Werbung

Asylverfahren

Behörden ließen sich offenbar mehrfach von Solingen-Täter täuschen – und versäumten so dessen Abschiebung

Im Asylverfahren des Attentäters von Solingen ließen sich die zuständigen Behörden offenbar gnadenlos täuschen. Sie versäumten sogar eine Verlängerung der Abschiebefrist. Währenddessen soll der syrische Verdächtige bestens von einer Dresdner Anwältin beraten worden sein.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war offenbar nicht über die gescheiterte Rückführung des Solinger Attentäters informiert, weshalb die Abschiebefrist unbemerkt verstreichen konnte.

Werbung

Nach Recherchen von NDR und WDR soll der Syrer, der am Freitagabend drei Menschen in Solingen tötete (Apollo News berichtete), deutsche Behörden bewusst getäuscht haben – erfolgreich. Issa al Hassan ging scheinbar gezielt und erstaunlich informiert vor, um einer Überstellung nach Bulgarien auszuweichen. Weil er das Territorium der Europäischen Union erstmals in Bulgarien betreten hatte, muss gemäß dem Dublin-Abkommen dort ein Asylverfahren durchgeführt werden.

Der 26-Jährige gelangte 2022 dennoch nach Deutschland. 2023 wurde er von den zuständigen Behörden dann zweimal bezüglich seiner Fluchtmotive befragt. Der Syrer gab unter anderem an, wegen eines Verwandten nach Deutschland geflohen zu sein – bei einer anschließenden Überprüfung konnte die Existenz einer solchen Person aber nicht von den deutschen Behörden bestätigt werden.

...
...

Zudem gab der Syrer in seinem Asylantrag an, nicht von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bedroht zu sein. Er wolle vielmehr in Deutschland arbeiten, um seiner Familie in Syrien Geld schicken zu können, denn er stamme aus ärmlichen Verhältnissen, so der 26-Jährige. Des Weiteren soll al Hassan vor dem ihm drohenden Wehrdienst geflohen sein. Wegen der Flucht wiederum erwarte ihn eine Strafe bei einer Rückkehr nach Syrien, das gab der mutmaßliche Solingen-Attentäter in seinem Asylantrag an.

Erwartungsgemäß wurde der Antrag abgelehnt – Bulgarien stimmte einer Übernahme des Falls zu. Al Hassan erhielt im Februar 2023 den Ausweisungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), in dem mitgeteilt wurde, die Rückführung nach Bulgarien müsse in den nächsten sechs Monaten durchgeführt werden.

Doch der Syrer schien juristisch bestens beraten und zog gegen den Bescheid vor das Verwaltungsgericht Minden. Dort reichte er am 13. März 2023 Klage gegen die bevorstehende Abschiebung ein. Diese wurde von dem Gericht allerdings als „nicht begründet“ abgewiesen, teilte eine Gerichtssprecherin gegenüber dem Spiegel mit. Vertreten wurde der Syrer offenbar von einer auf Asylrecht spezialisierten Anwältin aus Dresden, berichtet der NDR-Journalist Manuel Bewarder.

Lesen Sie auch:

„Wenn man sich im Internet verschiedene Bewertungen anguckt, von bisherigen Mandanten, da zeigen sich viele sehr zufrieden, dass die Frau wohl sehr genau ausnutzen konnte, welche Lücken es gibt im Gesetz, und das halt auch ausnutzen konnte, was das Recht, was das deutsche Gesetz bietet“, berichtete Bewarder in einem Videobeitrag der Tagesschau. Die Anwältin habe auch den Syrer „sehr schnell und sehr gut beraten“.

Ob sie möglicherweise den genauen Ausweisungstermin erfuhr und so den 26-Jährigen vorwarnen konnte, ist unklar. Als die zuständigen Beamten der Ausländerbehörde die Rückführung im Juni 2023 durchführen wollten, war al Hassan nicht in seiner Paderborner Flüchtlingsunterkunft anzutreffen. Der Wachdienst der Einrichtung oder Nachbarn sollen laut Informationen des NDR und WDR allerdings nicht nach einem alternativen Aufenthaltsort befragt worden sein. Die Beamten gingen aber kurioserweise nicht davon aus, dass der Syrer untergetaucht sein könnte.

Und weil die zuständige Stelle des BAMF nicht informiert wurde, wurde al Hassan nicht zur Fahndung ausgeschrieben, und die Abschiebefrist von sechs Monaten, die dann im August auslief, nicht verlängert. Aufgrund der Regelung des Dublin-Abkommens musste Deutschland daraufhin die Zuständigkeit für den weiteren Verbleib und einen möglichen Asylantrag des Syrers in der Europäischen Union am 20. August übernehmen.

Der im Februar ausgestellte Überstellungsbescheid wurde vom BAMF aufgehoben, wie das Verwaltungsgericht Minden erklärte. Nur wenige Tage später soll der 26-Jährige die Klage gegen die Rückführung nach Bulgarien zurückgezogen haben, sodass sein Asylverfahren in Deutschland beginnen konnte. Wie der Spiegel schreibt, lebte der Tatverdächtige seit September 2023 in Solingen, wohin er zugeteilt worden war. Im Dezember 2023 erhielt er subsidiären Schutz.

Am vergangenen Freitag soll al Hassan dann drei Menschen auf dem Solinger Stadtfest ermordet haben. Hier sollte eigentlich unter dem Motto „Festival der Vielfalt“ das 650-jährige Bestehen der Stadt zelebriert werden. Gegen 21.40 Uhr stach der Syrer, der sich zum IS bekannt haben soll, dann gezielt auf Kopf und Hals umstehender Personen ein. Zwei Männer und eine Frau starben, acht weitere wurden verletzt.

Am Samstagabend stellte er sich der Polizei. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen und geht derzeit davon aus, al Hassan habe die Anschlagsentscheidung aus einer „radikal-islamistischen Überzeugung“ gefasst, um „auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten“.

Werbung