Während die Union weiterhin auf eine Teilmusterung und einen darauffolgenden Wehrdienst setzt, beharrt Verteidigungsminister Boris Pistorius auf seiner Position: Er fordert, wie ursprünglich ausgemacht, eine Musterung aller 18-Jährigen ab Mitte 2027. Gegenüber der Bild am Sonntag hat der SPD-Politiker diese Forderung noch einmal unterstrichen und dabei nun auch auf den Ernstfall verwiesen.

„Ja, wir brauchen eine verpflichtende, flächendeckende Musterung für Männer. Wenn der Verteidigungsfall, den wir unbedingt verhindern wollen, doch eintreten sollte, tritt nach dem Grundgesetz die Wehrpflicht unmittelbar wieder in Kraft. Dann müssen wir wissen, wer einsatzbereit ist und wer nicht“, erklärte der Verteidigungsminister.

In den vergangenen Monaten hatten Pistorius und Friedrich Merz stets auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Freiwilligkeit beim Wehrdienst – auf die der SPD-Politiker weiterhin setzt – verwiesen. Nachdem ein erster Gesetzesentwurf dann im August durch das Kabinett gegangen war, wurde die Rhetorik jedoch schärfer, zuletzt hatte Bundeskanzler Merz sogar angedeutet, nicht mehr an eine freiwillige Lösung zu glauben (mehr dazu hier). Generell trat in der Union so viel Widerstand gegen die Freiwilligkeit zutage – hier wird in großen Teilen die Reaktivierung der Wehrpflicht gefordert –, sodass die geplanten Beratungen im Bundestag über Pistorius‘ Gesetz abgesagt wurden.

Union und SPD hatten sich Medienberichten zufolge daraufhin auf ein Losverfahren geeinigt. Das Modell orientierte sich am dänischen System. Demnach sollten alle 18-jährigen Männer einen Fragebogen ausfüllen. Wer sich freiwillig meldet, sollte zur Musterung eingeladen werden. Reichen die Freiwilligen nicht aus, sollten weitere Männer ausgelost und ebenfalls gemustert werden. Der tatsächliche Dienst sollte jedoch auch nach einer Auslosung zunächst freiwillig bleiben – aber auch die Option auf eine sechsmonatige Verpflichtung soll implementiert werden.

Doch Pistorius ist weiterhin stark dagegen: „Wenn wir wieder alle Männer eines Jahrgangs mustern und die Daten aller Wehrfähigen erheben, wird das auch in Russland wahrgenommen. Anders ausgedrückt: Auch das ist Abschreckung!“ Er hält daher weiterhin an der flächendeckenden Musterung junger Männer ab Juli 2027 fest.

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Seine Argumente werden von aktuellen Umfragen untermauert: Nicht nur spricht sich eine Mehrheit der Deutschen laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa für eine neue Wehrpflicht aus, laut Insa halten zudem 60 Prozent der Deutschen das Losverfahren der Union für falsch. Außerdem konnten sich die Bundestagsfraktionen von Union und SPD offenbar nicht auf den gemeinsamen Vorstoß einigen: Eine dahingehende Pressekonferenz wurde am Dienstag abgesagt – Pistorius wurde unter anderem vorgeworfen, den Gesetzgebungsprozess zu torpedieren (mehr dazu hier). Jetzt müssen sich die Fraktionen erneut einigen.

Die Bundeswehr umfasst derzeit etwa 183.000 aktive Soldaten. Um wehrfähig zu sein, müssten der NATO zufolge in den kommenden zehn Jahren 80.000 hinzukommen. Deutschland selbst will die Zahl bis 2031 um etwa 20.000 erhöhen – und vor allem ein verlässliches Kontingent an Freiwilligen aufbauen. Von 40.000 jährlich ist hier in Pistorius‘ Wehrdienstgesetz die Rede. Würden diese Ziele nicht erfüllt, könnten Teilverpflichtungen geltend gemacht werden.

Die Wehrpflicht und der Zivildienst sind seit 2011 pausiert, stehen aber weiterhin in Artikel 12a des Grundgesetzes. Dieser tritt wieder in Kraft, sollte es zum Spannungs- oder Verteidigungsfall kommen. Zuvor könnte die Wehrpflicht aber auch durch eine Mehrheit im Bundestag reaktiviert werden, zumindest für Männer. Und auch Frauen werden regelmäßig mit in die Debatte einbezogen – doch dafür bräuchte es eine Grundgesetzänderung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Pistorius jedenfalls glaubt, dass „sehr viele“ junge Menschen bereit seien, „dieses Leben in Deutschland zu verteidigen. Mir ist wichtig, dass wir unserer jungen Generation nicht nur einfach Pflichten aufbürden, sondern dass wir sie mit all ihren Fragen ernst nehmen“, erklärte der Verteidigungsminister der Bild am Sonntag. „Unsere westliche Gesellschaft hat seit fast 30 Jahren in dem Bewusstsein gelebt, es gebe keine militärische Bedrohung von außen. Fast so, als wäre die äußere Sicherheit eine Selbstverständlichkeit.“ Das habe sich mit dem Ukraine-Krieg geändert. „Jede und jeder sollte sich fragen, was er oder sie zur Sicherheit des Landes beitragen kann. Das muss ja nicht zwingend nur bei der Bundeswehr sein.“

wl

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