Am 20. Juli 1944, um 12:42 Uhr, detoniert ein Kilogramm Sprengstoff in der Wolfsschanze, der Raum wird verwüstet, der massive Tisch kracht zusammen, im Fußboden wird ein Loch aufgerissen, von gut einem halben Meter im Durchmesser. Von 24 Menschen in diesem Raum, heute vor genau 80 Jahren, sterben vier, und neun werden schwer verletzt. Adolf Hitler ist nicht darunter. Das ist die Tragik.
Zwar explodieren in jenen Tagen viele Bomben in Europa, doch diese wird Geschichte schreiben. Es lässt sich viel darüber streiten, warum sie gelegt wurde, wer welche guten oder sehr guten Gründe hatte, Hitler töten zu wollen. Aber, dass sie gelegt wurde, das ist die Hauptsache.
Warten auf Walküre
Der militärische Widerstand plante bereits mehrere Attentate, doch sie blieben erfolglos. Stauffenberg musste das Attentat selbst ins Auge fassen und in die Hand nehmen – als einäugiger Einhändiger, weil es keinen anderen gab. Der Plan, so waghalsig, ausgerechnet Joseph Goebbels wird etwas Wahres dazu sagen: „Der Stauffenberg, allerdings, das war ein Kerl! Um den ist es beinahe schade. Welche Kaltblütigkeit, welche Intelligenz, welch eiserner Wille! Unbegreiflich, daß er sich mit dieser Garde von Trotteln umgab.“
Im Bendlerblock in Berlin wartet man derweil auf das Stichwort Walküre – der Plan, nach dem die Führer von NSDAP, SS, SD und Gestapo ausgeschaltet und ihr Apparat entmachtet werden soll. Ein Staatsstreich, der den NS-Machtapparat zerschlagen soll, ohne Verdacht zu erwecken, einen Staatsstreich zu betreiben. Für das Attentat sollte „eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer“ verantwortlich gemacht werden, der Putsch will sich als Manöver zum Erhalt der nationalen Ordnung verstanden wissen. Doch es geht um das Ende des Nationalsozialismus, das Ende des Krieges in Europa. „Wer mir von Frieden ohne Sieg spricht, der verliert den Kopf“, sagt Hitler – diese Männer werden ihren Kopf in der Tat dafür verlieren. Denn um 13:00 Uhr erfolgt nicht die Nachricht Walküre, stattdessen heißt es: „Es ist etwas Furchtbares passiert, der Führer lebt“.
Es verstreicht Zeit, wertvolle Zeit. Lebt Hitler, lebt er nicht? Der Einsatz ist hoch; sie wissen um ihr Schicksal, sollte Hitler leben, der Putsch scheitern und sie selbst an ihm beteiligt gewesen sein. Erst als Stauffenberg gegen 16:30 Uhr in Berlin eintrifft, kommt das Unternehmen ins Rollen – weil er beteuert, Hitler sei tot, er habe es gesehen. Doch die verlorene Zeit wird nicht wieder einzuholen sein. Zumindest Stauffenberg muss ahnen, dass seine Überlebenschancen gegen null tendieren – der Putsch soll trotzdem weiterlaufen, getreu dem legendären Ausspruch des Mitverschwörers Henning von Tresckow, der bereits Tage vor dem Attentat resignierte:
„Das Attentat muß erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“
In der pseudo-antifaschistischen DDR werden die Attentäter als „reaktionäre Agenten des US-Imperialismus“ verschmäht, weit sind auch wir davon heute nicht mehr entfernt.
„Sie haben mich ja alle im Stich gelassen“
Entgegen der sich immer klarer abzeichnenden bitteren Realität kämpft Stauffenberg umso entschlossener. Doch er, der Mutigste, auf den alles gebaut ist, der als Stabsoffizier erst Hitler persönlich töten und anschließend im 500 Kilometer entfernten Berlin den Staatsstreich anleiten soll – er kann es nicht mehr abwenden. Gegen Mitternacht ist er am Ende, Hitler hat sich per Rundfunk ans Volk gewendet, der Bendler-Block ist umstellt – „Sie haben mich ja alle im Stich gelassen“ muss er konstatieren.
Eine halbe Stunde später ist Klaus Schenk Graf von Stauffenberg, der größte Mann des militärischen Widerstands, tot. In den Folgetagen beginnt eine riesige Säuberungswelle, und nie wieder wird es die Chance geben, Hitlers Regime von innen zu stürzen. In den NS-Schauprozessen nennen 20 Beteiligte des 20. Julis die Verbrechen des Holocaust als ihren Hauptbeweggrund, um am Putsch mitzuwirken. Bis zuletzt folgt Deutschland Hitler in den Untergang. Allein die alliierte Militärgewalt kann die Gräuel stoppen.
