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Strategiewechsel: Plötzlich will die SPD die Arbeiter wiederentdeckt haben

Der neue SPD-Generalsekretär fordert von Scholz mehr Einsatz für Industrie-Beschäftigte - plötzlich entdeckt die Sozialdemokratie den Arbeiter wieder, den sie jahrelang ins Abseits gestellt hatte. Schon lange hat SPD-Politik aber nichts mehr mit Arbeiterinteressen zu tun - das zeigen auch Wahldaten.

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Die SPD war eine Arbeiterpartei – das war zumindest in der alten Bundesrepublik ein selbstverständlicher Satz, eine banale Wahrheit wie „Wasser ist nass“. Auch in den 2000er Jahren regierte lange eine starke SPD, deren Rückgrat die Arbeiter und einfachen Angestellten waren. 

Mittlerweile sind diese Zeiten vorbei: Arbeiter wählen nicht mehr die SPD, und man kann es ihnen auch nicht verübeln. Denn wenige Parteien haben so konsequent Politik gegen die Interessen ihrer Anhänger gemacht wie die Sozialdemokratie, die sich schon lange von ihrer einstigen Stammwählerschaft verabschiedet hat. Die SPD hat in den letzten 20 Jahren eine Transformation durchgemacht, die ihren Niedergang auch in großen Teilen erklärt: Aus der sprichwörtlichen „Partei der Arbeiter“ wurde eine „Partei der Eliten“.

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Es war nicht, wie es so oft heißt, der böse „Neoliberalismus“ Marke Gerhard Schröder, der die SPD durchsetzt und ihren Niedergang herbeigeführt hat – es war die „Durchgrünung“ der SPD. Denn sie ist mittlerweile Komplize bei genau der grünen Politik, die dem einst klassischen SPD-Wähler schadet. Der politische Platz für eine Sozialdemokratie, die die Interessen der „kleinen Leute“, der Arbeiter und Angestellten im Blick hat, ist vakant.

Jetzt aber hat die SPD, so scheint es, die Industriearbeiter wiederentdeckt. Sie bräuchten sichere Jobs, tönt der neue Generalsekretär Matthias Miersch plötzlich. Scholz hat erst kürzlich dargestellt, „dass die Energiepreise tatsächlich ein Problem sind (…) ich erwarte, dass wir das jetzt in der Regierung auch gelöst bekommen“, sagte Miersch im Deutschlandfunk. Geht es nach führenden Mitgliedern des Parteivorstands, sollen die Industriejobs wieder im Fokus der SPD stehen.

Die SPD-Fraktion hat eine Taskforce eingerichtet, um Vorschläge zu erarbeiten, wie man Industrie-Arbeitsplätze in Deutschland sichern und den Wirtschaftsstandort stärken könnte. Der rechte Parteiflügel, der Seeheimer Kreis, hat kürzlich ein Positionspapier zur „Stärkung der arbeitenden Mitte“ veröffentlicht. SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff sagt gegenüber ThePioneer, die SPD brauche jetzt „eine klare Positionierung“: Die Industriepolitik müsse wieder im Mittelpunkt stehen.

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Das sind ungewohnte Töne aus einer Partei, die bis vor ungefähr fünf Minuten noch Politik gegen den Industriestandort Deutschland gemacht hat. Es sei an dieser Stelle zum Beispiel nicht vergessen, welche Mitverantwortung die SPD für die Energiepreise hat, die der deutschen Industrie schaden – angefangen mit der von Rot-Grün 2002 initiierten „Energiewende“, die jeden Tag mehr als teures Desaster für die Industrienation Deutschland entpuppt, bis zur daraus folgenden Abhängigkeit von russischem Gas, die uns 2022 erwartungsgemäß um die Ohren geflogen ist. Jetzt formuliert der SPD-Generalsekretär in dieser Frage plötzlich Erwartungen an den SPD-Kanzler – Guten Morgen!

