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„Zufallsmehrheiten“ – Friedrich Merz‘ furchtbares Wort passt nicht in eine parlamentarische Demokratie

Friedrich Merz fordert, nur noch Dinge im Parlament abzustimmen, die Union und Rest-Regierung vorher im „Konsens“ geregelt haben - und warnt vor „Zufallsmehrheiten“. Das Bild, das er zeichnet, ist das eines Einheitsstaates.

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„Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben. Um uns alle – die Regierung und uns – davor zu bewahren, dass wir am Ende Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder den Linken haben. Ich will das nicht!“

Wer hört, wie CDU-Chef Friedrich Merz da redet, schluckt erst einmal. Das ist jetzt der Ton in der Spitzenpolitik – Demokratie als Gefahr, die den Parteienbetrieb stört. Jemand, der von „Zufallsmehrheiten“ spricht, spricht der Demokratie als Prinzip jede Legitimität ab. Wer den „Konsens zwischen Opposition und Regierung“ als politische Entscheidungsform anstrebt, macht den Parlamentarismus eigentlich obsolet. Wir sind zurück in den Zeiten der demokratiefernen Corona-Exekutivorgien, wenn dieser Satz wirklich gilt.

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Was ist eine „Zufallsmehrheit“ und was unterscheidet sie von – ja, wovon überhaupt? Einer „vorbestimmten Mehrheit“? Das Grundgesetz kennt nur die parlamentarische Mehrheit, und das ist auch gut so. Friedrich Merz hingegen kennt gute Mehrheiten und schlechte Mehrheiten – und um sich und der Regierung schlechte Mehrheiten zu ersparen, argumentiert er für die effektive Außerkraftsetzung des Parlaments. Um die Sache geht es da gar nicht, nur um politische Befindlichkeiten.

Gott behüte, dass Abgeordnete in freien Abstimmungen tatsächlich etwas durchsetzen, was das Leben der Menschen zwar besser macht, aber die Parteipolitik stört. Friedrich Merz „will das nicht“. Könnte man Verachtung gegenüber dem Grundprinzip der deutschen Demokratie eigentlich deutlicher zum Ausdruck bringen, wenn man es aktiv versuchen würde? Nein, so spricht kein Demokrat. Es ist ein schlimmer, gefährlicher Satz, den Friedrich Merz da gesagt hat. Gesprochen in einer Art, bei der einem Angst und Bange wird.

Gehen wir mal konsequent durch diese Gedankenwelt, in der Politiker-Konsens vor Demokratie steht und „Zufallsmehrheiten“ ein gefährliches Übel sind. Warum eigentlich noch Parlamentarismus? Dann lasst uns doch im Reichstag das Licht ausmachen und die Entscheidungen bis auf Weiteres einfach in netten Gesprächsrunden voller „staatspolitischer Verantwortung“ zwischen den Fraktionschefs Merz und Mützenich sowie Haßelmann und Dröge auskaspern.

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Politik als Kaffeekränzchen, das hat doch etwas Gemütliches. Vielleicht sollten wir dann auch diskutieren, ob wir überhaupt noch einmal neu wählen sollten. Denn was, wenn sich da auch gefährliche „Zufallsmehrheiten“ ergeben, die der Wähler nicht vorher mit den Parteispitzen abgesprochen hat?

Das Wort von „Zufallsmehrheiten“ ist ein demokratisches Unwort, und es darf so nicht stehen bleiben. Denn wenn das, was er ausdrückt, staatspolitische Linie in diesem Land ist, braucht es kein Parlament mehr – dann sind Abstimmungen nur noch ein lästiger, bürokratischer Akt. Und dann lasst uns zumindest so ehrlich sein und die Kosten für den ganzen Bundestagsapparat einsparen.

Dass die politische Kultur in diesem Land soweit abgedriftet ist, dass ein Oppositionsführer gerade heraus den Hinterzimmer-Deal zum Staatsprinzip erklärt und meint, er würde damit der Demokratie einen Dienst erweisen, ist eine erschreckende Bestandsaufnahme.

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