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Zeitarbeit eindämmen: Die merkwürdigen neuen Pflege-Pläne der Bundespolitik

Die für den Pflegesektor essenzielle Zeitarbeit soll von der Bundesregierung eingedämmt werden, beschloss der Bundesrat. Das Gremium meint: Die Zeitarbeit würde massiv Festanstellungen abziehen. Ein neues Papier zeigt: Das ist falsch. Staatliche Eingriffe beschränken die Zeitarbeit immer weiter.

Der demografische Wandel fordert einen stark aufgestellten Pflegesektor. Doch staatliche Eingriffe in den freien Markt erschweren auch die Arbeit in Gesundheitsjobs. So soll beispielsweise die Zeitarbeit eingedämmt werden – obwohl sie für deutsche Pflegeeinrichtungen essenziell sind.

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Die deutsche Wirtschaft schwächelt immer stärker – das bekommen auch Pflegeeinrichtungen zu spüren. Zwar gibt es immer mehr Festanstellungen im Gesundheitssektor, dafür nimmt die Zahl der Leiharbeiter nach einer Hochphase in der Pandemie jetzt wieder ab – das könnte an restriktiven Eingriffen des Staates liegen. Einerseits hat der Bundesrat beschlossen, die Bundesregierung müsse Zeitarbeit bekämpfen, andererseits wird der immer weiter steigende Mindestlohn zu einem gesamtwirtschaftlichen Problem, weil dadurch nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen künstlich verteuert werden.

Während die generelle Lohnuntergrenze derzeit bei 12,41 Euro liegt, erhalten Zeitarbeiter mindestens 13,50 Euro in der Stunde. Dieser Betrag soll stetig steigen. Bis zum 1. März 2025 soll der Mindestbetrag auf 14,53 Euro angehoben werden. Fraglich ist, ob sich Pflegeeinrichtungen diese zunehmenden Kosten leisten können, da sie in der Regel das Vermittlungsunternehmen zusätzlich für die Bereitstellung einer Fachkraft entlohnen müssen.

Der Vorteil an diesem Prinzip: Zeitarbeiter sind flexibel, sie können von Einrichtungen gebucht werden, wenn Personalmangel besteht oder eine Lücke geschlossen werden muss. Den Leiharbeitern steht dann bei längerer Anstellung mindestens das Gehalt der Stammbelegschaft einer Einrichtung zu.

Vor allem in dem ausgelasteten Gesundheitssektor, der zunehmend unter akutem Personalmangel leidet, sind Leiharbeiter daher eine dringend gebrauchte Notlösung. „Zeitarbeit ist nach wie vor ein unverzichtbares Flexibilitätsinstrument, um kurzfristige Personalengpässe zu überbrücken“, sagte der Präsident des Gesamtverbandes der Personaldienstleister (GVP), Christian Baumann, dem Handelsblatt.

Trotzdem hatte der Bundesrat im Februar einen Beschluss veröffentlicht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Zeitarbeit einzudämmen. Der Bundesrat setzt sich aus Vertretern der Länder zusammen, wobei derzeit die CDU mit 22, die SPD mit 19 sowie die Grünen mit 15 Stimmen den Großteil der 69 Sitze ausmachen.

Grundlage dieses Bundesrat-Beschlusses soll die wachsende Zahl der Leiharbeiter in der Pflege sein. Dadurch werden Festanstellungen unattraktiver und somit die Planbarkeit von Pflegeeinrichtungen eingeschränkt, so das Argument. Eine von Baumann bei der Bundesagentur für Arbeit beantragte Sonderauswertung zeigt jetzt aber genau das Gegenteil: Die Zahlen sind rückläufig. Der Bundesrat hat in seiner Begründung schlichtweg die Unwahrheit dargelegt. Festanstellungen nehmen laut Baumann wieder zu.

Aus der Auswertung geht jetzt hervor: Seit 2022 ist die Zahl der beschäftigten Leiharbeiter rückläufig. Zuvor gab es krisenbedingt einen Anstieg. Ende 2023 waren dann noch 32.368 Personen im Pflegesektor tätig – vier Prozent weniger als noch im Jahr zuvor. Dennoch soll die Zeitarbeit gesetzlich bekämpft werden. Dabei hat die Gesundheitsbranche „bewiesen, dass sich der Markt selbst regulieren kann“, schreibt der GVP in einer Pressemitteilung. Die Forderung nach gesetzlichen Eingriffen „müssen daher endgültig vom Tisch“, meint Baumann.

Dennoch möchte die Bundesregierung durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Festangestellte die Zeitarbeitsbranche schwächen. Der Ansatz, Festanstellungen auszubauen, ist zwar begrüßenswert – in der Realität ist von derartigen Initiativen aber nichts zu spüren. Angestellte fühlen sich oft überlastet. In Rheinland-Pfalz spielt beispielsweise jede zweite Pflegefachkraft mit dem Gedanken, auszusteigen. Je nach Umfrage schwankt die generelle Unzufriedenheit zwischen 50 und 70 Prozent.

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Ausgebildete Pflegefachkräfte verdienen in der Regel zwischen 1.800 und 3.200 Euro brutto pro Monat. Doch es sind vor allem die Arbeitsbedingungen in der ambulanten und stationären Pflege, auch in Kliniken und Arztpraxen, die den Beschäftigten bitter aufstoßen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant deswegen eine Pflegereform. Sein Ansatz: qualifiziertes Personal soll mehr Berechtigungen erhalten und dadurch angelockt werden.

„In Deutschland dürfen Pflegekräfte viel weniger als sie können“, erklärte Lauterbach im vergangenen Dezember. Dabei stellt sich eher die Frage: Müssen Pflegekräfte in Deutschland mehr leisten als sie sollten? Des Weiteren fordert Lauterbach eine stärkere Integration ausländischer Fachkräfte: Jährlich müssten 200.000 bis 300.000 neue Stellen besetzt werden, heißt es in offiziellen Zahlen.

Dabei ist der Gesundheitssektor im vergangenen Jahr gewachsen: 1,8 Millionen Menschen arbeiten derzeit in Pflegeeinrichtungen, ein Prozent mehr als noch 2022. Interessant ist: Während die Zahl der Medizinstudenten seit Jahren kontinuierlich steigt, sinken die jährlich abgeschlossenen Ausbildungsverträge: 2015 waren es noch 63.000, im vergangenen Jahr dann bereits 9.000 weniger. Fraglich ist also auch, inwieweit die bildungspolitische Fokussierung auf das Abitur und eine akademische Laufbahn positiv zur Entwicklung des Gesundheitssektors beitragen kann.

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