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Habecks „Modernisierungsagenda“: Ich, der Deutschland-Philosoph

Ein etwas wirrer Habeck präsentiert einen ich-geleiteten „Modernisierungsimpuls“. Er begreift sich als Visionär, doch seine Ideen sind alter Wein in neuen Schläuchen. Große Digitalisierungsidee: Eine App, „in der alle Sozialleistungen direkt beantragt werden können“.

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„Ich“ ist ein Wort, das in Habecks Impuls-Papier und auch in der Pressekonferenz zu ihm oft fiel. Der Wirtschaftsminister schlug am Mittwoch eine „Modernisierungsagenda“ vor und präsentierte sich dabei streckenweise wie ein selbstüberzeugter, großer Denker. „Es gibt von der Opposition keine Gegenfinanzierungsvorschlag, der funktioniert keinen. Hier mach‘ ich einen“, sagt er beispielsweise – mit breiter Brust vertritt Habeck das, was er vielleicht als Denkschrift begreift. Er lege einen „Impuls für eine Modernisierungsagenda vor“, so Habeck wörtlich.

Vor allem ein Gedanke nimmt viel Raum in dem persönlich gehaltenen Papier ein: Habecks Idee eines „Deutschlandfonds“ soll viel Geld mobilisieren. Denn Deutschland fehle „Investitionsdynamik“: Von „erfolgreichen Ländern“ sei Deutschland dank der „restriktiven“ Vorgaben der Schuldenbremse weit entfernt. Diese müsse man aufbrechen, um dann den „Deutschlandfonds“ zu befüllen, der ein Projekt von Bund und Ländern sein soll. Mit ihm will Habeck aus dem Vollen schöpfen. Unternehmen sollen für fast alle Investitionen grundsätzlich mit zehn Prozent „Investitionsprämie“ gefördert werden. Habeck meint: „Das größere Wirtschaftswachstum würde dafür sorgen, dass die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur moderat ansteigen würde.“

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„App, auf der alle Sozialleistungen direkt beantragt werden können“

Der Fonds sollte außerdem Geld dafür bereitstellen, „die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen“: Schienen und Straßen, Brücken und Tunnel, aber auch mehr Geld für Bildung und Forschung sollen so Geld bekommen, dass man im Haushalt angeblich nicht finden könne. Auch für massive Digitalisierungsschübe bräuchte man diesen Fonds, meint Habeck: „Grundvoraussetzung für eine stärkere Digitalisierung ist eine entsprechende digitale Infrastruktur“. Doch es geht ihm nicht nur um schnellere Netze: Mit dem Geld könne man zum Beispiel auch eine Behörden-App vorantreiben – eine „Deutschland-App, auf der alle Sozialleistungen direkt beantragt werden können“, schwebt Habeck vor. Das ist wohlgemerkt seine große Vision für die digitale Transformation mittels „Deutschlandfonds“: Bürgergeld per App.

Oft in Ich-Form gehalten, präsentiert das Dokument sich streckenweise wie eine formlose Darlegung von Ideen eines einzelnen, wäre da nicht die offizielle Kopfzeile des Ministeriums. Es soll eine Vision ausdrücken. Aber nicht nur vom Auftreten in der Pressekonferenz her wirkt es so, als sei Habeck diese Vision auch erst heute früh in einer schlaflosen Nacht gekommen. Ein müde wirkender Habeck führt dort über sein Papier aus: „Ich habe meine Ideen nochmal schriftlich zusammengefasst“. Und er wirkt ein wenig so, als habe er sie tatsächlich um halb drei in der Nacht noch zu Papier gebracht.

„Dieses Impulspapier, das ich geschrieben habe“ – damit wolle er „Anwalt der Wirtschaft“ sein. Es sei „getragen von der Erneuerung der Standortbedingungen in Deutschland“. Er spricht über „technologiefreundliche Regulierung“. Regierungen sollten nicht „vorgeben, was als Technik gesucht wird (…), sondern ein Problem muss gelöst werden und dann gibt es einen Wettbewerb“.

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Bemerkenswerte Ausführungen – ist Habeck doch Kanzlerkandidat der Grünen, die Dirigismus und staatliche Vorgaben verkörpern wie keine andere Partei. Ein Paradigmenwechsel der Grünen als ganzes? Man weiß es nicht – Habeck spricht irgendwie wie ein frei im politischen Raum schwebender Akteur. Zwischenüberschriften wie „Mission: Problem lösen“ lesen sich so herrlich unbeteiligt an allem, was passiert.

