„Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan“ – bald drei Jahre ist es her, dass Olaf Scholz dieses Versprechen im Rahmen seiner historischen „Zeitenwende“-Rede nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 abgab. Es sollte der prägende Satz seiner Amtszeit werden – immerhin warf der Ukraine-Krieg alles um, was man in Deutschland und Europa sicher glaubte. Jahrzehnte deutscher, pazifistischer Grundsätze waren entwertet, die europäische Sicherheitsarchitektur seit der Schlussakte von Helsinki war gesprengt. Olaf Scholz trat im Bundestag auf wie einer, der diese historische Stunde begriffen hatte.
Blickt man nun auf die Regierungszeit der Ampel zurück, kann man nur feststellen: Scholz ist seiner Rede nicht gerecht geworden. Im Grunde war das Einzige, was Scholz zur Zeitenwende beigetragen hat, der Begriff selbst. Und auch die Berufung des Ministers Pistorius hat vielleicht die öffentliche Wahrnehmung geändert – aber darüber hinaus wenig. Jüngst bekannte der Chef des Bundeswehr-Verbandes im Fernsehen: Die Bundeswehr ist aktuell „blanker als blank“. Und zwar noch blanker als vor Scholz‘ Rede.
Die Situation der Truppe hat sich seit Ausrufung der Zeitenwende noch verschlechtert. Das liegt vor allem an der Abgabe von Gerät an die Ukraine oder über das sogenannte „Ringtausch“-Verfahren an andere NATO-Partner. So gab die Bundeswehr unter anderem Schützen- und Kampfpanzer, Panzerhaubitzen, Hubschrauber, Raketenabwehrsysteme, Truppentransporter, Maschinengewehre, Fliegerfäuste und vieles weitere aus ihren Beständen ab. Dazu noch Verbrauchsmaterial wie hunderttausende Schuss verschiedener Munition, Verbände und ähnliche Sanitätsmaterialien. Material, das nicht unmittelbar ersetzt wurde. Das alles wurde aus dem Fleisch der Armee geschnitten, die eh schon hinten und vorne mit Materialmängeln und Engpässen zu kämpfen hat.
Das wäre an sich nicht problematisch – wenn die Neuausstattung der Truppe zügig folgen würde. Doch genau das folgt nicht. Der Wille zu einer Zeitenwende in der Beschaffung war lange auch überhaupt nicht da, noch immer laufen Projekte schleppend oder gar nicht. Die strukturellen Veränderungen in diesem Bereich, die für eine wehrfähige Bundeswehr elementar wären, bleiben weiter aus. Schnell wurde die Zeitenwende ihrem Schöpfer lästig, und Rüstungskonzerne wie Rheinmetall gaben mehr richtige strategische Anstöße und Forderungen von sich als der Kanzler.
Ein Blick ins Budget spricht Bände. Scholz gab 2022 das große „Zeitenwende“-Versprechen und trumpfte damit auch international groß auf. Im selben Jahr sanken die Verteidigungsausgaben aber. Auch 2024 wurde er mit unseriösen Rechentricks geschönt: Deutschland kommt in diesem Jahr überhaupt nur auf die zwei Prozent des BIP für Verteidigung, weil man auch Ausgaben wie Kindergeld für Bundeswehrangehörige oder die Pensionen von DDR-Soldaten zu Verteidigungsausgaben zählt. Das Sondervermögen ist quasi aufgebraucht – Wie dessen Wegfall aus dem Haushalt kompensiert werden soll, ist offen. Eine Bereitschaft zur Priorisierung von Ausgaben gibt es bei SPD und Grünen nicht.
Boris Pistorius: Phänomen und Phantom
Das handfesteste Produkt der Zeitenwende ist tatsächlich Minister Boris Pistorius. Seine Berufung ist Balsam für die Seele der Bundeswehr, er scheint den richtigen Kompass für diese Zeit zu haben. Aber auch für diese Personalie brauchte Scholz viel zu lange – obwohl schnell klar war, dass Christine Lambrecht in dieser Lage nicht mehr Verteidigungsministerin sein konnte.
Sie war vor allem auf den Posten gekommen, weil sie eine Scholz-Vertraute und im Sinne seines geschlechterparitätischen Kabinetts eine Frau war. Mit der Bundeswehr wusste sie nie viel anzufangen. Am Tag der russischen Invasion ging sie bekanntermaßen zur Maniküre, und auf dem Truppenübungsplatz verewigte sich Lambrecht, hilflos wie eine alte Dame, auf dem Ausstieg eines Panzers an der Hand von zwei Offizieren. In Mali besuchte sie die Truppe in Stöckelschuhen, was ihr den Spitznamen „Stöckelschuh-Ministerin“ einbrachte.
