Von amerikanischen Militärpolizisten bewachte Lastwagen-Konvois fahren über deutsche Straßen. Das ist 1948 im besetzten Westdeutschland ganz und gar kein ungewöhnliches Bild. Ungewöhnlich ist nur die Fracht auf den Ladeflächen: Es ist Geld. Deutsches Geld. Verpackt in 23.000 Holzkisten mit der Aufschrift „Bird Dog“ sind 10,4 Milliarden Deutsche Mark von Bremerhaven aus unterwegs in alle Landesteile, die britisch oder amerikanisch besetzt sind.
Bis dahin bezahlt man in Deutschland, in allen vier Besatzungszonen, noch mit der alten Reichsmark. Die ist wegen der wahnsinnigen Finanz- und Verschuldungspolitik der Nazis längst komplett entwertet, das Wirtschaftsleben läuft mit festgelegten Preisen und über Lebensmittelkarten ab. Die eigentliche Währung sind zu dieser Zeit Zigaretten – mit denen handelt man auf dem Schwarzmarkt, der noch immer floriert. Mit der alten Reichsmark kommt man dort nicht sehr weit, ein Laib Brot kostet Tausende von den alten Scheinen.
Ein Mann schickt sich an, das alles zu ändern: Ludwig Erhard. Der Mann, der später zum Vater des „Wirtschaftswunders“ wird, legt hier den Grundstein für einen Mythos, der seine Person zu einer Lichtgestalt bundesdeutscher Geschichte macht. Erhard ist Wirtschaftsdirektor der „Bizone“, den gemeinsam verwalteten Besatzungszonen von Briten und Amerikanern. Und er wird eine Entscheidung treffen, die den Startschuss für eine marktwirtschaftliche Erfolgsgeschichte sondergleichen geben wird.
Ludwig Erhard und seine Mitstreiter hatten sich schon während der Kriegszeiten damit befasst, welche Schritte zur Wiedergewinnung wirtschaftlicher Selbstständigkeit erforderlich wären und wie man eine Volkswirtschaft wieder aufbaut. Noch während Bomben auf Deutschland fielen, verfasste Erhard Papiere für eine deutsche Wirtschaft nach dem Krieg, nach der Niederlage und nach Hitler. Er sah Deutschlands Zukunft im Export – auch hier sollte er Recht behalten.
Gedanken an ein Deutschland nach Hitler waren Gedanken, die im sogenannten Dritten Reich schon zu Strafverfolgung führten – am Endsieg zu zweifeln, konnte mit dem Tod bestraft werden. Auch der Widerstand um Oberst Graf von Stauffenberg und den Politiker Carl Goerdeler kannte ein entsprechendes Papier. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler schrieb Goerdeler ein geheimes politisches Testament, in dem er Erhard und sein Konzept ausdrücklich empfahl.
Jetzt, nach dem Krieg, kommt der Mann zum Zug – relativ unzeremoniell, so erzählt Erhard später, wird er eines Tages von einem US-Jeep abgeholt, aus dem Offizier steigt und ihn mit einem „Come on“ auffordert, mitzukommen. Erhard geht mit – zum Glück aller Menschen in Westdeutschland.
Warum seine Ernennung zum Wirtschaftsdirektor ein Glücksfall für das Land war, zeigte sich durch eine Entscheidung, die Erhard ganz alleine traf – bisher war der Geldsegen durch den Marshallplan oder die ganze Konzeption der Währungsreform alleine von den USA erdacht und veranlasst worden, die Deutschen hatten dabei nichts zu sagen. Doch der Schritt zur Freigabe der Preise war die entscheidende, mutige Maßnahme.
Man muss sich die Situation damals vor Augen führen: Der noch parteilose Erhard vertrat eine absolute Randposition, die in Deutschland und auch weltweit alles andere als beliebt war – die liberale, marktwirtschaftliche Position. Erhard arbeitete eng mit führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftlern der sogenannten „Freiburger Schule“ zusammen – Menschen wie Walter Eucken, die als geistige Väter der sozialen Marktwirtschaft gelten. Sie glaubten an die Grundsätze wirtschaftlicher Freiheit, an freie Märkte und freie Preise. Er war von ihren Ideen überzeugt – als einer der ganz wenigen Menschen überhaupt.
