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„Den Bach rauf“

Neues Buch: Habeck will Deutschland vor „Pessimismus“ und „Rechtspopulismus“ retten

Robert Habeck hat aus seinem neuen Buch „Den Bach rauf" vorgelesen. Darin inszeniert er sich als Mann der Tat – als ein volksnaher Problemlöser, der Deutschland vor „Pessimismus“ und „Rechtspopulisten“ retten will.

2010 schrieb Robert Habeck in seinem Buch noch, dass er „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen" finde.

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„Den Bach rauf“ – so heißt das Buch, das Robert Habeck „in den letzten Sommerferien“, also scheinbar ganz locker neben seinem Amt als Wirtschaftsminister, geschrieben hat. Am Sonntag postete er auf X einen Link zu einem knapp zehnminütigen YouTube-Video, in dem er aus seinem neuen Werk vorliest. Das Setting erinnert an seine Küchentisch-Gespräche. Habeck blickt ernst in die Kamera, als er erzählt, dass er sich „hingesetzt“ und seine Gedanken „sortiert“ habe.

Sein Buch, das am 16. Januar erscheinen soll, sei eine „Kursbestimmung“ für das, „was politisch ansteht und wie auch für mich persönlich“, sagt er. Und daraus will er nun vorlesen, wobei das eigentlich bedeutet, dass er vom Teleprompter abliest – ein echtes Buch oder einen Ebook-Reader hat er nicht. Er beginnt: „Heimat ist da, wo die Probleme einen etwas angehen.“ Es ist ein interessanter Einstieg, wenn man sich an sein Buch „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“ aus dem Jahr 2010 erinnert – in dem er schrieb, dass er „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen“ fand und mit Deutschland nichts anzufangen wisse.

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Doch nun, so Habeck, berühren ihn die Probleme in Deutschland und im Ausland. Er erzählt von den „schlechten Nachrichten“, die ihm in den „sozialen Kanälen entgegenleuchten“ und spätabends, wenn er die Tagesschau im Netz nachsehe. „Raketen über Israel, Panzer im Libanon, Sprengstoffdrohnen über Kyjiw, Terroranschlag in Solingen, Polizistenmord in Mannheim, Hochwasser in Europa, Energiepreise zu hoch, Wachstum zu niedrig: Kummer, Sorgen, Leid gebündelt in Schlagzeilen“, sagt Habeck. Er wirft die Worte einfach in den Raum, ohne Einordnung oder Hintergründe – als wäre man gegen hohe Energiepreise und islamistische Anschläge so ohnmächtig wie gegen Naturkatastrophen.

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Der Vizekanzler, der sein Gesicht vor wenigen Tagen mit den Worten „Bündniskanzler. Ein Mensch. Ein Wort“ auf das Münchener Siegestor projizieren ließ, inszeniert sich als vermeintlich nahbar – als Mensch mit Zweifeln und Schwächen. Er sagt: „Wie wahrscheinlich viele spüre auch ich manchmal das Bedürfnis, mich aus diesem Getöse zurückzuziehen; die Welt in ihrer Raserei auszusperren; die eigene kleine Welt zu schützen“. Es habe bei vielen Rückschlägen und Problemen auch Situationen gegeben, in denen er sich gewünscht habe, „ich könnte die Augen schließen, bis zehn zählen und dann wäre das Problem verschwunden, wissend, dass das nicht so sein wird“. Auch „diese eine Frage“ sei schon aufgekommen: „Soll ich aufhören mit der Politik? Warum ist das eigentlich mein Problem?“

Dann schwenkt er wieder um und gibt sich heldenhaft: „Es geht mich etwas an“. „Es? Das ist das, was um mich herum geschieht, hier, da wo ich lebe. Heute, hier und jetzt.“ Das Wort Deutschland kommt ihm noch nicht über die Lippen. Doch dann erklärt er, was jenes „hier und jetzt“ ist: „Deutschland ist das Land, in dem ich lebe.“ Es sei das Land, „dessen Sprache ich durch den Zufall meiner Geburt und der meiner Eltern spreche, in dessen Sprache mir vorgelesen und vorgesungen wurde“. Er erzählt vom Abendlied von Matthias Claudius, von Stolpersteinen, die an den Holocaust erinnern und von der verspäteten Deutschen Bahn, die für „schlechte Laune“ sorgt.

