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Unter dem Schleier des Zwangs

Immer häufiger verschwinden junge Mädchen mit Migrationshintergrund aus deutschen Schulen. Nicht selten sind es fleißige Schülerinnen, die plötzlich fehlen. Zwangsehen zerstören das Leben dieser jungen Frauen für immer - und Deutschland schaut unbeholfen zu.

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Es ist die erste Woche in der Oberstufe, für mich heute eine Ewigkeit her. Neben mich setzt unser Klassenlehrer ein Mädchen mit Kopftuch. Sie stellt sich als Bariya (Name geändert, Anm. d. R.) vor, sie ist aus Syrien geflüchtet. Meine Aufgabe wird es für den Rest des Jahres sein, den Unterricht für sie auf Englisch zu übersetzen. Doch wie sich später herausstellte, sollte ich nicht lange als Simultanübersetzerin herhalten müssen. 

Bariya ist fleißig. Die Deutschstunden für die Flüchtlingskinder an unserer Schule finden dreimal in der Woche zusätzlich zum normalen Unterricht schon um 7 Uhr morgens statt. Eigentlich mag sie Deutschland nicht so wirklich. Sie erzählte mir mal, wie toll sie Erdogan findet und dass sie lieber in der Türkei geblieben wäre, wo ihre Familie zuerst hin geflüchtet ist. Aber sie möchte Medizin studieren, erzählt sie mir. 

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Ihr Kopftuch trägt sie jeden Tag in einer anderen Farbe, immer mit passenden Schuhen dazu, meistens in allen erdenklichen Pink-Tönen, sie ist immer geschminkt. In Syrien war ihre Familie sehr wohlhabend und Bariya muss auf eine gute Schule gegangen sein. In Mathe ist sie trotz Sprachbarriere viel weiter als wir. 

Doch bald kippt ihre Motivation. Sie fehlt immer öfter – wenn sie zum Unterricht erscheint, schaut sie auf ihr Handy. Später kommen noch mehr syrische Flüchtlinge in unsere Klasse und sie spricht mit ihnen nur noch auf Arabisch. Sie kapselt sich auch von mir ab, redet mit niemandem mehr so wirklich. Eines Tages zeigt sie uns aber ein Bild auf ihrem Handy. Ihr zukünftiger Ehemann, er wohnt aktuell noch nicht hier. Sie wirkt nicht so, als würde sie ihn wirklich kennen. 

Ihre Cousine hat gerade ein Kind bekommen, Bariya möchte auch Kinder bekommen, aber lieber kein Mädchen. Sie wird bald verheiratet und dann wird sie zu ihrem Mann ziehen, erzählt sie. Das war es mit dem Abitur, überhaupt mit einem Schulabschluss und erst recht mit dem Medizinstudium. Bariya verlässt die Schule noch mitten im Schuljahr. Sie hat sich bei uns nie verabschiedet. Sie war plötzlich einfach weg und dann hieß es, sie sei weggezogen. Das stimmte aber nicht. Einmal habe ich sie danach noch mal gesehen, mehrere Monate später – beim C&A in unserer Stadt an der Kasse. 

Zwangsheirat – auch in Deutschland kein seltenes Phänomen

Was genau mit Bariya passiert ist, weiß ich bis heute nicht, sie vertraute sich niemandem von uns jemals wirklich an. Vielleicht war es eine arrangierte Ehe, vielleicht sogar eine Zwangsheirat. Die sind in Deutschland nach Paragraf 237 Strafgesetzbuch zwar verboten, bezüglich der Kinderehe hat der Bundestag erst vor kurzem die Gesetze nachgebessert. Doch Bariya wäre damit nicht allein. 

Polizeilich erfasst wurden im Zeitraum von 2013 bis 2023 im Schnitt 67 Fälle pro Jahr. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher liegen. Das zeigt unter anderem die letzte bundesweite Studie zu dem Thema aus dem Jahr 2008, an der hunderte Beratungsstellen in ganz Deutschland teilnahmen. Dabei ergab sich laut dem Bundesfamilienministerium, dass 3.443 Personen von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen waren. 

Das ist nun 16 Jahre her. Seitdem ist die Anzahl an Menschen aus den entsprechenden Kulturkreisen in Deutschland um ein Vielfaches angestiegen. Aufgrund der unkontrollierten Massenmigration lässt sich heute kaum noch nachvollziehen, wer in diesem Land lebt – und erst recht, wer möglicherweise seinen Cousin heiratet und ob das freiwillig geschieht. In Deutschland ist längst eine Parallelgesellschaft entstanden – und damit auch ein praktisch rechtsfreier Raum. 

Diese Vermutung unterstreicht eine Studie des Arbeitskreises Zwangsheirat, für die 345 Institutionen und Organisationen im großen Stil Daten allein für Berlin erhoben haben. Demnach soll es im Jahr 2022 mindestens 496 Fälle von geplanter, befürchteter und vollzogener Zwangsverheiratung gegeben haben. Über ein Drittel betraf Minderjährige. Wenn diese Zahl für Berlin bereits so hoch ist, kann die Polizeistatistik, die für das Jahr 2022 „nur“ 67 Fälle erfasst hat, nicht annähernd die Realität wiedergeben. Und auch im Fall der Berliner Statistik nehmen Experten noch ein großes Dunkelfeld an. 

