Die Grünen feiern das neue Verfassungsziel – und die Union weiß nicht, was sie wirklich beschlossen hat
Klimaschutz wird kein Staatsziel - der neue Zusatz im Grundgesetz soll eigentlich gar keine Wirkung oder Folgen haben, behaupten CDU/CSU. Die Grünen zeigen auf, wie es wirklich ist: Und die Union weiß offenbar gar nicht, was sie gerade beschließt.

Im Bundestag macht die Opposition der zukünftigen Regierung schwere Vorwürfe wegen ihres Schulden-Coups. Die Formulierung zur Grundgesetzänderung schreibe die Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz fest und würde negative Konsequenzen für Deutschland bedeuten. CDU und CSU wiegeln ab und arbeiten sich weiter an der Behauptung ab, Klimaneutralität werde als Staatsziel in der Verfassung verankert. Juristisch stimmt diese Aussage nicht, wird betont – aber das ist im Endeffekt völlig egal. Denn der Schaden ist auch so gemacht.
Die Versuche der Union, die Ängste vor einem „Staatsziel Klimaschutz“ zu nehmen, gipfelten auch die letzten Tage schon in einer bemerkenswerten Argumentation: Im Grunde sei Klimaschutz nämlich bereits Staatsziel. Merz sagt im Bundestag: „Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ stünde „seit über dreißig Jahren“ im Grundgesetz und sei ein Verfassungsauftrag. Das Verfassungsgericht erfasse darunter auch „Klimaschutz und Klimaneutralität“. Daher ändere die Grundgesetzänderung gar nichts, behauptet Merz.
Eine Einschätzung, die angesichts der Auslegungsspielräume des Bundesverfassungsgerichts noch schlecht altern könnte – viele Juristen sind nach wie vor besorgt ob dieser schnellen Grundgesetzänderung. Sie fürchten, dass die Zielbestimmung für das Sondervermögen, das die „Klimaneutralität bis 2045“ als Maßgabe definiert, mindestens mit Blick auf die Mittel im Fonds zu Klagen von Umweltorganisationen führen könnte.
Darauf weist auch der AfD-Politiker Martin Sichert in einer Kurzintervention im Bundestag hin – „dass jede Infrastrukturmaßnahme künftig gefährdet ist. Denn wenn jede Infrastrukturmaßnahme dem Zweck der Klimaneutralität dienen muss (…), dann gilt ja, dass man gegen jeden Autobahnneubau, jede Autobahnsanierung und so weiter vor Gericht ziehen kann, dass man das alles stoppen kann, dass davon nichts finanziert werden kann, weil es nicht der Klimaneutralität dient!“ CSU-Mann Alexander Dobrindt nennt diese Ausführungen „vollkommen absurd“. „Es gibt bei den Investitionen, die wir auslösen, keine Einschränkungen“, behauptet er.
Werbung
Spätestens hier wird die Abwatsch-Taktik der Union, die jede Kritik mit einem Vokabelspektrum zwischen „absurd“ und „Fake News“ wegschimpfen will, lächerlich: Dass selbst die Mittel des Sondervermögens nicht an „Klimaneutralität 2045“ gebunden sein sollen, wirkt angesichts der klaren Zielbestimmung, die man ja so ins Grundgesetz schreibt, schon wie ein abenteuerlich konstruiertes Argument. Wenn die explizite Formulierung tatsächlich am Ende gar nichts bedeuten soll, stellt sich mindestens für juristische Laien die Frage, wie viel Bedeutung Formulierungen in der Verfassung dann überhaupt haben sollen.
Lesen Sie auch:
Gerichtsurteil
„Öffnet die Grenzen weit nach Rechtsaußen“ – die Reaktionen auf die Aufhebung des Compact-Verbots im Überblick
Das Compact-Verbot war rechtswidrig. Die Gerichtsentscheidung öffnet laut Tagesschau die „Grenzen des medial Sagbaren weit nach Rechtsaußen“. Andere sehen dem AfD-Verbotsverfahren die Grundlage entzogen. Die Reaktionen im Überblick.Fraktionsbeschluss
Union und SPD setzen Enquetekommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie ein
Union und SPD wollen in dieser Woche eine Enquetekommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie einsetzen. Man wolle „hinterfragen“ und „Verantwortlichkeiten klar benennen“, heißt es in dem Papier zur Einsetzung.Allein als Floskel für die Grünen wird es wohl nicht gedacht sein – dann müsste es nicht ins Grundgesetz. Wahrscheinlicher ist, dass sich aus dieser Zielbestimmung – auch, wenn sie juristisch streng genommen kein Staatsziel sein soll – tatsächliche juristische Konsequenzen entfalten werden. Zumindest mit Blick auf die Mittel für das Sondervermögen Infrastruktur und, wie es jetzt heißt, „zur Erreichung der Klimaneutralität“ bis 2045. Die Erklärung, dass das alles nichts bedeuten soll, kaufen viele Menschen nicht. Und die Grünen sehen das auch ganz anders.
