Georg III. regierte sein Land 59 Jahre lang, u.a. durch die amerikanische Revolution. Selbst US-Revolutionsführer zollen dem tief christlich-moralisch motivierten Welfen später Respekt. In ihm zeigt sich die eigentliche reaktionäre Besonderheit der amerikanischen Revolution - und das völlige gegenwärtige Zerrbild über das britische Empire.

Es ist eine Begegnung, die unmöglich schien, bis sie passierte. Am 1. Juni 1785 traf John Adams – Revolutionsführer, erster Vize-Präsident und späterer zweiter Präsident der jungen USA – in London auf König Georg III. von Großbritannien. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg war gerade einmal zwei Jahre her. Georg III. sträubte sich bis zuletzt rabiat, die Unabhängigkeit anzuerkennen und wurde schon in der Unabhängigkeitserklärung zum brutalen Tyrannen erklärt – US-Revolutionäre fanden immer härtere Vorwürfe, vom „sabbernden Wurm“ bis zum kinderfressenden Saturn. Adams auf der anderen Seite erlebte in Boston die brutalsten Kapitel des Krieges, war im Kontinentalkongress aus dieser Prägung einer der entschiedensten Redner für die absolute Loslösung vom britischen Mutterland.

Doch an diesem Junitag ist alles anders. Adams betritt den goldenen Palastsaal und macht leicht ungelenk drei tiefe Verbeugungen auf seinem Weg zum Thron des gerade noch verhassten Tyrannen. Traut man Adams Tagebucheinträgen, war in diesem Raum eine eigenartige menschliche Spannung – dann eine fast rührende Sympathie zwischen beiden. In über-höflichem diplomatischem Sprech dieser Zeit folgen Respektbekundungen. Adams verkündet dann, seine einzige Loyalität gelte seinem Vaterland – den Vereinigten Staaten. Der König antwortet zu seiner Überraschung überaus respektvoll: „Ein ehrlicher Mann wird nie eine andere Loyalität haben.“ Adams notiert später in einem Tagebuch, wie aufgeregt und emotional bewegt er war und registrierte beim König: „Er schien sehr bewegt zu sein und antwortete mir mit mehr Zittern, als ich gesprochen hatte.“

John Adams: Der konservative Skeptiker unter den US-Gründervätern gerät verhältnismäßig in Vergessenheit

Adams wird ab dann ein positives Bild über den König zeichnen. Die Vereinigten Staaten werden sich unter George Washington in atemberaubender Geschwindigkeit nach dem Krieg an Großbritannien annähern. Trotz der französischen Allianz im Unabhängigkeitskrieg verweigert Washington jede Intervention in Europa, auf die Französische Revolution blickt er skeptisch – schließlich stehen die USA kurz vor einem Kriegseintritt an britischer Seite in die Koalitionskriege. Stattdessen entdecken seine Mitstreiter – insbesondere Alexander Hamilton – die Vorzüge des eigentlich verhassten britischen Staates, der gerade in finanzpolitischen und rechtlichen Fragen zunehmend zum Vorbild wird.

Die Revolutionäre bringen Toasts auf den König aus

Doch die Erkenntnis, zu der selbst amerikanische Gründerväter kamen, geht im postkolonialen Denken unserer Zeit wie in den meisten Verfilmungen völlig unter: Das britische Empire war schon im 18. Jahrhundert ein Reich von eigentlich unglaublicher Modernität, Freiheit und Moral – und Georg III. regierte aus einer Haltung heraus, die seiner Zeit voraus war. Die Rechte freier Engländer waren gesellschaftlich tief in einem selbstbewussten Bürgertum verwurzelt – auch die US-Revolutionäre beriefen sich permanent auf sie.

Es verwundert daher nicht, dass die meisten US-Revolutionäre ihren Aufstand zunächst als Aufstand gegen ein korruptes britisches Parlament begriffen, in ihrer subjektiven Wahrnehmung aber gerade für den hintergangenen König eintraten. Im Generalstab von George Washington wurden noch in der Anfangsphase des Krieges Toasts auf seine Majestät ausgebracht.