Auch mit ihren öffentlichen Äußerungen war sie glücklos – zum Beispiel mit der Erklärung, dass der Flak-Panzer Gepard „kein Panzer“ wäre, obwohl er „schwer“ sei, „große Rohre“ habe und „mit diesem Rohr dann in die Luft schießt“. Jeder Teenager mit einem Faible für entsprechende Videospiele hätte dort eine bessere Figur gemacht. Ihre Ahnungslosigkeit übertraf Lambrecht nur mit ihrer Arroganz gegenüber der Truppe und ihren Offizieren, die sie oft respektlos behandelt haben soll.
Etwa brüskierte die Ministerin ihre Generäle regelmäßig und hielt es nicht für nötig, Rangabzeichen zu lernen und entsprechend zu grüßen. Trotz dieser offensichtlichen Unfähigkeit dauerte es fast ein Jahr, bis Scholz den Schritt ging und Lambrecht entließ – ein peinliches Silvestervideo, wo sie sich vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges über viele neue Bekanntschaften freute, die sie schließen durfte, war dann doch ein Patzer zu viel, der mediale Druck wurde zu stark.
Pistorius passt besser. Er ist klar der beliebteste Bundespolitiker, und das liegt vor allem an seiner Art. Er schlägt gerne mal mit Begriffen auf, die Debatten auslösen – „Kriegstüchtigkeit“ wäre da ein Beispiel. Das irritiert viele, ist aber richtig – denn wer nicht „kriegstüchtig“ ist, wird seinen Frieden nicht sichern können. Er macht Ansagen, die treffen. Und er gibt den Soldaten der Bundeswehr das Gefühl wieder, ernst genommen und respektiert zu werden. Das ist ein Kontrast etwa zu Christine Lambrecht oder Ursula von der Leyen. Wenn Pistorius Soldaten für ihren Dienst dankt und Anerkennung ausspricht, klingt das nicht nach einer Polit-Floskel.
Das hat Wirkung weit über die Truppe hinaus. Kein Politiker ist so beliebt wie Pistorius – und keiner weiß so richtig, warum er konkret so beliebt ist. Also über sein Auftreten hinaus, das ehrlich, nahbar und im positivsten Sinne hemdsärmelig wirkt. Pistorius spricht Klartext. Dass er damit aus dem Rahmen fällt, spricht aber weniger für ihn als gegen die etablierte Politik.
Sein Zeugnis in der Sache ist hingegen sehr dürftig – auch, wenn das nicht an fehlendem Willen oder mangelnder Erkenntnis liegt. Insider aus dem Verteidigungsministerium berichteten Apollo News, dass der Minister intern tatsächlich auch so Politik macht, wie er spricht und auftritt. Als eine wichtige Amtsvertreterin den Minister in einer Sitzung in der den Behörden üblichen Trägheit durch ihr nonchalantes Nichtstun ärgerte, entließ er sie kurzerhand aus der Position, heißt es.
Er sei wie eine Machete – die sich aber durch ein unfassbares Dickicht an Bürokratismus, lähmender Trägheit und Amtsjuristen schlagen muss, deren Tellerrand das eigene Büro, die aktuelle Vorlage und die peinlich genau genommene Arbeitszeit ist. Das Homeoffice erfreut sich auch Jahre nach Corona im BaainBw, dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, angeblich immer noch höchster Beliebtheit – mit den entsprechenden Effekten auf die ohnehin dürftige Arbeitsfähigkeit der Behörde.
„Gemessen an der Bedrohungslage zu wenig“
Die Beschaffung läuft weiter schleppend – mit dem Regierungskollaps und dem dadurch nicht beschlossenen Haushalt für 2025 stehen relevante Beschaffungen nun wieder auf der Kippe, die Industrie hängt in der Schwebe. Auftragnehmer des BaainBw kriegen die Mittel nicht, die sie bräuchten, um ihre Aufträge auszuführen, Gerät zu produzieren und auszurüsten. Das ganz einfach deshalb, weil im Berliner Polit-Hickhack nach dem Ampel-Ende die Bereitschaft fehlte, zumindest den Einzelplan für den Haushalt des Verteidigungsministeriums überparteilich zu beschließen.
Wenn Pistorius im Februar am vorläufigen Ende seiner Amtszeit steht, kann man ihm anrechnen: Er war stets bemüht. Und hat auch einiges angestoßen, manches davon gar umgesetzt. Aber „stets bemüht“ reicht nicht, es ist in der Sache ein schwaches Zeugnis.