Die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann feiert: Dieser Verwendungszweck für die Mittel des Sondervermögens sei „eine entscheidende Veränderung, die wir erreicht haben“ – in Verbindung mit Artikel 20a Grundgesetz. Dieser nennt den Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ als Staatsziel. Auf seiner Basis urteilte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem oft kritisierten Klimaschutz-Urteil von 2021: „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz und zielt auf die Herstellung von Klimaneutralität“. Diese Grundgesetzänderung unterstreicht das.
Werbung
Klimaschutz ist bereits de facto ein Staatsziel – das hörte man im Vorlauf der Debatte auch aus der Union. Das stimmt zwar – nichtsdestotrotz gibt die neue Grundgesetz-Ergänzung auf diesem Weg nochmal Vollgas. Folgenlos wird all das nicht bleiben. Weiß die Union überhaupt, was sie im Bundestag beschließt? Von Parlamentariern hört man, dass Abgeordneten von CDU/CSU und auch SPD im Vorlauf der Abstimmung teilweise gar nicht klar sei, was sie da wirklich beschließen würden. So klingt auch Alexander Dobrindt in der Debatte, obwohl gerade er es wohl besser weiß – er hat das Paket ja federführend verhandelt.
Eine kopflose Union zeigt im Bundestag also entweder erneut ihre völlige Bereitschaft zur eiskalten Lüge – oder, dass sie gar nicht weiß, was sie diesem Land gerade aufbindet. Eine folgenlose Grundgesetzänderung? Wer das ernsthaft glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Oder, dass mit Merz noch der „Politikwechsel“ kommt.
„Daher ändere die Grundgesetzänderung gar nichts, behauptet Merz.“
Ach so. Und wozu brauchen wir sie dann? 🦧
In 30 Jahren Selbständigkeit habe ich eins gelernt: Sobald jemand behauptet, irgendetwas wäre „bloß eine reine Formalität“, wird es Zeit, den Kontakt zu beenden.
No comment
Diese Liste mit der namentlichen Abstimmung wird in die Geschichtsbücher – als „Liste der Schande“ eingehen.
Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen, als die Demokratie von den ‚wahren Demokraten‘ ausgehebelt wurde.
Danke für nichts.
„Dieser nennt den Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ als Staatsziel.“
Natürliche Lebensgrundlagen sind beispielsweise Essen, Trinken und Wohnraum( im Winter beheizt). In einer modernen Industrie- und Informationsgesellschaft kommen noch Wasseranschluss, Elektrizität, Mobilität, Bildung und der Zugang zu Telekommunikation dazu. Bei Umsetzung der sog. Klimaneutralität, kann sich ein Großteil der Menschen von all dem verabschieden.
Nur so ein Gedanke
EU-Grundrechte-Charta, Artikel 37, Umweltschutz:
„Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden.“
Der Wähler hat eigentlich ausgedrückt, das er weniger Grün in der Politik haben möchte. Und nun kommt Merz und verhilft dieser wohl in die Opposition gehen müssende Partei zum totalen Triumpf.
Die zentrale Erzählung der Union, die Grundgesetzänderung habe keine juristische Relevanz und sei lediglich eine Klarstellung dessen, was ohnehin gelte, offenbart ein bemerkenswertes Missverständnis über die normative Kraft verfassungsrechtlicher Sprache. Denn selbstverständlich entfaltet eine solche Formulierung Wirkung – spätestens dann, wenn Gerichte urteilen oder Mittel aus dem Sondervermögen anhand der darin verankerten Zieldefinition vergeben werden müssen. Umso erstaunlicher ist die Behauptung, dieser Passus sei bedeutungslos. In der politischen und juristischen Realität gilt: Was im Grundgesetz steht, hat Gewicht – immer. Wer eine Formulierung dort für überflüssig, folgenlos oder rein symbolisch erklärt, entlarvt sich nicht nur selbst, sondern versucht offenkundig, ihre tatsächliche Tragweite rhetorisch zu vernebeln.