Marktwirtschaft? Das war für viele das, was etwa zum Börsen-Crash 1929 geführt hatte – der globale Zeitgeist war antikapitalistisch. In Großbritannien verstaatlichte die Labour-Regierung in der Nachkriegszeit wichtige Industrien. Selbst in Amerika hielt man mit Roosevelts „New Deal“ an der Lenkung der Wirtschaft fest. Auch in Westdeutschland war man sich über Parteigrenzen hinweg in der Ablehnung des Kapitalismus einig. Selbst die CDU hing damals dem Glauben an, dass das „kapitalistische Wirtschaftssystem (…) den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ sei, und wandte sich in ihrem Ahlener Programm einem „christlichen Sozialismus“ zu. „Die CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus“, lautete das Motto. Erhard setzte den Gegenpunkt – und sollte sich damit auch politisch durchsetzen. Alles begann jedoch mit einem einzelnen, mutigen Schritt des Wirtschaftsdirektors im Rahmen der Währungsreform.
Millionen Mark-Scheine wurden in den USA gedruckt, über Bremerhaven in die spätere Bundesrepublik gebracht und in einer Nacht- und Nebelaktion ausgeliefert – am 20. Juni 1948 um sechs Uhr in der Früh lagen sie an Ausgabestellen von Flensburg bis Garmisch bereit, um an die Deutschen in der Bizone verteilt zu werden. Zunächst gab es 40 Mark Handgeld für jeden. Das ist „Operation Bird Dog“, die den wirklichen Startschuss für den Wiederaufstieg Deutschlands (zumindest eines seiner Teile) gibt. Die faktische Wertlosigkeit der alten Reichsmark wurde bestätigt: Das Umtauschverhältnis war 1:10, vor allem Sparer verloren so ziemlich ihr gesamtes Vermögen.
Hier kam Erhard aber eine entscheidende Rolle zu – er ergriff den sprichwörtlichen „Mantel der Geschichte“. Im Juni 1948 nutzte er die von den Alliierten vorbereitete Währungsreform, um einen Großteil der Preiskontrollen abzuschaffen. Und das ohne Ermächtigung der Siegermächte. „Ich wusste, ich musste mit List und Tücke vorgehen, denn weder auf deutscher Seite noch auf alliierter Seite – das war mir völlig klar – hätte ich für meine Gedanken Verständnis erhalten“, erklärte Erhard seinen Coup später. Es war die eigentliche Stunde Null – der Wiederaufstieg eines nun freien, demokratischen Deutschlands im Westen begann erst so richtig mit der Währungsreform.
Kritik als „Gekeife der Kollektivisten“
Dieser später höchst erfolgreiche Coup sah zunächst aber nach einem grandiosen Fehlschlag aus. Plötzlich gab es wieder Waren in den Geschäften zu kaufen, allerdings schossen aufgrund der hohen Nachfrage die Preise in die Höhe. Weil eben plötzlich alle alles kaufen wollten und die Preise frei waren, konnten die Händler Höchstpreise verlangen: Ein Ei kostete 35 neue Pfennige, ein Kilo Schweinefleisch sieben D-Mark. Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Rind- und Schweinefleisch, Butter und Eier wurden um 30 Prozent teurer im Vergleich zu den vorigen festgesetzten Preisen. Das bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 250 D-Mark. Was manche als direktes Versagen der liberalen Geldpolitik ankreiden, hatte in Wahrheit andere Gründe: Die Preise waren freigegeben worden, die Löhne aber noch nicht. Diese wurden erst Monate später aus der zentralen Planung entlassen. Ein Geburtsfehler der Reform, der Verwerfungen produzierte.
Es regte sich schnell breiter Unmut, bei einem Generalstreik protestierten rund 9 Millionen Beschäftigte gegen Erhards Politik. Als das neue Allensbach-Institut im Dezember 1948 wissen wollte, ob die Behörden die Preise wieder kontrollieren sollten, sprachen sich 70 Prozent der Befragten für solche Maßnahmen aus. SPD, KPD und die Gewerkschaften machten kräftig Stimmung gegen Erhard. Doch der blieb hart und tat die Kritik als „Gekeife der Kollektivisten“ ab.
Und doch bemühen sich viele, „den Dicken“ und seine historischen Verdienste im Rückblick kleinzureden. Immer wieder ist vom „Mythos Wirtschaftswunder“ die Rede: nicht im Sinne eines positiven Mythos, sondern vielmehr im Sinne einer falschen Erzählung, so, als hätte die Marktwirtschaft nicht die Wende gebracht. Ulrike Herrmann, taz-Journalistin und bekannte Befürworterin von einer Art modernem Umwelt-Sozialismus, beschrieb Erhard in ihrem Buch „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ als jemanden, der für nichts eine positive Verantwortung trage und den Erfolg der Währungsreform durch eine falsche Preispolitik noch gefährdet habe. Erhard würde auch das wohl als Gekeife einer Kollektivistin abtun.
