Werbung

Fünf-Punkte-Plan mit AfD-Giftpille: Die Taktik hinter Merz‘ Migrations-Antrag

Der Fünf-Punkte-Plan der Union nach Aschaffenburg ist öffentlich geworden. Harte Forderungen werden gestellt - aber eine AfD-Giftpille soll die Rechten auf Distanz halten und Zustimmung von Rot-Grün sichern. Kann das aufgehen? Eine Analyse.

Fünf Punkte, zwei Seiten - wie viel Wirkung?

Werbung

Merz kündigte ihn genauso schnell an, wie er jetzt vorliegt. Innerhalb weniger Tage hat die Unionsfraktion ihren Antrag vorbereitet, mit dem sie nach dem Doppelmord von Aschaffenburg eine Wende in der Migrationspolitik herbeiführen wollen. Er liegt unserer Redaktion vor. Zwei Seiten, fünf Punkte – und eine lange Liste an „Feststellungen“, die der Bundestag beschließen soll.

Der Antrag wirkt wie mit heißer Nadel gestrickt, und das ist er sicherlich auch. Dennoch schlägt er richtige Punkte vor: Von den fünf Punkten, die Merz bereits angekündigt hatte, sind Zurückweisungen und dauerhafte Kontrollen der Bundesgrenzen die relevantesten. Zudem fordert die Union grundsätzlich, vollziehbar Ausreisepflichtige in Abschiebehaft zu nehmen. Insbesondere ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen in einem zeitlich unbefristeten Ausreisearrest bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann. 

Delivered by AMA

Bei der Durchführung von Abschiebungen, die bisher in der Zuständigkeit der Länder liegen, verspricht der Antrag Hilfe des Bundes. Es sollen „Bundesausreisezentren“ errichtet werden – zudem soll, wie von Merz vorgeschlagen, die Bundespolizei Haftbefehle im Zusammenhang mit ausreisepflichtigen Ausländern beantragen können.

Richtige Forderungen, die aber eigentlich nur ein Minimum darstellen können. Für jeden, der die Migrationskrise ernsthaft beenden will, kann dieser Antrag höchstens ein erster Grundstein bei einer politischen Wende sein – für ganzheitliche Effekte braucht es noch etwas mehr als diese fünf Punkte.

Die Migrations-Notlage als Hebel gegen EU-Recht

Ein großes Problem: Das europäische Recht verbietet viele der Maßnahmen, die jetzt wichtig wären, etwa Zurückweisungen oder auch unilateral umgesetzte Grenzkontrollen innerhalb der EU. Die Union glaubt, in ihrem Antrag einen Weg um dieses Recht herum gefunden zu haben. Der Antrag beschreibt die Migrationskrise an Europas Grenzen und stellt fest:

Lesen Sie auch:

In dieser Gesamtsituation ist es die Pflicht Deutschlands und damit der Bundesregierung, nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn europäische Regelungen nicht funktionieren – so wie es in den Europäischen Verträgen für außergewöhnliche Notlagen vorgesehen ist. Deutschland muss die Abwehr von Gefahren und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger an erste Stelle setzen und entschlossen handeln.

Eine Absicherung gegenüber dem europäischen Recht – bei Berufung auf genau jenes. Gemäß Paragraf 79 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union können Mitgliedsstaaten eine Notlage ausrufen, wie die Union sie im Antrag beschreibt. Ob das vor Gericht standhält, ist offen – aber es ist zumindest ein gangbarer Weg.

Schlussendlich ist der Antrag aber nicht so handfest, wie er sein könnte – es ist ein Entschließungsantrag. Den braucht es zwar in Fragen des exekutiven Handelns, aber den Charakter eines Gesetzes hat er nicht. Die Scholz-Regierung kann ihn im Grunde einfach aussitzen. Die Union hätte ein deutlich griffigeres Instrument zur Hand gehabt: Das Zustrombegrenzungsgesetz. Es liegt fertig im Bundestag vor und ging auch schon durch den zuständigen Ausschuss, kann also in dritter Lesung beschlossen werden. Es hätte deutlich mehr Wirkung als der eilig zusammengestrickte Fünf-Punkte-Plan. Allein schon, weil es ein Gesetz und somit unmittelbar bindend wäre.

Merz und die Unionsfraktion hatten den Entwurf aber von der Tagesordnung genommen – aus Angst vor einer Zustimmung der AfD. Diese Angst hat Merz ja angeblich abgeräumt. Warum also nicht einbringen? Aus der AfD schimpft man Merz‘ neuen Antrag schon ein reines Wahlkampfmanöver.

Die Giftpille, die einen Skandal vermeiden soll

Merz hatte ja vorgelegt: Ihm sei egal, wer seinem Antrag zustimmt. Dem ist sicher nicht so, wenn man den Antrag liest. Weitgehend sachfern fügt die Union im Beschlusstext einen Absatz ein, der da lautet:

Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.

Eine harte Absage an die AfD – und so formuliert, dass die AfD-Fraktion dort eigentlich nicht zustimmen kann. Sie würde dann ja selbst beschließen, dass sie „Fremdenfeindlichkeit“ schürt und „Verschwörungstheorien“ in Umlauf bringt. Das bringt wiederum die AfD in die Zwickmühle, weil die Partei in Form von Chefin Alice Weidel bereits lautstark Zustimmung zum Unions-Antrag signalisiert hatte. Sicher, um die CDU vor sich herzutreiben – aber mit dieser Passage drehen Merz und Dobrindt den Spieß zumindest ein Stück weit um. Stimmt die AfD jetzt entgegen ihres Versprechens doch nicht zu?

Was für die AfD eine Giftpille ist, soll für Rot-Grün hingegen ein Zuckerkügelchen sein: Absatzlange Anti-AfD-Bekenntnisse sollen für die Zustimmung sorgen und so den Unions-Antrag durchbringen, ohne auf AfD-Stimmen angewiesen zu sein. Sie sollen vor allem der Brandmauer-Kampagne von SPD und Grünen den Wind aus den Segeln nehmen. Ob das reicht, darf bezweifelt werden – immerhin stehen im Antrag ganz unabhängig von der AfD Inhalte, die mit Rot-Grünen Kernpositionen zur Migration nicht vereinbar sind.

Stimmen am Ende nur Union und FDP für den Antrag? Das wäre trotzdem ein Punktsieg für Merz, der dann mit zwei Fingern nach links und rechts zeigen könnte. In der Sache wäre damit freilich nichts erreicht und nichts verbessert – und der Antrag stünde in den Augen vieler als rein taktisches Manöver im Wahlkampf dar. Dabei hatte Merz genau solchen taktischen Manövern jüngst noch lautstark öffentlich abgeschworen. Der Entwurf seines Fünf-Punkte-Plans wirkt jedoch streckenweise genau wie ein solches.

Der Antrag im Wortlaut:


Sie haben brisante Insider-Informationen oder Leaks? Hier können Sie uns anonyme Hinweise schicken.

Werbung