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Wie es mit den Regierungsverhandlungen in Österreich weitergeht

Ein Politpoker mit ungleichen Karten: FPÖ-Chef Herbert Kickl strebt die Kanzlerschaft an und diktiert die Bedingungen für eine mögliche Regierungskoalition mit der ÖVP. Während die Freiheitlichen mit Rekordumfragewerten in die Verhandlungen gehen, kämpft die angeschlagene Volkspartei ums politische Überleben.

FPÖ-Chef Herbert Kickl und Bundespräsident Alexander Van der Bellen unmittelbar vor der Regierungsbeauftragung

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Seit Donnerstagabend verhandeln in Österreich die konservative ÖVP und die rechtspopulistische FPÖ offiziell über eine Regierungskoalition. Beide Parteien haben bereits eine Budget-Verhandlungsgruppe eingerichtet, die „in Permanenz“ tagen soll, um bis Anfang kommender Woche die Eckpunkte zu klären.

Die Ausgangslage bei den Verhandlungen ist klar: Angesichts der aktuellen Umfragewerte sitzt FPÖ-Chef Herbert Kickl am längeren Hebel. Nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS kratzt die FPÖ mit 39 Prozent an der 40-Prozent-Marke. Die ÖVP hingegen stürzt auf 17 Prozent ab (Apollo News berichtete). Auch wenn die Zahlen nur eine Momentaufnahme darstellen, so zeigen sie doch eine tektonische Verschiebung in der österreichischen Politik. Bei der Nationalratswahl 2019 erreichte die ÖVP noch 37 Prozent. Die FPÖ kam nach dem Bruch der Koalition nur mehr auf 16 Prozent.

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Herbert Kickl dürfte die Umfragewerte mit Genugtuung sehen. Sein Ziel, Kanzler zu werden, ist greifbar nah. Die ÖVP hingegen kämpft ums Überleben: Sie will weder Neuwahlen riskieren noch in die Opposition gehen. Eine Alternative zu Blau-Schwarz gibt es auch nicht. Zudem steht die Partei finanziell mit dem Rücken zur Wand. Ein negatives Reinvermögen von 5,65 Millionen Euro und Schulden in Höhe von 3,3 Millionen Euro belasten die ÖVP erheblich.

Kickl wird seine starke Position zu nutzen wissen – am Verhandlungstisch und in der Vermarktung für die Öffentlichkeit. So kann er auf die gescheiterten Ampel-Verhandlungen verweisen, die 100 Tage dauerten und zu keinem Ergebnis, sondern nur zu Chaos führten. Und er kann beweisen, dass die FPÖ in der Lage ist, schnell eine stabile Regierung zu bilden. Beobachter halten es für möglich, dass bereits im Februar eine neue Regierung unter FPÖ-Führung stehen könnte.

Die ÖVP befindet sich in einer Zwickmühle. Seit 1987 ist sie nahezu ununterbrochen an der Macht und beansprucht für sich ein fast naturgegebenes Anrecht auf Regierungsbeteiligung – sei es als Kanzlerpartei oder als Juniorpartner. Besonders der einflussreiche Wirtschaftsbund und der Bauernbund innerhalb der ÖVP drängen auf eine Regierungsbeteiligung. Die Wirtschaft sieht einer möglichen blau-schwarzen Koalition grundsätzlich positiv entgegen. Vertreter aus Industrie und Wirtschaft fordern tiefgreifende Reformen, insbesondere im Bereich der Steuerpolitik. Österreich befindet sich wie Deutschland in einer tiefen Wirtschaftskrise. Eine beispiellose Insolvenzwelle rollt derzeit über das Land.

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Seit dem Rücktritt Karl Nehammers als Bundeskanzler und Parteichef vollzog die ÖVP mangels Alternativen einen politischen Kurswechsel. Nach dem Wahlsieg der FPÖ im Herbst hatte die Partei noch versucht, gemeinsam mit SPÖ und NEOS eine Koalition gegen den Wahlsieger zu bilden. Nun, nach dem Auftrag zur Regierungsbildung durch Bundespräsident Van der Bellen, zeigt sich die ÖVP verhandlungsbereit. Der neue ÖVP-Obmann Christian Stocker hat Koalitionsgespräche mit der FPÖ aufgenommen. „Die Volkspartei hat in der Vergangenheit Verantwortung übernommen, tut das in der Gegenwart und wird auch in Zukunft Verantwortung übernehmen – es geht nicht um Personen, es geht um Österreich“, erklärte Stocker am Mittwochnachmittag vor der Presse.

Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer hatte am Samstag den Ausstieg aus den Verhandlungen mit der SPÖ verkündet, nachdem einen Tag zuvor bereits die NEOS abgesprungen waren. Er erklärte für seine ÖVP, sich den Forderungen der SPÖ nicht beugen zu wollen, die den zentralen Wahlversprechen zuwiderliefen. Er sei gegenüber den Wählern der ÖVP „persönlich im Wort“, so Nehammer.

Trotz wiederholter Versuche, die FPÖ aus dem demokratischen Diskurs auszuschließen, existiert in Österreich keine vergleichbare Brandmauer wie in Deutschland zur AfD. In Deutschland sind die etablierten Parteien – insbesondere in Ostdeutschland – de facto gezwungen, Koalitionen gegen die AfD zu bilden, selbst wenn dies bedeutet, dass Parteien mit völlig konträren Programmen zusammenarbeiten. In Österreich hingegen gibt es keine solche systematische Isolierung der FPÖ. Auf Sachebene gab es stets parlamentarische Zusammenarbeit.

