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„Kein Einzelfall“

Grünen-Austritt wegen Gelbhaar-Affäre: Ehemaliger Abgeordneter spricht von „strukturellem Problem“

Nach den gefälschten Belästigungsvorwürfen gegen Stefan Gelbhaar tritt der ehemalige Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu aus der Partei aus. In einem offenen Brief spricht er von „strukturellen Problemen“ in der Partei und warnt: Die Kampagne gegen Gelbhaar war „kein Einzelfall“.

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Özcan Mutlu war als Abgeordneter der Grünen im 18. Bundestag vertreten. Jetzt tritt er aus der Partei aus.

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Infolge der Gelbhaar-Affäre kam es bei den Grünen zu einem ersten Parteiaustritt: Özcan Mutlu trat nach 35 Jahren aus der Partei aus. Der in der Türkei geborene Berliner war von 2013 bis 2017 Mitglied des Bundestages und setzte sich während seiner Zeit als Grünen-Mitglied nach eigenen Aussagen für Weltoffenheit und Inklusion ein. In einem offenen Brief an die Parteispitze hat er jetzt seinen Austritt begründet: „Aber jetzt ist genug“, heißt es da etwa.

Trotz gemeinsamer Werte, die ihn mit der Partei verbinden, begründet Mutlu seinen Austritt mit den aktuellen Vorgängen im Kreisverband Berlin-Pankow. „Das, was Stefan Gelbhaar widerfahren ist, kenne ich aus eigener Erfahrung nur allzu gut“, schreibt der ehemalige Abgeordnete weiter. „Die aktuellen Vorfälle sind kein isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten strukturellen Problems im grünen Landesverband Berlin“, offenbart der ehemalige Politiker weiter.

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Bisher waren schon tiefe Zerwürfnisse in dem Berliner Landesverband bekannt, vor allem zwischen dem linken Flügel und den sogenannten Realos – dem auch Gelbhaar angehört – gibt es immer wieder Spannungen. Mutlu entpuppt die Unstimmigkeiten jetzt eben auch als Teil eines „strukturellen Problems“. Derartige Kampagnen folgen „stets dem gleichen Muster“, erklärt er. „Es werden haltlose und strategisch platzierte Anschuldigungen erhoben, die auf den ersten Blick schwerwiegend erscheinen, tatsächlich jedoch jeglicher Substanz entbehren.“

Damit wollen die Urheber „maximalen Schaden“, erklärt Mutlu weiter. Die Debatte würde geschickt gelenkt werden, sodass „die beschuldigte Person nicht nur moralisch vorverurteilt wird, sondern kaum eine Chance hat, sich angemessen zu verteidigen.“ So würden die Beschuldigten ihrer „Handlungsfähigkeit“ beraubt werden – ein Vorgehen, das er nach eigenen Aussagen bereits selbst kennenlernen musste.

Bei der Wahl zum Bundestagswahlkandidaten in Berlin-Mitte 2021 unterlag Mutlu seiner Kontrahentin Hanna Steinmüller, nachdem medial über angebliche Kontakte von Mutlu zu der Partei von Recep Tayyip Erdoğan, dem türkischen Präsidenten, berichtet worden war. Mutlu soll interne Wahlen zuvor bereits mit türkischstämmigen Grünen-Mitgliedern beeinflusst haben, so lautete der Vorwurf. Der ehemalige Politiker dementierte das, die Vorwürfe konnten nicht bewiesen werden – gewählt wurde er dennoch nicht.

Auch gegen andere Grünen-Mitglieder und jetzt auch Gelbhaar seien einige Funktionäre derartig vorgegangen, so Mutlu. Über den 48-jährigen Familienvater schreibt er: „Für eine Partei, die sich sonst moralisch über andere erhebt, ist es geradezu heuchlerisch und beschämend, einen Abgeordneten mit falschen Anschuldigungen derart skrupellos kaltzustellen.“

Im November war Gelbhaar eigentlich noch zum Direktkandidaten der Grünen in Berlin-Pankow gewählt worden. Nachdem der RBB im Dezember über Vorwürfe der sexuellen Belästigung berichtet hatte, gab der Abgeordnete, der seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages ist, zunächst seine Kandidatur für die Landesliste ab – zugunsten von Andreas Audretsch, Vizevorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion und Robert Habecks Wahlkampfmanager (Apollo News berichtete).

Im Januar musste Gelbhaar dann auch seine Direktkandidatur bei einer zweiten Wahlversammlung abgeben. Weil jetzt die Frist zur Ernennung von Direktkandidaten abgelaufen ist, kann die Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden, Gelbhaars politische Zukunft ist ungewiss. In der vergangenen Woche war nach Recherchen des Tagesspiegels bekannt geworden, dass der Kern der Belästigungsvorwürfe gefälscht und vermutlich von einer Grünen-Bezirkspolitikerin inszeniert worden war.

„Dieses perfide Vorgehen zeigt nicht nur menschliche Abgründe, sondern legt ein tiefgreifendes strukturelles Problem offen: Für manche Funktionäre zählt der Machterhalt und die eigene Karriere offenbar mehr als Integrität, Gerechtigkeit oder Anstand“, urteilt Mutlu jetzt in seinem Brief und kommentiert weiter: „Die aktuellen Geschehnisse rund um die Vorwürfe gegen Stefan sind ein erschreckendes Beispiel für die toxischen Machtstrukturen bei den Berliner Grünen.“

Mutlu hebt hervor, dass immer „dieselben innerparteilichen Kreise und Personen regelmäßig von der gezielten Diffamierung und politischen Ausschaltung unliebsamer Kandidat*innen profitieren“. Er fordert deshalb eine lückenlose Aufklärung und hält fest, die Partei sei durch „Intrigen, Machtspiele und eine eklatante Fehlerkultur“ verändert worden. „Ich kann und will diese Strukturen nicht länger mittragen“, schlussfolgert Mutlu.

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