Werbung

Pistorius und die Spitzenkandidatur: Taktischer Rückzug

Verteidigungsminister Pistorius verzichtet auf die Spitzenkandidatur. Warum soll er auch die von Scholz produzierte Wahlniederlage einfahren? Wenn Scholz mit seinen Getreuen über die Wahlen fällt, hat Pistorius im März freies Feld.

Werbung

Er macht es nicht – am Donnerstagabend zieht Boris Pistorius eine Kandidatur zurück, die er selbst nie wirklich erklärt hatte. Und dennoch stand sie im Raum – allein das ist eine Niederlage für Olaf Scholz. Der Kanzler, der jetzt auch Kanzlerkandidat sein darf, wirkt wie ein König ohne Königreich.

Während er im Ausland war, rüstete plötzlich die SPD zum Putsch gegen den unbeliebten Kanzler. Der eilte überstürzt zurück nach Berlin, um seine Absetzung zu verhindern. Am Ende war es Pistorius, der den Aufstand mit seinem Video abblasen ließ, und die scholztreue Parteiführung im Willy-Brandt-Haus, die den Kanzler in seiner Position hielten.

...
...

Dass Pistorius nicht auf die Kandidatur zugriff, wird maßgeblich an Esken, Klingbeil und Co. gelegen haben. Dem bisherigen Landespolitiker Pistorius fehlt eine vergleichbare Machtbasis in Berlin, und der doch eher pragmatische Innen- und Verteidigungs-Mann passt nicht in die eher ideologische SPD-Connection um Esken, Klingbeil und Mützenich, die hinter Scholz steht.

Dazu kommt: Pistorius ist Niedersachse – und damit ein Konkurrent vom ebenfalls niedersächsischen Parteichef Lars Klingbeil, der sich sicher einen Spitzenjob, gar den Vizekanzlerposten, in der nächsten Regierung erhofft. Dass ein Kanzlerkandidat Pistorius in der innerparteilichen Hierarchie an ihm vorbeiziehen würde, wird Klingbeil als Szenario nicht gefallen haben. Und nach den ewigen Regeln des parteipolitischen Länderproporz wären zwei Niedersachsen in Spitzenämtern ohnehin ein schweres Ziel.

Die Machtprobe gegen Klingbeil und die Parteiführung hätte Pistorius vielleicht nicht gewonnen. Deswegen ist es klug, dass er zurücksteckt. Er verliert jetzt nicht viel. Ganz im Gegenteil: Mit Aussicht auf die aktuell abschätzbaren Koalitionsoptionen und seine persönliche Beliebtheit wird er womöglich als Verteidigungsminister weitermachen können, weil die Chancen darauf, dass die SPD nach der Wahl mit der Union weiterregieren wird, nicht schlecht stehen.

Lesen Sie auch:

Alternativ könnte Pistorius auch auf das Amt des Innenministers, welches er zuvor schon in Niedersachsen ausübte, einen soliden Anspruch anmelden. So oder so wird Pistorius sicherlich eine führende Rolle spielen und hätte keine schlechten Aussichten auf eine Spitzenkandidatur 2029.  Die aktuell erwartbare Niederlage für die SPD kann Scholz berechtigterweise verantworten –  und mit ihm die gesamte Parteiführung im Willy-Brandt-Haus. Ob seine Verbündeten Esken und Klingbeil den fallenden Kanzler politisch überleben können? 

Man könnte Pistorius nicht zum Vorwurf machen, auch auf ihr Ende zu spekulieren – und darauf zu hoffen, die SPD-Ruinen von Scholz, Klingbeil und Esken nach der Wahl so gut wie kampflos zu übernehmen.  Kaum denkbar, dass er diese Chance nicht nutzen wird – dass er Ambitionen auf den Parteivorsitz hat, belegt seine Kandidatur für den SPD-Vorsitz 2019. Damals holte er mit der sächsischen Genossin Petra Köpping nur 14,6 Prozent der Stimmen – nächstes Mal wird es sicherlich deutlich besser laufen. Den für den Wahlkampf verantwortlichen Generalsekretär Miersch – auch ein Genosse aus Niedersachsen – könnte man im Fall einer Niederlage auch schnell absägen. 

Wie weit Pistorius aber am Ende, auch als möglicher Vorsitzender, innerparteilich gegen den wehr- und rüstungskritischen Flügel à la Mützenich und Stegner, der seit jeher einem „Friedenspopulismus“ des einseitigen Pazifismus folgt, oder auch die alte Schröder-Russland-Connection ankommt, ist offen – das Beispiel Helmut Schmidt zeigt, dass pragmatische SPD-Spitzenmänner schon in der Vergangenheit über vergleichbare Strömungen in ihrer Partei gestolpert sind. Den offenen Kampf mit Scholz vermeidet Pistorius jetzt – um den Kampf mit der SPD wird er am Ende nicht herumkommen.

Werbung