Von Parteiprogrammen müsse man sich lösen, erklärt Habeck: „Wenn jetzt die erwartbare Reaktion ist: Boah ne, doch lieber nicht, und: steht nicht in meinem Parteiprogramm – dann verpufft es.“ Immerhin habe er ja auch eine Menge Dinge aufgeschrieben, die nicht im Parteiprogramm der Grünen stünden. Habeck als Deutschland-Philosoph, über den Parteien schwebend?

Hier macht er dem politischen Gegner elegant zum Vorwurf, was er natürlich selber betreibt. Habeck will ja gemäß Parteilinie nicht dort sparen, wo man durchaus sparen könnte. Statt beim Bürgergeld zu sparen, gibt es die Sozialleistungs-App – und die grüne Finanzierung von Polit-Projekten in der sogenannten Zivilgesellschaft ist auch nicht anzurühren. Man muss sich klarmachen: Jeder Schulden-Euro, an dessen Stelle zum Beispiel auch einer von vielen Millionen Euros aus Lisa Paus‘ Kulturkampf-Kasse „Demokratie leben“ stehen könnte, finanziert letztendlich auch die Ideologie-Projekte der Grünen zulasten der Allgemeinheit.

Im Grunde schlage er Steuersenkungen vor, sagt Habeck – „die aber nicht zulasten von Sozialkürzungen, Bildung, Forschung, Kultur finanziert werden, sondern quasi vorfinanziert werden“. Er senkt also tatsächlich gar keine Steuern, sondern zahlt Subventionen aus. Habeck meint mit Blick auf die Wirtschaft: „Allgemeine Steuersenkungen sind keine Garantie, dass wirklich investiert wird“. Offen bleibt, was die Unternehmer seiner Meinung nach stattdessen mit dem Geld machen würden. Für die meisten wären die Profite aus einer Steuerentlastung aktuell sicherlich kein Spielgeld, sondern Luft zum Atmen.

Aber Habeck will stattdessen alle Steuern einnehmen und dann Prämien über eine „negative Steuer“ auszahlen – das sei immerhin zielgenauer. Wenn er aber schon Steuersenkungen mit dem Argument ablehnt, ihr Effekt sei zu breit und ungenau, sollte er eben auch ein Konzept vorlegen, das Genauigkeit liefert – und „zehn Prozent auf alles“ ist eben auch nicht so viel genauer als eine Steuersenkung. Aber wer Wirtschaft vom Staat her denkt, landet eben in genau solchen Verrenkungen.

Fachleute kritisieren Habeck-Plan

Die Kritik ist verheerend – zurecht verheerend. Habecks Lernkurve als Wirtschaftsminister scheint ein Plateau zu sein – die Ideen, die er hat, sind unoriginell. Das Dokument, das vielleicht ein politphilosophischer Offenbarungstext sein soll, auch nur die Aufwärmung von alten, linken Ideen. Die Idee, alles und jedes Problem einfach mit aus dem Nichts erschaffenen Schuldengeld zuzukippen, bleibt unsolide. Vom Forschungsdirektor des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Stephan Kooths, bis zum DIW-Chef Marcel Fratzscher, der sonst der Haus- und Hof-Ökonom von Rot-Grün zu sein scheint, melden Wirtschaftsfachleute erhebliche Zweifel an. „Den meisten Unternehmen mangelt es nicht an Geld, sondern an Vertrauen, Zuversicht und Projekten, in die sie lohnenswert investieren können“, sagte Fratzscher im SWR. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kritisiert laut Focus Online vor allem, dass „die Finanzierung ungeklärt bleibt“. Applaus gibt es von der SPD, die ohnehin ein gleiches Konzept gefordert hat, und von den Gewerkschaften.

Die Finanzierung ist aber in der Tat ungeklärt – es kann nur über Schulden gehen. Wir sprechen jedoch über massive Summen: Habeck jongliert mit riesigen Zahlen – 60 Milliarden hier, 70 Milliarden da, deutlich mehr als das hundert Milliarden schwere Sondervermögen Bundeswehr. Woher das Geld kommen soll, weiß nicht mal das von den Vorschlägen überraschte Finanzministerium.

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