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„Es ist das Land, in dem ich mich frage: Wie kann das sein, dass in einer der größten Volkswirtschaften der Welt sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler jedes Jahr keinen Abschluss machen? Dass fünfundzwanzig Prozent der Kinder am Ende der Grundschule nicht lesen oder schreiben können und weitere zwanzig Prozent nur schlecht?“ Hört man sich seine Erzählungen an, drängt sich ein Gedanke auf: Vielleicht hätte er das Buch besser „Betrachtungen eines Unpolitischen“ nennen sollen. Denn genauso liest es sich im ersten Kapitel: ein passives Sich-Wundern über die Probleme in Deutschland, die irgendwie über einen gekommen zu sein scheinen, ohne dass man genau sagen könnte, wie.

Was motiviert Habeck nach eigener Aussage dann, all die Mühen und Plagen des Politikerdaseins auf sich zu nehmen? Lustige Zugschaffnerinnen, engagierte Lehrer, Feuerwehrmänner, Flüchtlingshelfer, „Handwerksmeisterinnen“. Deutschland sei auch das Land, in dem er sich „politisch gefordert fühle, wenn ein Islamist auf einem Stadtfest drei Menschen ersticht“. Deutschland sei das Land, in dem er sich schäme, wenn Juden wegen mangelnder Sicherheit auswandern müssten oder wenn Nachkommen von Gastarbeitern das Land verlassen, weil „Rechtsextreme und Rechtspopulisten salonfähig werden, in Landkreisen politische Mehrheiten stellen oder Parteianhänger auf AfD-Wahlpartys Lieder grölen mit Texten wie ‚Wir schieben sie alle ab’“.

All das sei ihm nicht egal – „diese Probleme gehen mich etwas an“. Er philosophiert zum Abschluss nochmal über den Begriff „Dies ist ein Begriff mit viel Geschichte, auch einer des Zwiespalts, der Umdeutungen, der Missdeutungen, des Missbrauchs. Ein Wort, das wahrscheinlich für jeden etwas anderes bedeutet und sich anders anfühlt. Zum Beispiel für Menschen, die mit zwei oder mehr Sprachen groß geworden sind, die eingewandert sind und erst hier Deutsch gelernt haben“.

„Ich nenne Heimat das Land, dessen Probleme mich etwas angehen“, verkündet er vollmundig. „Das Land, um das man sich kümmert, gerade, wenn es schwierig ist. Das Land, zu dem ich stehe, um dessen Gegenwart und Zukunft ich kämpfe. Das nenne ich Heimat.“ Das Buch verkörpere die Hoffnung, dass es mehr Menschen gebe, die sich nach einem höflichen Umgang sehnen, als nach Schuldzuweisungen. Es richte sich an die Menschen, „die im Laufe der Jahre begriffen haben, wie schwierig die Dinge im Konkreten sind, aber nicht wollen, dass man den Schwierigkeiten ausweicht“.

Für diese Leute gibt es Robert Habeck, den Problemlöser – so inszeniert sich der Kanzlerkandidat, als hätte er in den letzten drei Jahren nicht an der Regierung mitgewirkt. Zum Abschluss heißt es: „Gute Politik sucht die gute Einigung, erkennt, dass zwischen möglich sein und möglich machen grammatisch ein Verb-Unterschied liegt, aber politisch Welten“. Es gebe keine Garantie, dass sich Habecks Hoffnungen über ein besseres Deutschland erfüllen. „Aber es gibt eine ziemlich große Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland den Bach runtergeht, wenn auch die Politiker der demokratischen Mitte auf die Mittel des Populismus setzen“. Habeck „will anderes anbieten“. Er wolle „den Bach rauf“. Nur wie, das sagt er abgesehen von ein paar oberflächlichen Worten über Optimismus nicht.

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