So müsste Deutschland nach NATO-Plänen ab dem 1. Januar 2025 eine Division der Landstreitkräfte mit rund 15.000 voll ausgerüsteten, gefechtsbereiten Soldaten zur Verfügung stellen. Das wird nicht klappen. Pistorius‘ Prestigeprojekt einer dauerhaft stationierten Brigade in Litauen verläuft aktuell im Sande. Und mit komischen Prioritätensetzungen wie Millionen für Ausgehuniformen untergräbt der Minister nachhaltig seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit. Kenner der Verteidigungspolitik sind schon ein Stück weit desillusioniert, was Pistorius angeht. Seine Beliebtheit ist ein Phänomen – was diese Beliebtheit an konkreten Taten unterfüttert, bleibt aber phantomartig, unbekannt.
Gegen die Ampel-Trägheit und rot-grüne Sabotage an der Zeitenwende kam auch er bei aller Mühe nicht an. Es war Annalena Baerbock, die eine verbindliche Festlegung auf das Zwei-Prozent-Ziel im Kabinett blockierte, auch wenn sie jetzt über drei Prozent als Reaktion auf Trump tönt. Der nun nicht beschlossene Haushalt wäre ohnehin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen, was die Bundeswehr und ihr Budget angeht – der Ampel-Haushaltsentwurf für 2025 gestand dem Verteidigungsministerium nur rund 53,2 Milliarden Euro zu, eine Steigerung von gerade einmal 1,2 Milliarden Euro. Diese minimale Steigerung bewegt sich damit auf dem Niveau der zu erwartenden Inflationsrate für 2025. Soll heißen: ungefähr ein Nullsummenspiel.
„Gemessen an der Bedrohungslage ist es zu wenig“ – das ist das Fazit vom Chef des Bundeswehr-Verbandes, Oberst André Wüstner. Er spricht im Welt-Fernsehen von „Zeiten ohne Wende“. Die nächste Bundesregierung müsse die Prioritäten grundsätzlich neu ordnen, fordert auch Hans-Peter Bartels, der Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und ehemalige Wehrbeauftragte. Auch wenn der Sozialdemokrat es mit Rücksicht auf seinen Genossen nicht ausformuliert, heißt das: Pistorius hat diese Neuordnung der Prioritäten nicht durchsetzen können.
Das muss die nächste Bundesregierung tun – sie entscheidet über das Fortkommen der Zeitenwende. Scholz hat sie getauft und vergessen – sein Nachfolger wird ihr das Laufen beibringen müssen.
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Wie viel von den 100 Mrd. sind denn direkt in die Ukraine weitergeleitet worden?
Pistorius ist keineswegs der, der hier in Ihrer Analyse beschrieben worden ist. Er ist ein Blender und Versager gleichermaßen. Deutschland braucht keine NATO, es braucht eine Landesverteidigung. Was wollen wir Deutsche in Litauen, in Mali, in Somalia, in Finnland oder im Südpazifik oder rund um Taiwan? Nichts, was für unser Land wichtig ist. Die BW ist für die Landesverteidigung stark zu machen. Für nichts anderes. Das wäre die Zeitenwende: Raus aus der NATO, WHO, IPCC, EU und der UNO. Kündigung der US-Liegenschaften und anderer ausländischer Streitkräfte. Kündigung aller Transatlantik-NGOs. Abschaffung aller Prangerportale wie Correctiv, Wikipedia, Psiram….
Mit anderen Worten: Wir brauchen endlich eine Politik für die Bürger dieses Landes und nicht gegen sie.
100 Mrd. € Sondervermögen ? Wumm´s und Doppelwumm´s ? Bazooka ?
Was soll´s, immerhin gibt´s jetzt Schwangerschaftssitze in den … ach nee, die hat man ja verschenkt.
Man muss das 2%-Ziel nicht unbedingt durch Budgetsteigerungen erreichen. Es geht auch, wenn man das BIP senkt – und da sin Habeck & Co. mit voller Begeisterung dabei. Wir schaffen das!
„Er war stets bemüht.“ Im Arbeitszeugniss der verklausulierte totale Verriss.
Sie stehen noch schlechter da und das ist auch gut so! Weder Scholz noch Pistorius sind Lieblinge der Deutschen, es sind nur Medien Märchen! Deutschland braucht jetzt eine Führende Kraft mit Verstand und Kenntnis. Alles andere ist Träumerei!
Hat alles seine zwei Seiten. Die Deutschen sind politisch so daneben, dass ich eigentlich ganz froh bin, dass sie im Moment nicht in der Lage sind, eine ernsthafte Armee aufzubauen.
Ein hochgerüstetes Deutschland hat in der Geschichte eigentlich immer nur Unfug betrieben. Die Nachbarstaaten sind bestimmt auch ganz dankbar, wenn die Bundeswehr verrostet.