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Reform für Karlsruhe

Gegen AfD: Ampel und Union lassen sich Hintertür für drastische Änderungen der Verfassungsrichter-Wahl offen

Unter dem Motto „Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes“ wollen Ampel und Union das Verfassungsgericht „demokratiefest“ machen – offensichtlich gerade gegenüber der AfD. Dabei nehmen sie auch den Wahlmodus für die Verfassungsrichter ins Visier.

Die Ampel-Parteien sowie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen gemeinsam das Bundesverfassungsgericht „demokratiefest“ machen

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Die Ampelparteien und die Union haben sich darauf verständigt, Regelungen zur Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts in das Grundgesetz aufzunehmen. Das Gericht soll „demokratiefest“ gemacht werden, wie es heißt. Unter dem Motto „Stärkung der Resilienz“ hat am Dienstag unter anderem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in der Bundespressekonferenz zu den Änderungen ausgeführt. Die AfD wird nicht namentlich genannt. Dennoch ist klar, dass Ampel und Union darauf abzielen, die AfD von Entscheidungen bezüglich des Verfassungsgerichts grundsätzlich auszuschließen.

Zunächst sind die Pläne von Ampel und Union in großen Teilen harmlos. So sollen einige Regelungsbestände zum Bundesverfassungsgericht nicht mehr einfachgesetzlich, sondern im Grundgesetz geregelt werden. Hierzu zählen der Status des Bundesverfassungsgerichts selbst sowie die Festlegung auf zwei Senate und 16 Richter. Auch die Bindung an die Urteile des Gerichts und die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts sollen im Grundgesetz verankert werden. Die Amtszeit der Richter soll auf zwölf Jahre, die Altersgrenze auf 68 Jahre festgelegt werden.

Diese Regelungen bestehen allesamt schon jetzt. Indem diese Modalitäten in das Grundgesetz übertragen werden, bräuchte es zukünftig jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, statt einer einfachen Mehrheit, um an hieran etwas zu ändern. Wie Fabian Jacobi, Mitglied des Rechtsausschusses und Abgeordneter der AfD, erklärt, nimmt hieran auch seine Partei keinen Anstoß. Die AfD habe nicht geplant, an diesen Regelungen Änderungen vorzunehmen.

Ampel und Union doktern am Wahlmodus für Richter herum

Darüber hinaus will die Ampel und die Union jedoch auch den Wahlmodus für die Richter des Bundesverfassungsgerichts ändern. Derzeit ist es so, dass die Richter jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Sollte man sich jedoch binnen einer bestimmten nicht auf einen Kandidaten verständigen können, so soll künftig eine neue Regelung greifen. Statt des Bundestages soll dann auch stattdessen der Bundesrat einen Verfassungsrichter mit Zwei-Drittel-Mehrheit wählen können – obwohl dessen Wahl eigentlich für den Bundestag reserviert war. Umgekehrt soll die Regel ebenfalls gelten.

Diese Regelung zielt darauf ab, die AfD vom Entscheidungsprozess über die Wahl von Verfassungsrichtern abzuschneiden. Der Bundestag kann durch die schlichte Nichtbestimmung eines neuen Richters die Entscheidungsbefugnis hierüber also de facto auf den Bundesrat übertragen. Die AfD – so die offenkundige Hoffnung von CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne – kann so weiter ausgeschlossen werden, selbst wenn sie einmal mehr als ein Drittel der Mitglieder des Bundestags stellen.

Die verfassungsrechtlich vorgesehene Funktion des Bundestags – also die Wahl von Amtsträgern – wird durch diese neue Regelung ausgehebelt. Dabei galt der bestehende Wahlmodus bisher als zwingende Voraussetzung zur Wahrung der politischen Neutralität und Ausgewogenheit des Gerichts. Hierdurch soll gerade die politisch einseitige Einflussnahme verhindert und die unabhängige, überparteiliche Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts gesichert werden. Zudem herrschte bisher Einigkeit darüber, dass nur ein von großen parlamentarischen Mehrheiten getragenes Verfassungsgericht mit der Akzeptanz der Öffentlichkeit rechnen kann.

Ampel und Union lassen sich Hintertür zur noch drastischeren Änderung des Wahlmodus offen

Ampel und Union halten sich allerdings noch eine Hintertür offen, nämlich den Wahlmodus der Verfassungsrichter noch drastischer zu ändern. Spannend ist vor diesem Hintergrund weniger, was Ampel und Union verfassungsrechtlich regeln wollen, sondern vielmehr, was sie nicht verfassungsrechtlich regeln wollen. Demnach soll ausgerechnet das Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis der Verfassungsrichter-Wahl nicht im Grundgesetz verankert werden.

Folglich können künftig nach wie vor entscheidende Änderungen an der Wahlmehrheit mit nur einfacher Mehrheit vorgenommen werden. Zwar führen Union und Ampel hierzu nichts aus, jedoch steht den Fraktionen damit weiterhin die Möglichkeit offen, auch das Mehrheitserfordernis per Gesetz herunterzuschrauben. Aus Sicht von Ampel und Union könnte dies insbesondere erforderlich werden, wenn die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag stellt sowie über potenzielle Landesregierungen – etwa im Osten – auch Einfluss auf den Bundesrat nehmen kann. In diesem Fall könnten Ampel und Union das Zwei-Drittel-Mehrheits-Wahlerfordernis für die Wahl von Richtern also im Vorfeld mit einfacher Mehrheit absenken.

Verfassungsrechtlich diskutiert wird hier insbesondere, inwiefern das Bundesverfassungsgericht bei Uneinigkeit des Bundestags beziehungsweise des Bundesrats aus eigener Initiative Verfassungsrichterkandidaten vorschlagen kann. Dies ist nach Paragraf 7a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht tatsächlich schon heute möglich. Demnach schlägt das Bundesverfassungsgericht selbst Kandidaten vor, sofern sich Bundestag beziehungsweise Bundesrat binnen zwei Wochen nicht auf einen Kandidaten verständigen können.

Jedoch muss auch dieser vom Verfassungsgericht vorgeschlagene Kandidat mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Es wird spekuliert, dass es zwischen Union und Ampel Diskussionen gibt, diesen Paragraph 7a zu ändern, sodass zumindest fortan in einer solchen Situation die einfache Mehrheit ausreichen soll, um einen vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagenen Kandidaten zu wählen. Für Thüringen und die Wahl der dortigen Landesverfassungsrichter hat analog etwa auch der unter Juristen recht einflussreiche Verfassungsblog diese Änderungen vorgeschlagen.

Dabei gibt es an dem Paragraph 7 a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht schon jetzt Kritik. Schließlich kommt hierdurch dem – eigentlich unabhängigen Verfassungsgericht – zumindest indirekt eine politische Gestaltungsaufgabe zu. Da Ampel und Union das Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis nicht im Grundgesetz verankern wollen, lassen sie sich zumindest die Möglichkeit offen, den Paragraph 7a mit einfacher Mehrheit entsprechend zu ändern. Die AfD könnte man damit noch weitergehend bei der Wahl über die Verfassungsrichter ausbooten – und den gewählten Richterkandidaten als unabhängig präsentieren, da er dann vom Gericht, nicht den Fraktionen vorgeschlagen wurde.

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