Während in Kontinentaleuropa der (wenngleich aufgeklärte) Absolutismus seine Hochphase entwickelte, hatte Großbritannien nicht nur ein Parlament mit unangefochtener Haushaltskompetenz – mit der staatsrechtlichen Idee des King in Parliament, hatte sich bereits die Vorstellung durchgesetzt, dass die Souveränität nicht mehr ausschließlich vom König von Gottes Gnaden ausgeht, sondern gleichfalls vom Volk durch das Parlament. Im Laufe der Regentschaft von Georg III. wurden britische Premierminister so mächtig, dass einige Historiker davon ausgehen, der US-Präsident hatte im späten 18. Jahrhundert schließlich mehr faktische Macht als der britische König.

Großbritannien wurde stark wie nie

Doch der Stempel der Geschichte wurde über Georg III. schnell gefertigt: In seiner zweiten Lebenshälfte führte ihn vermutlich eine Stoffwechselkrankheit in den wortwörtlichen Wahnsinn, er wurde entmündigt und durch seinen Sohn als Prinzregenten ersetzt. Der irre König – das wurde sein Beiname, vielfach wird das belustigend in Filmen dargestellt. Nach den amerikanischen waren es auch die französischen Revolutionäre und Napoleon – gegen die Georg Krieg führte – die ihn zum Feindbild schlechthin machten. Im Inland schmähte ihn die Oberschicht als Farmer George (Bauer Georg), weil er einen für die Gesellschaft unschicklich einfachen Lebensstil pflegte und sein Interesse primär der Landwirtschaft und den Belangen der Bauern galt. 

Später entdeckten Historiker andere Facetten an Georgs Regentschaft. Der tief religiöse Welfe agierte subjektiv hochgradig moralisch, spendete die Hälfte seines Privatvermögens an die Wissenschaft. In seiner Amtszeit gewann das Parlament immer stärker an Macht – das ging soweit, dass Georgs Hauptmotivation für seine entschiedene Position im Unabhängigkeitskrieg darin bestanden haben soll, dass er der Meinung war, er würde das Haushaltsrecht des Parlaments durchsetzen. Er prägte das moderne Selbstverständnis des Königshauses – von Besitzern eines Landes hin zu moralischen Identifikationsfiguren ihres Volkes.

So mächtig wie nie: Das britische Weltreich 1823, nach Ende von Georgs Regentschaft

In seiner Regentschaft fallen bemerkenswerte Reformen. Unter William Pitt dem Älteren und Lord Chatham setzte sich die Blue Water Vision durch, der Fokus weg vom Kontinent hin auf das Weltreich. Es begründet die unglaubliche Macht, die Großbritannien im 19. Jahrhundert erreichen sollte – schließlich wird sein Reich nach dem verlorenen Unabhängigkeitskrieg mächtiger als je zuvor. In seine Regentschaft fällt die immer stärkere Ausweitung des Parlamentarismus, der Sieg im Siebenjährigen Krieg und der Sieg über Napoleon. Trotz der Niederlage in Amerika ist die Epoche für das Imperium überaus erfolgreich – sie mündet im Triumph von Trafalgar über Napoleon. Die britische Kriegsmarine wird unanfechtbar.

Die Sklaverei als Moral-Frage schlechthin

Spannend ist insbesondere die Frage der Sklaverei, mit der heutzutage gerne die amerikanische Revolution diskreditiert wird. Während die US-Revolutionäre in der Frage gespalten waren, war es insbesondere ihr linker Flügel um Thomas Jefferson, der – als Freund der französischen Revolution und Urvater der Demokraten – zunehmend rassistisch argumentierte. Hingegen waren die konservativ (heißt: britisch) geprägten Revolutionäre wie Alexander Hamilton Sklaverei-kritischer. Grundlage ist insbesondere der liberale Wirtschaftsphilosoph Adam Smith, der die Sklaverei als im marktwirtschaftlichen Sinne dauerhaft rückschrittlich und unproduktiv betrachtete.

Gleichzeitig war kein Staat derart entschieden für den Abolitionismus wie Großbritannien. Georgs Premierminister William Pitt der Jüngere hielt schon in den 1780er Jahren eine flammenden Rede für das Ende der Sklaverei, eine Jahrhundertaufgabe, der sich das Empire aus ausschließlich moralischen Gründen verschreiben wird, die zu unglaublichen Kosten führte und das Reich in eine globale Rezession stürzte.

