Es waren dramatische Szenen, die sich an Israels Grenze abspielten: Tausende versuchten im Norden des Landes den Grenzzaun zu durchbrechen – und zwar von Israel nach Syrien. Hunderten gelang es offenbar. Es waren israelische Drusen, eine der religiösen Minderheiten in Israel, die dem jüdischen Staat besonders loyal gegenüberstehen. Sie sehen sich insgesamt viel mehr als Teil des Staates als etwa arabische Israelis und dienen weit verbreitet und zum Teil überproportional in den israelischen Streitkräften.

Aber an der Grenze war nun der Zorn groß. Hintergrund: Gewalt und Massaker an ihren Glaubensbrüdern in Syrien – und eine zunächst befürchtete Tatenlosigkeit der israelischen Regierung. Denn im Süden Syriens rückten nun Truppen und Milizen der neuen Übergangsregierung von al-Scharaa in drusische Gebiete vor, nachdem es dort lokal zu Kämpfen mit anderen arabischen Gruppen gekommen war. Statt die Lage zu befrieden, bekämpften und massakrierten die Regierungstruppen nun selbst Drusen – so der Vorwurf.

Klar ist: Es kam zu massakerähnlicher Gewalt gegen Drusen. Inwieweit die Beteiligten dabei unter Kontrolle der Zentralregierung stehen, kann von außen kaum jemand klar sagen. Denn überhaupt von Regierungstruppen zu sprechen, ist schwierig. Man erinnere sich: Die aktuelle „Übergangsregierung“ selbst besteht praktisch fast nur aus einem wilden Haufen von Milizen, angeführt von der islamistischen HTS-Miliz, der auch al-Scharaa vorstand.

Der ist nach außen hin zuletzt stark darum bemüht, ein moderates Image zu geben, suchte zuletzt erfolgreich Kontakt zur US-Regierung und dem Westen – und verhielt sich im Iran-Israel-Konflikt vorsichtig iran-kritisch. Manche im Westen träumten zuletzt gar davon, dass durch seine Reformen Syrien binnen kürzester Zeit Teil der „Abraham Accords“, des arabischen Vertragswerks zur Normalisierung der Beziehungen zu Israel, werden könnte. Das würde bedeuten, dass Israel und Syrien freundschaftliche Beziehungen aufnehmen – womöglich gar die israelische Kontrolle über die Golanhöhen anzuerkennen.

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Solche Hoffnungen sind nun erst einmal vom Tisch. Ob ein Befehl zum Massaker an Drusen dabei von al-Scharaa kam oder einige seiner Islamisten-Milizen auf eigene Faust handelten, ist unklar – und macht für die Drusen vor Ort wohl kaum einen Unterschied. Klar ist: In Israel sah die Minderheit einen Völkermord an ihren Glaubensbrüdern im Norden im Anmarsch – und die Wut war groß. Mitunter auch auf die israelische Regierung, daher wollten viele die Sache selbst in die Hand nehmen und strömten über die Grenze, israelische Grenzbeamte waren nicht mehr Herr der Lage.

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In einem emotionalen Aufruf reagierte dann Premier Netanyahu selbst und richtete sich persönlich an „meine Brüder, die drusischen Bürger Israels“ und kündigte den Einsatz der israelischen Streitkräfte an: „Wir handeln, um unsere drusischen Brüder zu retten und die Banden des Regimes zu eliminieren. Ich habe eine einzige Bitte an Sie: Sie sind israelische Staatsbürger. Überschreiten Sie nicht die Grenze. Sie riskieren Ihr Leben; Sie könnten ermordet oder als Geiseln genommen werden, und Sie behindern die Bemühungen der israelischen Streitkräfte.“

Was folgte, waren Luftangriffe der israelischen Armee, auch auf Zentren in Damaskus, wo Militärschläge den Präsidentenpalast und das Verteidigungsministerium trafen. Denkbar ist ebenso eine Ausweitung der Bodenoperation der Israelis, die aus Angst vor der Islamisten-Gefahr durch die neuen Machthaber nahe der Grenze im Süden des Landes bereits eine Pufferzone errichtet haben.

Mehrere drusische Abgeordnete des israelischen Parlaments sind nun in den Süden Syriens gereist, um ihre drusischen Mitbürger zu überzeugen, aus der Gefahrenzone zurück nach Israel zu kommen. Afef Abed, ein drusischer Abgeordneter für die Regierungspartei Likud, verglich gegenüber der Times of Israel die Situation und Reaktion seiner Glaubensbrüder mit dem Hamas-Massaker 2023: „Als der 7. Oktober passierte, strömten alle Drusen in den Süden, ohne darüber nachzudenken, was dort passieren würde, was sie dort tun würden, denn das ist unsere Mentalität“, sagte er. Das Gleiche sei nun geschehen, als Islamisten jetzt ein Massaker an Drusen in Syrien verüben wollten.

Inzwischen ist ein von den USA vermittelter Waffenstillstand im Süden Syriens in Kraft getreten. Regierungstruppen beziehungsweise -milizen sollen sich jetzt zurückziehen, während die drusische Region die Zugehörigkeit zu Syrien bestätigen soll. Während manche Anführer der drusischen Gemeinschaft hinter dem Abkommen stehen, ist das längst nicht bei allen so. Groß ist die Angst vor Gewalt durch al-Sharaas Männer, denen nach den Gewaltakten keiner so recht vertraut.

Syriens Übergangspräsident selbst sprach in einer Fernsehansprache davon, dass der Schutz der Drusen „Priorität“ habe, attackierte zugleich aber auch Israel und erklärte zu seinen drusischen Bürgern: „Wir lehnen jeden Versuch ab, Sie in die Hände einer externen Partei zu zerren.“

An die Israelis und drusische Kämpfer gerichtet, sagte er aber auch: „Wir gehören nicht zu denen, die den Krieg fürchten. Wir haben unser Leben damit verbracht, uns den Herausforderungen zu stellen und unser Volk zu verteidigen, aber wir haben die Interessen der Syrer über Chaos und Zerstörung gestellt.“ Wie ernst all das ist – und vor allem wie viel Kontrolle er wirklich über die lose Ansammlung von Milizen hat, die sich jetzt „Verteidigungsministerium“ nennen, ist unklar. Genauso, ob es nicht eben doch einen Befehl zur Gewalt von oben gab und die chaotische Situation nur zur Abstreitung dienen sollte.

Klar ist: In Syrien herrscht noch lange kein Frieden. Und die von manchen schnell erträumte Annäherung an den Westen wird so alles andere als einfach.

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