Entführung unter Vorwand

Die Durchführung von Zwangsehen ist längst durchgeplant und standardisiert. Die Mehrheit der Fälle wird durch Heiratsverschleppung ermöglicht. Dabei werden die Opfer durch ihre Familie ins Ausland gebracht, meist in ihre Herkunftsländer. Dorthin werden sie oft unter Vorwand gelockt – beispielsweise sollen sie sich vorgeblich von einem Verwandten verabschieden, der im Sterben liege. Nicht selten wird der Umzug jedoch auch durch Drohungen und Gewalt erzwungen.

Wenn sie dann im Ausland sind, vollzieht sich der Prozess der Zwangsverheiratung immer nach dem gleichen Muster: Den Frauen werden alle Papiere, jegliches Geld und das Handy abgenommen und sie werden bedroht. Entweder damit, dass sie nie wieder nach Deutschland zurückkehren dürfen, wenn sie nicht heiraten – oder mit einem Ehrenmord. Oftmals soll die Zwangsehe dafür sorgen, dass Verwandte durch die Heirat nach Deutschland nachgeholt werden können. Manchmal geht es um Geld – oder einfach um die Familienehre. 

Sobald das Mädchen ins Ausland verschleppt wird, gibt es kaum etwas, das die deutschen Behörden für sie tun könnten. Besonders, wenn die Opfer selbst noch keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Sollte der Verdacht einer sich anbahnenden Zwangsehe durch Verschleppung ins Ausland bestehen, muss auf jeden Fall verhindert werden, dass die Mädchen das Land verlassen. Entweder unter einem Vorwand oder durch Einschaltung der Behörden. 

In den Fällen, in den die Frauen tatsächlich mit ihrer Familie ins Ausland reisen wollen, wird empfohlen, dass sie Kopien ihres Passes und des Rückflugtickets anfertigen, Bargeld und ein geheimes Prepaid-Handy mitnehmen, die Adressen der deutschen Botschaft in ihrem Herkunftsland versteckt notieren und einer Vertrauensperson ebenfalls Kopien zukommen lassen. Und selbst das ist noch keine Garantie dafür, dass den Frauen geholfen werden kann, wenn sie erst im Ausland sind.

In Deutschland muss der Schein gewahrt werden 

Besonders Minderjährige und junge Volljährige sind gefährdet, fast ausschließlich Frauen. Sie dürfen in Deutschland meistens nur in die Schule gehen, dürfen darüber hinweg aber mit niemandem in Kontakt treten. Die einzige Chance, sie zu erreichen und ihnen zu helfen, ist damit die Schule. In einem Interview mit der taz erzählte eine beinahe zwangsverheiratete Frau, die sich Zohra nannte, dass ihr Vater ihr sogar einmal vorwarf, „rumzuhuren“, als sie nach der Schule mit einer Freundin auf ein Straßenfest ging. Sie musste danach fliehen, da ihr Vater ihr gedroht hatte, sie deshalb umzubringen.

Besonders gefährlich ist für Schulmädchen die „Ferienverheiratung“. Um die Zwangsheirat nicht zu offensichtlich zu machen, nutzen die Familien oft die langen Ferien, wie etwa die Sommerferien, um die Mädchen ins Ausland zu verschleppen und wenn nötig über längere Zeit dort zu behalten, sollte es Probleme geben. Denn auch wenn die Familien vielleicht meinen, es gehöre doch zu ihrer Kultur und sei in ihrer Heimat normal – sie wissen genau, dass das, was sie tun, in Deutschland verboten ist. Zohra erzählte im taz-Interview auch, dass ihr Vater sie seit ihrer Pubertät zwar immer gezwungen hatte, weite Kleidung zu tragen, jedoch nie ein Kopftuch – da man sonst ja vermuten könnte, dass sie unterdrückt werden würde. 

Lehrer sind besonders bei Mädchen angehalten, auf bestimmte Warnsignale zu achten, die zu Prävention an der Schule sorgen sollen. Etwa, wenn ein Mädchen, das eigentlich immer rege im Unterricht mitgearbeitet und gute Noten geschrieben hat, plötzlich die Schule vernachlässigt und sich zurückzieht. Oder wenn ein Mädchen nicht am Biologie- und Sportunterricht oder einer Klassenfahrt teilnehmen darf. Ebenfalls sollte misstrauisch machen, wenn ein Mädchen plötzlich traditionellere Kleidung trägt, Andeutungen macht, die Schule verlassen zu müssen oder Formulierungen nutzt wie „die schönen Tage stehen bevor“ oder von einem bevorstehenden Familienfest im Ausland spricht. 

In Deutschland gibt es bereits zahlreiche Angebote für Frauen, die von Zwangsehen betroffen sind. Sie können im Rahmen spezieller Programme in Frauenhäuser in einer fremden Stadt gebracht, im Fall von Minderjährigen in die Obhut des Jugendamtes genommen werden. Doch das bedeutet auch, endgültig mit der Familie zu brechen. Die Mädchen und Frauen dürfen nie wieder Kontakt mit ihr aufnehmen, zu groß ist die Gefahr für ihre Sicherheit und ihr Leben. 

Ein harter und drastischer Schritt, besonders für ein Mädchen, dem von klein auf anerzogen wurde, dass sie selbst weder über ihren eigenen Körper noch über ihr eigenes Leben bestimmen darf. Die Frauen und Mädchen brauchen meist jemanden in ihrem Umfeld, der ihnen hilft, sich aus den gefährlichen kulturellen Strukturen loszureißen. Doch das Umfeld hat hierzulande zu große Angst, überhaupt nur daran zu denken, dass Straftaten wie die Zwangsheirat unter Migranten aus muslimischen Kreisen besonders oft vorkommen könnten. Wenn ein Mädchen plötzlich verschwindet, überlässt man sie ihrem Schicksal. So wie bei Bariya. 

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