Die angeblich so egalitaristische, französische Revolution hatte diesen Mut nicht, in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sprach man sich ganz eindeutig nicht gegen die Sklaverei aus, erst die Jakobiner verboten sie in ihrer mörderischen Hochphase 1794, was allerdings nie umgesetzt wurde. Wenige Jahre später wurde sie wieder eingeführt. Großbritannien schaffte die Sklaverei weit vor den anderen europäischen Großmächten ab und drängte die anderen, den Schritt zu übernehmen. In Großbritannien wurde die Frage schon heiß diskutiert, als in Deutschland mit dem System der Leibeigenschaft noch einige Teile der eigenen Bevölkerung in semi-sklavischen Verhältnissen lebten.

Wird die Frage von Sklaverei und Rassismus – wie heute üblich – zur ultimativen Frage der Moral erklärt, so war niemand in dieser Zeit so moralisch wie die liberale britische Monarchie. In Amerika werden es einige Jahrzehnte später die gesellschafts-revolutionären, egalitären Demokraten der Jackson-Ära sein, die der Sklaverei erst ihren tief rassistischen Charakter verleihen und die dann gar freien Schwarzen weitgehend das Wahlrecht entziehen.

Revolution ohne Blutbad

Historisch zeigt die Beschäftigung mit Georg III. vor allem vieles über die amerikanische Staatsgründung: Die amerikanische Revolution war eben nicht der Gegenentwurf zum britischen Empire. Sie war vielmehr eine Verlängerung, eine konsequentere Durchsetzung jener Errungenschaften, Ideen und Rechte, die im alten Weltreich gewachsen waren. Insbesondere der (religiöse) Pluralismus begünstigte die Revolution. In vielen Punkten wollten Amerikaner nur jene Rechte, die Engländer in Großbritannien schon genossen. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg verlief dann auch verhältnismäßig unblutig, es gab keinen systematischen Vernichtungskrieg, hingegen galten Grundvorstellungen von militärischer Ehre und Respekt, da sich beide Seiten gegenseitig als Ihresgleichen ansahen. Es war eine der wenigen großen Revolutionen, die ohne Massenmord auskam.

Die Kapitulation des Lord Cornwallis bei Yorktown 1781 – in Folge erkennt London die Unabhängigkeit der USA an. Die Truppen und ihre Verbündeten können friedlich heimkehren.

Während Frankreich den Weg zur Volkssouveränität mit Massenmord eröffnete, bietet der britisch-amerikanische Weg die große Erfolgsgeschichte der Reform. Statt großer Verheißungen über den neuen Menschen und Tugendterror finden sich Kompromisse zum Besseren in der Gegenwart. Die Grundlage waren freie Denker, selbstbewusste Parlamentarier, religiöser Moralismus, aber auch – seit der Übernahme des Hauses Hannover – eine Reihe von Monarchen, die aus christlicher, patriotischer Perspektive agierten: und die ihre Macht mehr oder weniger friedlich, stückchenweise abgaben.

In der Person Georg III. finden die modernen, post-kolonialen Gerüchte über das Britische Empire ihren Brennpunkt. Ein Reich parfümierter Perücken, von Brutalität und Perversion, von Dekadenz und egoistischem Machttrieb, von Korruption und Mordlust – so ist das Bild. In der heutigen Wahrnehmung gilt aller Realität zum Trotz das 18. Jahrhundert als moralfreie, quasi-mittelalterliche Zeit – dabei war wohl in wenigen Zeiten der Geschichte individuelle Moral und Ehre gesellschaftlich derart von Bedeutung. Betrachtet man diesen Staat im Verhältnis zu seiner Zeit – und nur eine solche Betrachtung ergibt irgendeinen Sinn – war das Reich Georg des Dritten ein Weltreich der Freiheit. Reitet man in Deutschland gerne auf den vermeintlichen Errungenschaften des Code Napoleon herum, so bildete das britische Common Law den ersten, erstaunlich funktionalen großen Rechtsstaat seiner Zeit.

Das Leben von Farmer George endete tragisch. Seine Geisteskrankheit prägte phasenartig seine Regentschaft bis zu seiner Entmündigung. Sie ist widersprüchlich, ziellos – wie sein ganzes Reich, das dauerhaft auf Versuch und Irrtum und relativ undogmatischen Ausgleich setzt. Doch in seiner Zeit gediehen Freiheit und Rechtsstaatlichkeit wie kaum jemals zuvor; insofern ist auch er ein Wegbereiter des modernen Westens.


Die Grundlage vernünftiger Politik ist ein realistisches Verständnis der Geschichte. Apollo Chronik erscheint jeden Samstag – und bietet statt post-kolonialer Mythen die Fakten zur Geschichte des Westens. Zur letzten Ausgabe.

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