Die Geschichte zeigt: Ohne einen mutigen Wirtschafts-Macher wie Ludwig Erhard hätte man auch im Westen noch jahrelang den Mangel verwaltet, statt den Wohlstand zu gestalten. Wohlstand für alle – das war Erhards großes Versprechen. Eingelöst wurde es durch seinen Optimismus und sein Vertrauen in den Markt – und in die Deutschen.
Toller Artikel und sehr schöne Zusammenfassung, was ein Einzelner mit ein bisschen Köpfen selbst gegen größten Widerstand der Sozialisten bewerkstelligen kann. Und es wird wieder passieren. Die Einheitspartei LINKEGRÜNESPDBSWFDPCDU wird stolpern und fallen.
Hallo Herr Roland,
es ist schade, daß so wenig Menschen über diese Zeiten und Politiker Kenntnisse haben. Daß sie nicht wissen, was wir Erhard zu verdanken haben. Daß sie nicht einmal erahnen, was die Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie gerade erleben, für uns und unsere Kinder und Enkel zukünftig bedeutet.
Schreiben Sie bitte weiter, ich lese Sie gern.
Ein großartiger und sehr lesenswerter Artikel! Man könnte noch etwas ausschmücken, warum die Soziale Marktwirtschaft es nicht in unser Grundgesetz geschafft hat, denn dieser Fehler machen sich heute sozialistische Parteien zunutze und arbeiten kräftig an einer neuen Planwirtschaft öko-sozialistischer Natur. Die „Vorzüge“ eines solchen Systems können wir gerade live erleben, wo Politik- und Finanzadel sich die Taschen vollstopfe, Vetternwirtschaft betreiben und den normalen Bürger bis zum Existenzminimum (und auch darüber hinaus) schröpfen.
Bei jeder Werbung für Wärmepumpen höre ich im Unterbewusstsein Robert Habecks verächtliches Gelächter.
Hab heute für ein gemischtes Zweipfundbrot 6,50 Teuro bezahlt = 13,00 D-Mark !!
Unser „neues Wirtschaftswunder“ ist inflationär.
Was würde Erhard tun ?
Tja das ist bei Link Kommunisten und Sozialisten immer das gleiche wenn etwas funktioniert muss es zerstört werden. Weil es kein Linker erfunden hat. Alle haben gesehen das es funktioniert auch die Menschen in der SBZ Sie wollten auch so leben deshalb unter anderem auch der Aufstand von 1953 der blutig niedergeschlagen wurde von den SED Kommunisten es hängt immer alles irgendwie zusammen. Zu dieser Zeit konnte man sich nämlich noch in ganz Deutschland frei bewegen die Mauer wurde ja erst 1961 gebaut. Viele aus dem Osten haben auch im Westen gearbeitet wegen der D-Mark die mehr wert war als die DDR Aluchips (die DDR Mark wurde aus Aluminium hergestellt). Wir brauchen wieder einen Ludwig Erhard nach dem deutschen Crash der unvermeidlich zu sein scheint so wie es derzeit aussieht.
Danke für diese Erinnerung an einen der ganz wenigen Menschen, die die Welt mittels politischer Maßnahmen wirklich besser machten.
Hinzuzufügen noch, dass Erhard schon in den 1970ern der damnatio memoriae verfallen war. Als ich zur Schule ging, lange bevor die Grünen sich konstituierten, war der „Marsch durch die Instanzen“ gerade am Anfang, aber die Studienrateska hatte bereits die Richtlinien ausgegeben: Industrie böse, Wohlstand sündig, Marktwirtschaft finstere Barbarei. Bis zu dem Punkt, dass der Tränendrüsenmasseur Dickens zum Kronzeugen wider die Unmenschlichkeit des Kapitalismus aufgerufen wurde. Zum Abitur gab es von der Schule zwei Bücher als moralische Leitfäden – einen Dickens-Sammelband und „Erinnerungen ans Dritte Reich“ unserer älteren Leerer…
Vielleicht brauchen wir wieder eine Stunde 0, allerdings ohne links-grün?
Dass der Markt noch immer als etwas angeblich Äußerliches negiert wird, obwohl ökonomisch-gesellschaftliche Mechanismen jedwedem haushälterischen Umgang mit den menschlichen Kräften mitten drin stecken, zeigt ein vom „Rotary Magazin“ publiziertes Plädoyer eines Forschungsdirektors, der erst jüngst allen Ernstes sich für eine Befreiung aus dem vermeintlich äußerst einengenden Korsett ökonomischer Parameter ausspricht. Einer der dortigen Instituts-Präsidenten ist sogar einer der weit mehr als 3.000 Unterzeichner einer so genannten Offenen Stellungnahme, die sich angesichts dessen darüber empört, dass allen voran im Bundesbildungsministerium im vergangenen Sommer auch nur dem Anschein nach versucht worden ist, für solch längst unstrittige „Pseudowissenschaft“ (Planck, in: Berliner Tageblatt v. 25.12.1930) die materielle Förderung vonseiten des Staates zu entziehen. Das Vertrauen von Ludwig Erhard in den Markt am Anfang der Republik ist insofern auch heute eine Randposition geblieben.