Bei dem Bild wird mir schlecht!
Wenn Grüne feiern ist es grundsätzlich schlecht!!!
Der Union ist es offensichtlich völlig gleichgültig, was genau beschlossen wird.
Sie geht wohl davon aus, daß es Deutschland in der heutigen Form 2045 nicht mehr geben wird. Vermutlich glauben sie, daß wir bis dahin nur noch eine Art von der EU verwaltetes Siedlungsgebiet sind.
Und selbst wenn das nichts wird und der ganze Laden vor die Hunde geht, die im Hintergrund agierenden Investment- und Rüstungsfirmen werden ein Vermögen verdient haben.
Das Bürgerliche Recht kennt seit seinem Inkrafttreten im 19. Jahrhundert keinen Vertrag zulasten Dritter. Wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm längst kritisiert, ist es deshalb nicht ermöglicht, Einzelinteressen zu bedienen. Mit der ins Grundgesetz geschriebenen Klimaneutralität wird also schierer Partikularismus flugs als etwas umdeklariert, das angeblich das Wohl aller befördert. Letztlich bleibt es aber nichts anderes als ein simpler Etikettenschwindel.
Man sieht nun wieder, wie Journalismus funktioniert. Gab es nicht unzählige Artikel darüber, wer die GG-Änderung sprengen, Merz kippen könnte, wer ihm in der CDU gefährlich werden könnte, die Schuldenorgie stoppen könnte etc. pp.?
Die Union weiß genau, was sie beschlossen hat, so dumm sind die nicht.
„Verfassungsgericht erfasse darunter auch „Klimaschutz und Klimaneutralität“. Daher ändere die Grundgesetzänderung gar nichts, behauptet Merz.“
Warum denn dann die Grundgesetzänderung?
Hätte man dann ja auch lassen können.
Erinnert mich irgendwie an die Äußerung Merkels, als sie 2018, ihre Unterschrift unter den Migrationspakt setzte und meinte, dieser sei rechtlich nicht bindend.
weiss es, verlasst Euch drauf.
Geld ausgeben, das in den nächsten Jahrzehnten – vielleicht – erwirtschaftet wird. So soll es sein in unserer Demokratie!
Wenn ich das richtig sehe, sind die meisten Richter des Verfassungsgerichts CDU/CSU, SPD, Grüne und und FDP. Lasse mich gerne korrigieren. Kein Wunder, dass die für die Änderung des GG entschieden haben. Vielen Dank. https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverfassungsgericht
Wo kann ich mir meine 40 000 Euro Sondervermögen auszahlen lassen?
Ich habe auch Pläne!
Das einzige was wohl sicher ist, die Erhöhung der MwSt. Mit Fadenscheinigen Argumenten.
Tja, wenn ich höre was da von der CDU/CSU kommt, dann frage ich mich, wie kommen die zu solchen Aussagen. Der Merz ist doch Jurist, er sollte doch die Konsequenzen erkennen. Wenn nicht, dann bestätigt er nur das, dass er auf biegen und brechen Kanzler werden will ohne dafür die Qualifikation zu haben. Ich gebe dem daher nur ca. 2 Jahre und dann ist der Geschichte und die CDU wohl auch. Die Grünen werden nicht viel verlieren, die haben ihren festen Wählerstamm.
Deutschland hat noch ein AAA Rating. Wie lange noch? Bei steigender Verschuldung und einem Wachstum von nahe Null kann ein AAA Rating keinen Bestand haben.
Ab sofort geht es nur noch um Schadenbegrenzung.
Hm, das könnte man eigentlich vorzüglich für eine Klage nutzen um die Atomkraftwerke wieder in Gang zu setzen entgegen den Regierungswünschen (was natürlich ein unabhängiges Verfassungsgericht voraussetzen würde). Denn wenn selbst die EU Atomstrom als Klimaschonend definiert wie kann sich Deutschland dagegen aussprechen?
Jeder sanierte Autobahnkilometer hat in Zukunft ein Tempolimit von 100km/h – have fun 🙂 endlich im GG!