Ein bisschen mehr Glück
Vielleicht hat nur wenig gefehlt, dass es anders gekommen wäre. Wenn die Sitzung in der Wolfsschanze nicht kurzfristig verschoben worden wäre, hätte der einarmige, einäugige Stauffenberg – wie ursprünglich geplant – einen 2. Sprengsatz platzieren können. Wenn es nicht so heiß gewesen wäre, so dass die Fenster offen standen, hätte die Druckwelle nicht so leicht entweichen können. Wenn die Aktentasche mit der Bombe nicht verschoben worden wäre, wenn Hitler an einem anderen Ort im Raum gestanden hätte… Oder wenn später im Bendlerblock die vorgesehenen 20 Fernschreiber zur Verfügung gestanden hätten, um die Nachrichten von Hitlers Tod und die neuen Maßgaben verbreiten zu können und nicht nur vier. Wenn vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein bisschen mehr Glück gewesen wäre. Dann wäre der Nationalsozialismus fast ein Jahr früher zu Ende gegangen. Knapp 200.000 Menschen wären nicht mehr nach Auschwitz deportiert worden, Millionen Menschen in Europa hätten ihr Leben nicht lassen müssen.
„Es ist Zeit, daß jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterläßt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“ sagte Stauffenberg kurz vor dem Attentat. Er sollte recht behalten. Er, der sein Leben für den Kampf gegen den Nationalsozialismus gegeben hat, wird in der Bundesrepublik als Verräter am Antifaschismus denunziert. Denn ideologisch war er nicht progressiv genug.
Jan Böhmermann schreibt: „Georg Elser wollte Hitler umbringen, damit er keinen Erfolg hat. Stauffenberg wollte Hitler umbringen, weil er keinen Erfolg hatte“, und steht damit sinnbildlich für die Meinung, die der heutige deutsche Mainstream von ihm hat. Ja, Stauffenberg war kein Demokrat, er war reaktionär. Im Anfang war er ein Nazi und womöglich ein latenter Antisemit. Wohin er sich entwickelt hat, ist schwer zusagen. Aber wie wollen wir dann Oskar Schindler bewerten? Aber, dass im Jahre 2023 ernsthaft darüber diskutiert wird, wer Hitler töten darf und wer ideologisch nicht ausreichend dafür qualifiziert ist – das ist dann doch ein starkes Stück. Es ist vielleicht der beste Beleg dafür, wie pervertiert die sogenannte Erinnerungskultur in diesem Land ist.
Ihr wärt nicht bei der Weißen Rose gewesen
Mit einer selbstherrlichen Arroganz urteilen selbstherrliche Schöngeister über die Moral des rassistischen Nationalisten Winston Churchill, des imperialistisch-egoistischen US-Militärs oder gar der Holocaust-Überlebenden, die in überfüllten Frachtern nach Palästina fuhren und Israels Existenzrecht erkämpften. Sie denken, dass sie moralisch im Recht stehen, weil sie eine moralische Meinung haben. Sie denken, man ist ein guter Mensch, wenn man Gutes sagt. Aber die Moral eines Menschen erwächst aus seinen Taten und allein aus seinen Taten.
Oder, um wieder Henning von Tresckow, zu bemühen: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“ Was Stauffenberg dachte, meinte, fühlte – das soll verblassen. Denn er hat für den Kampf gegen den Nationalsozialismus mehr getan, als die gesamte bundesrepublikanische Linke. Er war das Bedeutendste, was Deutschland an Widerstand zustande gebracht hat.
Stauffenberg hat sein Leben gegeben, um das Richtige zu tun – wie verblendet muss man sein, sich moralisch über ihn zu stellen, nur weil man unter Gratislorbeeren hier und da einen Spruch gegen Rechts verteilt. Ja, vielleicht: Aus der Perspektive von Hans und Sophie Scholl mag Graf von Stauffenberg moralisch in einigen Punkten abfallen. Aber, liebe Moralradikale, eine bittere Wahrheit muss euch gesagt sein: Ihr seid nicht die Weiße Rose. Und ihr wärt auch nicht bei der Weißen Rose gewesen.
Dieser Artikel zum 20. Juli erschien bereits im letzten Jahr – auch auf der Achse des Guten.
