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Editorial

Tage im Dezember

Mannheim, Solingen und jetzt Magdeburg: Der traurige Höhepunkt eines Blut-Jahres auf Deutschlands Straßen. Gemeinhin fordert man jetzt Zurückhaltung - aber gibt nicht die Empörung einer Gesellschaft erst die Kraft zur echten Reform?

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Ein Junge wird sein zehntes Weihnachten nicht mehr erleben, vier weitere Menschen sind tot, Dutzende liegen im Krankenhaus, Hunderte werden für ihr Leben traumatisiert sein. Diese Tage im Dezember fallen in ein Jahr voller Tragödien, wie man so ungelenk sagt – Mannheim, Solingen und jetzt Magdeburg. Die Namen ganzer Städte werden zu Synonymen für Terrorismus. 

Doch die politische Gebetsmühle hat andere Sorgen: Alle sollen sich bitte erstmal beruhigen, Zurückhaltung sei geboten. „Die Meldungen aus Magdeburg lassen Schlimmes erahnen,“ twittert Kanzler Scholz am Abend, da ist schon klar, dass es Tote gibt. Es soll wohl den gleichen Lauf nehmen, wie schon nach jedem dieser Terrorakte: Beruhigen, herunterspielen und dann, wenn die öffentliche Empörung nachlässt, macht man mit ein paar Alibi-Maßnahmen weiter wie bisher. Doch braucht es für echte Reformen nicht gerade die Kraft der Empörung? Ist Wut nicht auch eine Fähigkeit, ist sie nicht als Grundlage von Selbstbehauptung sogar ein Pfeiler einer selbstbestimmten Gesellschaft? 

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Derweil gibt es offenbar andere Prioritäten. Der Täter von Magdeburg sympathisierte mit der AfD. Haha! Er hasste Muslime – die Ekstase professioneller Keine-voreiligen-Schlüsse-Zieher nähert sich ihrem Höhepunkt – und er teilte sogar Elon Musk. Schnell ist die Speerspitze der deutschen Journophilosophen zur Stelle. Mark Schieritz findet: „X muss angesichts der hier zu beobachtenden Radikalisierung zu einer effektiven content moderation  verpflichtet oder abgeschaltet werden.“

So kann man es natürlich auch sehen. Fragt sich nur, warum der saudi-arabische Migrant, mehrfache Straftäter und offensichtlich an Verfolgungswahn leidende Geisteskranke dann nicht in eine Moschee gefahren ist. In 2023 kündigte er seine Mordpläne bereits relativ eindeutig auf Twitter an, er ließ ein Jahr verstreichen, um dann vier Tage vor Heiligabend in einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg zu fahren. Man kann daraus viele Schlüsse ziehen – zum Beispiel, dass der Umgang mit Psychotikern seit Jahren aus dem Ruder läuft, was jeder in Parks und U-Bahnen deutscher Großstädte Tag ein, Tag aus beobachten kann. Man könnte auch sagen: Der Täter wurde 2013 das erste Mal straffällig, warum gewährte man ihm dann 2016 Asyl? Warum hat man ihn nicht bei der ersten Androhung von Terror gegen die deutsche Gesellschaft sofort abgeschoben?

In den vergangenen Wochen haben wir viel zu Vorgängen rund um Politiker-Beleidigungen recherchiert. Wir sind eingetaucht in einen Staat, bei dem Staatsanwälte mit penibler Gründlichkeit und rücksichtsloser Härte jede winzigste Gesetzeslücke ausnutzen, um Hausdurchsuchungen durchzuführen – bei Bürgern, die Robert Habeck Schwachkopf nannten oder ihn gar falsch zitierten; einer ging ins Gefängnis, weil er Schwesigs Russland-Politik zu scharf attackierte. Der deutsche Justiz-Apparat läuft mit eisiger Gründlichkeit bis in die totalitäre Absurdität. 

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In diesem Fall war alles anders. Trotz jahrelanger Gewaltandrohungen meinten die Sicherheitsbehörden noch im vergangenen Jahr von Taleb A. gehe „keine konkrete Gefahr“ aus, das berichtet die Welt. Eine dramatische Warnung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge blieb folgenlos, man „verwies“ die Person an die Polizei. Die Polizei Berlin sah sich nicht zuständig und verwies einen ausländischen Warner an die Polizei Sachsen-Anhalt, die erst gar nicht reagierte. Auch saudi-arabische Behörden warnten, doch alles verlief im Sande. Der offensichtlich gestörte Mann durfte sogar im staatlichen Maßregelvollzug als Psychiater arbeiten. So kennt man Deutschland: Wir sind auf allen Augen blind und halten uns die Ohren und, wenn es nötig ist, auch die Nase zu. 

Wir leben nicht nur in einem Rechtsstaat, muss man dieser Tage konstatieren, wir leben sogar in zweien: einem liebevollen Nannyrechtsstaat für alle normalen Straftäter und einem Kommando- und Attacke-Staat, wenn man politisch brisantes Terrain betritt.

Journalismus ist die Behandlung des Unangenehmen, insofern kann ich an diesem vierten Advent leider nichts Heiteres schreiben. Ich wünsche Ihnen dennoch frohe Weihnachten. 

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