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Chatkontrolle: Im Schatten der Fußball-EM startet Brüssel den Großangriff auf die digitale Privatsphäre

Im Schatten der EM wagt die EU einen neuen Vorstoß zur Chatkontrolle. Der Rat der EU stimmt am Donnerstag über die anlasslose Überwachung von Nachrichten ab. Wenn Anbieter nicht freiwillig Maßnahmen ergreifen, möchte die EU per Gesetz für flächendeckende Überwachung sorgen.

Facebook, Google und Co. sollen künftig Chats ihrer Nutzer durchleuchten – und Daten an die EU senden.

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Eine anlasslose Chatkontrolle – das fordert die EU-Kommission. Am Donnerstag stimmt der Rat der Europäischen Union über den betreffenden Entwurf ab. Im zweiten Anlauf möchte der Rat damit die erste von zwei Hürden überwinden: anschließend würde nur noch die Zustimmung im EU-Parlament fehlen.

Der Rat der Europäischen Union – nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, dem die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten angehören – setzt sich aus den verschiedenen Ministern aller EU-Staaten zusammen. Für die Chatkontrolle verantwortlich: Der Rat für Justiz und Inneres (JHA). Die hauptverantwortliche Ministerin in Deutschland ist daher Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Eine Einführung der Chatkontrolle würde mit der Zustimmung im Rat immer näher rücken – obwohl der Beschluss auch innerhalb der EU bisher umstritten war. Erstmals ins Gespräch gebracht hatte die Kommission das Vorhaben Mitte 2022. Das deklarierte Ziel: Kindesmissbrauch und die Verbreitung von kinderpornografischem Material sollte einfacher bekämpft werden.

Dafür sollen Kommunikationsdienstleister und soziale Netzwerke aufgefordert werden, Daten aus sämtlichen Unterhaltungen unaufgefordert mit einem „EU-Zentrum“ zu teilen. Momentan existiert lediglich eine freiwillige Chatkontrolle, bei der die Anbieter selbst darüber entscheiden, ob sie die zuständigen EU-Behörden über potenziell strafrechtlich relevante Inhalte in Kenntnis setzen.

Geht es nach den Plänen der EU-Kommission, insbesondere der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, soll sich das jetzt ändern. Kritiker meinen jedoch, die anlasslose Chatkontrolle könnte die Privatsphäre aushebeln, weil sämtliche Nachrichten und Bild-, Audio- sowie Videodateien automatisch auf Kindesmissbrauch durchsucht werden. Der Beschluss soll zudem die Verschlüsselung von Nachrichten in privaten Konversationen umgehen.

Die damit einhergehende Gefahr: Die EU könnte Zugriff auf sämtliche digitalen Inhalte von rund 450 Millionen Menschen erlangen. Bislang hatten sich auch EU-Politiker und Ratsmitglieder zurückhaltend gezeigt (Apollo News berichtete). Nach anfänglicher Unterstützung stellte sich auch Deutschland gegen die Einführung der Chatkontrolle. Weil der Rat im ersten Anlauf keine Lösung finden konnte, plant die belgische Ratspräsidentschaft, deren Amtszeit turnusmäßig Ende Juni ausläuft, jetzt einen neuen Anlauf im Schatten der Fußball-EM.

Patrick Breyer, in der vergangenen Legislaturperiode für die Piraten im EU-Parlament tätig, warnt zudem vor der neuen Zusammenstellung des Parlaments nach den EU-Wahlen: Das könne dazuführen, dass sich Kritiker der Chatkontrolle nicht mehr wortstark durchsetzen können und der Beschluss später auch von den EU-Abgeordneten durchgewunken wird.

Der neue Vorstoß des Rates sieht jetzt eine Art Kompromiss vor: entweder, die Kommunikationsdienstleister und Plattformen ergreifen freiwillige Maßnahmen, wie es beispielsweise Facebook und Google bereits tun, oder die EU leitet legislative Schritte ein, um die Konzerne zur Datenweitergabe zu verpflichten. Freiwillige Maßnahmen könnten das KI-gestützte Durchsuchen gesendeter Nachrichten oder der Abgleich des Nachrichteninhalts mit Datenbanken, in denen bereits bekannte Missbrauchsfälle geführt werden, sein.

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In dem neuen Vorschlag unterbreitet der Rat den Vorschlag, bei einer solchen freiwilligen KI-gestützten Chatkontrolle müssten die Anbieter nicht jede Information mit der EU teilen, sondern lediglich mehrfach aufgefallene Missbrauchsinhalte. Neue Meldungen sollten ausschließlich von den Nutzern selbst aufgenommen werden. Die EU möchte damit den Eindruck erwecken, die Chatkontrolle würde datenschutzrechtlich gänzlich unbedenklich sein.

Dennoch würden die Anbieter mit einer freiwilligen Chatkontrolle faktisch vor der EU kapitulieren: selbst wenn Daten nicht automatisch, sondern nur in gesonderten Fällen weitergegeben werden, würde diese Methode bedeuten, dass alle Bürger anlasslos, dauerhaft und rund um die Uhr digital durchleuchtet werden könnten.

Für den EU-Bürger bedeutet das also die Wahl zwischen Pest oder Cholera – wobei hier von einer Wahl gar nicht die Rede sein kann. Während ganz Europa gespannt nach Deutschland schaut, wo sich Europas Fußballnationalmannschaften noch bis zum 14. Juli gegenüberstehen, könnte der Rat der Europäischen Union morgen entweder den einschneidenden Beschluss unbemerkt durchwinken – oder die Plattformen freiwillig Chatkontrollen einführen, um den verpflichtenden Beschluss zu umgehen. Für den Nutzer wären beide Lösungen ein Horrorszenario.

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