Sehr, sehr lesenswert, vor allem im heutigen Deutschland.
« Die faktische Wertlosigkeit der alten Reichsmark wurde bestätigt: Das Umtauschverhältnis war 1:10 »
Zu einer Zeit, in der ein Brot Tausende Reichsmark kostete? Sicher, dass dieser Umtauschkurs korrekt ist?
Eines darf man auch nicht vergessen: wir hatten eine gut ausgebildete Bevölkerung, vor allem gute Handwerker und Geschäftsleute mit einem protestantischen Arbeitsethos, auf die der kaputte Staat zurückgreifen konnte. Ohne diese Menschen wäre Deutschland nie eine Exportnation geworden. Die Palästinenser, die etwa gleichzeitig obdachlos wurden, hausen heute immer noch in Flüchtlingslager, obwohl mittlerweile auf jeden Palästinenser mehr als eine Million Dollar Hilfe geflossen ist.
Ich bin zu jung und komme dazu aus dem Osten.
Wenn jemand eine neue Währung schafft, die auch stabil ist, dann ist das gut.
Wenn jemand will das sich Preise nach Angebot und Nachfrage richten, muss auf das Angebot achten.
Wenn das Angebot zu knapp ist und die Preise zu hoch, werden die Menschen hungern, was auch passiert ist.
Es war m.E. ein harter Schnitt den Ehrhard dort gemacht hat, sozial war der sicher nicht, notwendig und erfolgreich aber gewiss.
Die bedingungslose Ausbeutung der Arbeitskraft der Menschen, bei geringsten Löhnen hat die BRD stark gemacht, das ist unstrittig. Sozial besser wurde es erst erheblich später, das war wohl eher in den 60zigern.
Es wurde in ihrem Artikel erwähnt, geht aber unter: es wurde keine „Freie Marktwirtschaft“ eingeführt, sondern eine „Soziale Marktwirtschaft“. Es war keine Marktwirtschaft, in denen man die Kranken irgendwelchen Räubern überlässt oder in der die Rentner verhungern. Auch eine Arbeitslosenversicherung wurde beibehalten. Freie Marktwirtschaft sieht anders aus und führt oft zur Verelendung von breiten Massen. Diese soziale Marktwirtschaft ist für uns so selbstverständlich, dass sie immer wieder vergessen wird. Das sieht in anderen Ländern und Kontinenten völlig anders aus, z.b in Afrika.
Warum befragt Ihr Jungspunde nicht mal Zeitzeugen, dann würdet Ihr mal mit dem Propagandageschwafel des „Wohlstand für alle“ aufräumen. Es gab jede Menge Enteignung und harte Arbeit für jene die nicht so viel hatten. Und die Täter und Kollaborateuere des Dritten Reiches sind überwiegens alle weich gefallen, ob nun die Flicks, die Burdas oder die Quandts. Solche Leute gab es in jedem deutschen Ort.
In meiner Heimatstaat beaufsichtigte einer der Obernazis der die 1938 die Zerstörung der Synagoge beaufsichtigte später die Aufräumarbeiten zu denen überwiegend unschuldige Männer verdonnert wurden. Auch Euer Säulenheilige Erhard war kein Unbefleckter und sein „Wirtschaftswunder“ ist vor allem eines, ein Märchen.
Es ist nur ein Taschenspielertick der libertären wenn sie Marktwirtschaft, Kapitalismus und Soziale-Marktwirtschaft gleichsetzen.
Die Soziale-Marktwirtschaft kannte hohe Einkommenssteuern von gut 80% ab dem 13 fachen Durchschnittseinkommen. Es geht um die Erschwerung von Überreichtum, durch Umverteilung. Weil Überreichtum den Markt zerstört.
Im Kapitalismus geht es um Profitmaximierung auf Kosten der Gesellschaft. Gesellschaft wird sogar verleugnet.
Marktwirtschaft nach Adam Smith hat eine Reihe von Voraussetzungen wir Qualitätstransparenz, und einige andere die in der Regel nicht gegeben sind und nur durch staatliches Handeln hergestellt werden müssen.