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Lieber Max Mannhart,
Einen Aspekt haben Sie übersehen, wenn Sie über das Gefasel der Böhmermänner schreiben.
Sowohl Stauffenberg, als auch die erwähnte Sophie Scholl waren Abweichler, die sich beide vom Nationalsozialismus und von Hitler abgewandt haben, nachdem sie aus sich heraus erkannt haben, daß sie der falschen Ideologie gefolgt sind.
Sowas können die Unsere-Demokratie-Demokraten natürlich nicht anerkennen, denn das wäre ja quasi eine Ermunterung für potentielle „Verräter“ in ihren eigenen Reihen auch mal die eigene Ideologie zu hinterfragen. Deshalb müssen sie die Wehrmachtsleute des 20. Julis schlechtreden und die Ansichten der ganz jungen Sopie Scholl geflissentlich verschweigen.
Eine Menge Kritik wird hier abgeladen, es geht vielleicht gar nicht so sehr darum aus der Ferne zu beurteilen was Stauffenbergs Antrieb war, ob es sein Gewissen, Ideologie oder Angst war spielt keine Rolle. Er hat gemacht, wie Sophie Scholl und etliche andere. Wir sitzen heute da, toben uns in social Media aus, spalten und lassen uns spalten, aber wir sitzen da. Es gäbe genügend Gründe gegen unsere Regierung aufzustehen, egal wo man politisch steht. Wir haben doch auch nur Angst das wir etwas zu verlieren haben, und machen deshalb nix. Daher rate ich sich bei voreiligen Verurteilen zurück zu halten.
Bin mir sicher, das die meisten Gratismutler nicht den Mumm haben, ihr Leben zu geben, wenn es darauf ankäme. Und das wären die ersten gewesen, die den rechten Arm gehoben hätten. Irgendwann wird auch der von ihnen verursachte Dung vorbei sein. Und dann will wieder keiner dabeigewesen sein und sein tun relativieren. Jede Wette
Ein wunderbarer Text, der eine Krankheit unserer Zeit beschreibt: das eigenverantwortliche Handeln ist in unserer Gesellschaft verpönt. Wenn wir das nicht ändern, werden wir daran zugrundegehen. Da kann sich nur jeder an die eigene Nase fassen.
„Aber die Moral eines Menschen erwächst aus seinen Taten und allein aus seinen Taten.“ Keineswegs. Sie erwächst aus seinem Charakter. Ist jemand ein Mensch mit mangelhafter Moral, weil er vielleicht nicht den Mut wie Elser oder Stauffenberg hat und statt dessen den Mund hält, weil er Angst um sich selbst und seine Familie hat? Soll man Stauffenberg kritisieren, weil er erst spät seine Erkenntnisse gewann und nicht schon vor Beginn des Krieges wie ein General Beck? Jeder der das tut sollte sich erst einmal gedanklich in diese Situation versetzen und sich dann fragen: Wie hätte ich denn gehandelt?
Staufenberg ist mehr als ein Held. Er ist ein Mensch, der das ist, was ein Mensch sein soll und die meisten seiner Landsleut*innen nie waren, nie sind und nie sein werden. Er handelte, er benahm sich wie ein mündiger, erwachsener Mensch. Er hackte nicht auf anderen herum, sondern ging dorthin und versuchte das Unheil zu bekämpfen, wo es herkam, an dem Menschen, der dafür verantwortlich war.
Linke (internationale Sozialisten) und heutige, echte Nazis (nationale Sozialisten) hassen Stauffenberg und seine Mitverschwörer, wobei sie hierfür unterschiedliche Motive vorgeben, die jedoch bei näherer Betrachtung identisch sind.
Mit Stauffenberg und seinen Mitverschwörern haben die damaligen Rechten versucht einen linken Diktator und seine Truppe von Mörder und Opportunisten zu beseitigen. Ein Regime, welches die Bevölkerung bis zu den Jüngsten mit ihren wahnsinnigen Ideen vergiftet und mit Sozialgeschenken sowie einem all umfassenden Spitzelstaat ruhiggestellt hat.
Dieses Regime hat Deutschland in Leid und Elend gestürzt und wollte es sogar zum Ende des Krieges auslöschen, weil der Widerstand der Bevölkerung gegen den Wahnsinn immer mehr – meist mit gebalter Faust in der Tasche – anstieg, die Deutschen eben nicht mit wehenden Fahnen in den Untergang marschieren wollten.
Für mich war und ist Stauffenberg sowie alle um ihn ein Held der deutschen Geschichte.