Dennoch haben zahlreiche ÖVP-Kabinettsmitglieder signalisiert, dass sie nicht Teil einer von Kickl geführten Regierung sein wollen. Außenminister Alexander Schallenberg, der am Freitag zum Übergangskanzler ernannt wurde, hat bereits erklärt, einer künftigen FPÖ-geführten Regierung nicht angehören zu wollen.

Vor der Wahl hatte die Partei vehement ausgeschlossen, mit Kickl zu koalieren. Karl Nehammer und andere führende ÖVP-Politiker bezeichneten ihn als „Sicherheitsrisiko“ und warnten davor, dass eine Zusammenarbeit mit ihm die Demokratie gefährden könnte. Nehammer hatte sogar betont: „Ein Bollwerk gegen die Radikalen“ müsse die ÖVP sein. Als Generalsekretär sagt Stocker: „Wer Kickl wählt, wählt fünf Jahre Hochrisiko mit radikalen Ideen.“ Im Parlament wurde Stocker sogar noch deutlicher: „Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner“.

Kickl, der sich selbst als „Volkskanzler“ bezeichnet, hat klare Bedingungen für eine Zusammenarbeit gestellt. Er fordert von der ÖVP ein „Bewusstsein dafür, wer die Wahl gewonnen hat und wer Zweiter und damit nicht der Sieger ist“, sowie Einsicht bezüglich der Verantwortung für vergangene Fehler, insbesondere das Budgetdesaster. Zudem warnt er: „Keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage, keine Quertreiberei.“ Er machte deutlich: „Wer das nicht kann oder will, der kann auch kein Partner für uns sein.“

Für den Fall des Scheiterns der Gespräche hat Kickl bereits eine klare Alternative aufgezeigt: „Ansonsten gibt es Neuwahlen, wir sind dafür gerüstet.“ Er habe sich „für den Weg der staatspolitischen Verantwortung entschieden“, anstatt den für die FPÖ „bequemeren Weg“ der Neuwahlen einzuschlagen. Sein persönliches Verhältnis zur ÖVP gilt als äußerst angespannt. Kickl, der im Zuge der Ibiza-Affäre 2019 von Sebastian Kurz als Innenminister entlassen wurde, hat dies der ÖVP nie verziehen. Er war der erste Bundesminister in der Zweiten Republik, der auf diese Weise sein Amt verlor.

Die ÖVP ihrerseits versucht, rote Linien zu ziehen. Stocker betonte die Wichtigkeit der „Souveränität Österreichs statt Einflussnahme aus dem Ausland, Partnerschaft in Europa statt Abschottung“ – eine Anspielung auf die EU-kritische und russlandfreundliche Haltung der FPÖ. Es sind Bereiche, in denen sich die größten Konfliktpotenziale abzeichnen. Von der FPÖ seien „ehrliche Antworten“ erforderlich. Man setze auf klare Bedingungen für die Verhandlungen: „Medienfreiheit, Unabhängigkeit von Russland und die Zusammenarbeit in Europa“.

Als ersten Schritt wollen beide Parteien die „budgetären Rahmenbedingungen“ klären. Angesichts des bestehenden Milliarden-Budgetlochs scheint die Abwendung eines EU-Defizitverfahrens oberste Priorität zu haben. Prognosen gehen davon aus, dass das Defizit 2025 zwischen 3,8 und 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen wird – deutlich über der EU-Obergrenze von 3 Prozent. Schätzungen zufolge sind in den kommenden Jahren Einsparungen von bis zu 22 Milliarden Euro erforderlich, um die EU-Vorgaben einzuhalten.

Das Defizit wollen FPÖ und ÖVP primär durch Ausgabenkürzungen reduzieren. Konkrete Maßnahmen wurden bisher nicht veröffentlicht, jedoch hat die FPÖ mehrfach betont, dass sie Sozialleistungen für Migranten kürzen will, um das Sozialbudget zu entlasten. Generell sind in der Wirtschaftspolitik die Gemeinsamkeiten groß: Sowohl die ÖVP als auch die FPÖ streben Steuersenkungen an und wollen kleine und mittlere Unternehmen entlasten.

ÖVP und FPÖ liegen in vielen Bereichen näher beieinander als die gescheiterte „Austro-Ampel“. Beide wollen die Klimapolitik zurückfahren und setzen auf eine restriktive Migrationspolitik. Sie befürworten den Ausbau des Grenzschutzes, die Einführung von Sachleistungen statt Geldleistungen für Asylbewerber und eine beschleunigte Abschiebepolitik.

Trotz der Schnittmengen zeichnen sich in den Verhandlungen auch Konfliktpunkte ab. Besonders in der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es Differenzen. Die FPÖ lehnt EU-Sanktionen gegen Russland ab und ist gegen militärische Unterstützung für die Ukraine, während die ÖVP die EU-Politik gegenüber Russland und Initiativen wie das europäische Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ unterstützt.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Medienpolitik. Die FPÖ fordert umfassende Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF, darunter Budgetkürzungen und strukturelle Veränderungen. Die ÖVP steht dem ORF hingegen traditionell wohlwollender gegenüber.

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