Die „Durchgrünung“ der SPD begründet ihr Siechtum

Aber wenn die SPD sich jetzt wirklich anschickt, das wiederaufzubauen, was sie zuvor eingerissen hat, wäre das lobenswert. Es gäbe auch viel zu tun. Die Arbeiter jedenfalls sind als Wählergruppe längst weitgehend weg – ein seit Jahren anhaltender Trend, der sich bei den letzten Wahlen weiter verfestigt hat. Bei der Europawahl, genauso wie bei den Wahlen im Osten, verlor die SPD die Arbeiter, die stattdessen vor allem AfD wählen. Die Sozialdemokratie wird derweil vor allem von Großstädtern und von Rentnern gewählt – in Brandenburg etwa war die SPD am stärksten bei der Wählergruppe 70+, wo aus Gewohnheit, fast aus Reflex, SPD gewählt wird.

Wer aber seine Wahlentscheidung nicht sozusagen im Stammhirn trifft, sondern aktiv darüber nachdenkt, weiß nicht so recht, warum man die SPD wählen sollte. Generell ist aus der Partei eine der Randgruppen, Randthemen und urbanen Eliten geworden – Queerpolitik, offene Tür für Migranten aus aller Herren Länder, eine absurde und arbeitsplatzfeindliche Klimapolitik, das Verteilen von deutschem Steuergeld in alle Welt und die großzügige Alimentierung von Arbeitslosen – das sind die Kernanliegen, die man von der SPD wahrnimmt. Damit macht sie im Kern eigentlich Politik für ein grünes, bourgeoises Milieu: Dem durchschnittlichen Arbeiter ist das jedoch nicht vermittelbar, weil er nichts davon hat.

Christian Ude, langjähriger Oberbürgermeister von München, brachte das Problem schon 2017 auf den Punkt. Zum Absturz seiner Partei sagte Ude im Interview mit Gabor Steingart: „Das hat zu tun mit einer Entfernung der führenden Funktionärsschichten der Partei von den Stammwählern – die SPD hat sich von ihrer Wählerschaft entfernt und merkt es nicht einmal!“

Eine dieser Stammwählerschaften waren die Industriearbeiter – Wer sie wiedergewinnen will, muss vor allem eine industriefreundliche Politik machen. Früher wussten Sozialdemokraten noch, dass sie gerade als Arbeiterpartei die Wirtschaft eher als Partner denn als Feind begreifen müssen – das war dann Sozialdemokratie im besten Sinne. Die heutige SPD hingegen ist mit den Verbänden, etwa dem BDI, bis aufs Blut verfeindet. Dessen Präsident Rußwurm schimpft so laut über Scholz, wie vielleicht noch kein Industrieller über einen Bundeskanzler geschimpft hat.

Große Worte – von denen niemand mehr etwas erwartet

Dabei ist es eigentlich eine Binsenweisheit, auf die die SPD bei der Suche nach ihren alten Wählern hoffentlich auch noch stoßen wird: Ein Industriearbeiter kann nur arbeiten, wenn es auch eine Fabrik gibt. Und Fabriken brauchen eben auch den Fabrikanten, der die Produktionsmittel kauft und die Produkte dann gewinnbringend verkauft.

Anhand einstiger Säulen des deutschen Wohlstandes wie BASF oder Volkswagen zeigt sich, wie schlecht es inzwischen um die hiesige Industrie steht. Deutschland ist unrentabel – und wenn der Fabrikant hier kein Geld mehr verdient, tut es der Arbeiter irgendwann auch nicht mehr. Die deutsche Sozialdemokratie lebte in Zeiten ihres größten Erfolges immer nach dieser Weisheit.

Wenn sie jetzt den Industriearbeiter wiedergewinnen will: Lobenswert! Dann muss sie allerdings auch eine Politik machen, die wieder die Interessen der Arbeiter, generell die der arbeitenden Durchschnittsbevölkerung, höher gewichtet als die von gesellschaftlichen Kleinstgruppen, neuen Zuwanderern und Arbeitslosen. Die Erwartungen sind da längst im Minusbereich. Oder um es positiv zu formulieren: Die SPD hätte jede Chance, die Erwartungen zu übertreffen.

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