwölf Jahre begrenzt.

Die Wiederwahl eines Richters ist ausgeschlossen. Zusätzlich soll eine Altersgrenze von 68 Jahren für die Richterschaft eingeführt werden. Wer diese erreicht, scheidet grundsätzlich aus dem Bundesverfassungsgericht aus. Des Weiteren soll die Anzahl der Richter auf 16 (je acht pro Senat) festgelegt werden und die Existenz von zwei Senaten verfassungsrechtlich vorgeschrieben werden.

All dies stellt keine Änderung zur bisherigen Rechtslage dar. Sollte der Bundestag jedoch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal die Struktur des Verfassungsgerichts ändern wollen, wäre ab sofort eine Zwei-Drittel-Mehrheit anstatt einer einfachen relativen Mehrheit erforderlich. Weder die AfD noch das BSW hatten allerdings im Vorfeld kundgetan, hieran Änderungen vornehmen zu wollen.

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Entscheidend ist jedoch die Änderung zum Ersatzwahlmechanismus. Bisher stand fest, dass die Bundesverfassungsrichter je zur Hälfte vom Bundestag oder vom Bundesrat gewählt werden. Dies wurde nun de facto revidiert. Bisher war der Ersatzwahlmechanismus lediglich in Paragraf 7a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes festgeschrieben.

Dieser sieht vor, dass das Bundesverfassungsgericht selbst einen Kandidaten für die Position eines neuen Verfassungsrichters vorschlagen kann, wenn im parlamentarischen Wahlausschuss des Bundestags keine Einigung mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit erzielt wird.

Diese Regelung stieß bereits in der Vergangenheit auf Kritik, da sie dem Verfassungsgericht eine indirekte politische Rolle zuweist, die über seine eigentliche rein juristische Funktion hinausgeht. Die Regelung bringt das Gericht in eine Position, in der es zumindest teilweise an der politischen Gestaltung mitwirkt, was die vorgesehene strikte Trennung zwischen Judikative und Legislative verwischt.

An dem Vorschlagsrecht des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des Ersatzwahlmechanismus soll jedoch festgehalten werden. Nach Artikel 93 des Grundgesetzes in der neu vorgesehenen Fassung kann darüber hinaus nun das jeweilige andere Verfassungsorgan die Wahl der Verfassungsrichter durchführen, sofern sich Bundestag beziehungsweise Bundesrat nicht mit Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Wahl eines Richters verständigen können.

In dem Gesetzentwurf heißt es konkret, dass man durch die Verfassungsänderung zur „Auflösung von Wahlblockaden“ beitragen wolle. Der von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP eingebrachte Gesetzentwurf zielt also dem Wortlaut zufolge darauf ab, parlamentarische Obstruktion zu unterbinden und die Funktionsfähigkeit des Bundestags zu schützen. Man wolle verhindern, dass destruktive Kräfte die Arbeit des Parlaments behindern oder gar lahmlegen können.

Andererseits eröffnet man sich hier jedoch ein Einfallstor zur scharfen institutionellen Ausgrenzung der AfD. Da sich die Regelungsänderung offensichtlich gegen das BSW und vor allem die AfD richtet, liegt es auf der Hand, dass in der Verfassungswirklichkeit insbesondere das Wahlrecht des Bundestages und damit seine verfassungsrechtlich immanent festgeschriebene „Kreationsfunktion“ beschnitten werden soll.

Der Bundesrat und damit auch die Exekutive der Länder erfahren dagegen indirekt eine Aufwertung. Sofern die Länderregierungen weiterhin von SPD, CDU, Grüne und FDP gestellt werden, besteht also die Möglichkeit, die AfD weiterhin von der Wahl der Verfassungsrichter auszuschließen, selbst wenn sie ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag stellt. SPD, CDU, Grüne und FDP ermöglicht die Neuregelung damit ein Einfallstor zur Ausblendung der politischen Realität.

Seit Jahren stellen CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP gemeinsam die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag für die Wahl der Verfassungsrichter. Hieraus hat sich eine informelle Praxis der Vorschlagsrechte etabliert. Demnach schlagen CDU/CSU und SPD jeweils drei Richter pro Senat vor, während Grüne und FDP je einen Richter nominieren dürfen. Durch diese Vorschlagspraxis erreichten die vorgeschlagenen Richter stets problemlos die Zwei-Drittel-Mehrheit.

Durch das Erstarken der AfD sowie dem Aufkommen des BSW bröckelt nun dieser Konsens. Ausweislich soll durch die Verfassungsänderung die Blockade des Parlaments durch die AfD verhindert werden. Tatsächlich eröffnet die Reform jedoch der Union, der SPD, den Grünen sowie der FDP die Möglichkeit zur Blockade und die Durchsetzung der eigenen Richterkandidaten. Unter dem Deckmantel des Schutzes gegen „extremistische Kräfte“ wollen sie ihre Stellung im Bundesverfassungsgericht behaupten.

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