Werbung

Nach Ampel-Aus

Offene Mehrheiten im Bundestag – was das bedeutet

Mit dem Aus der Ampel will Bundeskanzler Scholz zusammen mit den Grünen zunächst eine Minderheitsregierung führen. Die Folge: Es gibt völlig offene Mehrheiten im Deutschen Bundestag – und auch eine mögliche Mitte-Rechts-Mehrheit gegen Rot-Grün.

Fünf Fraktionen sitzen derzeit im Deutschen Bundestag - die Mehrheitsfindung könnte jetzt spannend wie nie werden.

Werbung

Seit Mittwochabend ist mit der Entlassung von FDP-Finanzminister Christian Lindner die Ampel-Koalition gebrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz und das übrig gebliebene Kabinett aus SPD- und Grünen-Ministern sowie Volker Wissing, der sich am Donnerstag kurzerhand entschied, nicht die Koalition, sondern die FDP zu verlassen (Apollo News berichtete), haben somit ab jetzt keine Mehrheit im Bundestag hinter sich. Das bedeutet: Ab sofort, bis Scholz am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt haben will und dann fristgerecht im März Neuwahlen stattfinden, bei denen sich eine neue mehrheitsfähige Koalition bildet, gibt es in Deutschland erstmals wirklich offene Mehrheiten im Bundestag.

Ein Zustand, der historisch bisher auf Bundesebene einmalig ist. So gab es auf Bundesebene zwar bereits Regierungen, die ohne absolute Mehrheit agierten, die Zeitfenster, in denen eine solche Konstellation existierte, waren jedoch äußerst klein. Die Regierung unter Bundeskanzler Ludwig Erhard regierte im Oktober und November 1966 für 34 Tage ohne absolute Mehrheit, damals wie heute infolge des Rücktritts der FDP-Bundesminister aus dem Kabinett.

...
...

1982 gab es einen solchen Zustand dann ein zweites Mal: Die Regierung Schmidt agierte zwischen September und Oktober 1982 für wenige Tage ohne absolute Mehrheit – auch damals war dies die Folge der Entlassung der FDP-Minister aus dem Kabinett. In beiden Fällen folgte auf die Minderheitsregierung schnell die Bildung einer neuen Koalition – von einer längeren Zeit der offenen Mehrheiten kann also nicht die Rede sein. Scholz will nun diesen Zustand aber für mehr als zwei Monate, nicht nur für ein paar Tage beibehalten.

Die SPD und Grünen hoffen auf Unterstützung aus der Union, diese könnte aber zusammen mit FDP und AfD auch ganz andere Wege gehen. Wer sich wie, mit wem Mehrheiten für Gesetzesinitiativen beschafft, ist offener denn je. Was bedeutet das für die politische Realität in Deutschland?

Alles ist denkbar

Auf alle Fälle stehen den Fraktionen des Bundestages damit neue Wege offen. Die Zeiten, in denen sich die Koalition außerhalb des Plenums intern und kleinlaut auf neue Gesetze oder Gesetzesänderungen einigen konnte, sind mit dem Ende der Ampel zunächst bis zur Vertrauensfrage und Neuwahl vorbei. SPD und Grüne, die ohne die FDP auch ohne Mehrheit zunächst weiterregieren wollen, müssen jetzt für jedes Projekt und jedes Gesetz, das sie jetzt auf den Weg bringen wollen, um Mehrheiten im Bundestag buhlen. Etwas, das die Handlungsfähigkeit der Regierung zwar eindeutig beschränkt, für die demokratische Debatte allerdings einen großen Wert hat, denn nie mussten die Parteien mehr Kompromissbereitschaft aufweisen.

Lesen Sie auch:

Das ist der SPD und den Grünen nun auch geboten: SPD und Grüne wollen, wie Scholz am Mittwoch ankündigte, bis Weihnachten noch einige Gesetzesprojekte im Bundestag zur Abstimmung bringen, die dem Kanzler wichtig sind. Zudem steht Ende November die Abstimmung über den Haushalt 2025 an. Um hier Mehrheiten zu gewinnen, muss Scholz werben und politisch überzeugen – der politische Diskurs wandert damit weg von Koalitionshinterzimmern, mitten in den Bundestag und in die Öffentlichkeit.

Offene Mehrheiten im Bundestag haben aber noch eine weitere, bedeutendere Folge: Die Regierungskoalition aus SPD und Grünen kann jetzt Gesetzesinitiativen der Oppositionsparteien nicht mehr mit ihrer Mehrheit, die sie gemeinsam mit der FDP hatten, im Bundestag blockieren. Das Spielfeld ist offen: Die FDP ist nicht mehr an die Koalition gebunden, sondern plötzlich eine Kraft der Opposition, die ohne Folgen für die Koalition mit anderen Kräften zusammenarbeiten kann.

Das erweitert die Grenzen des Denkbaren im Bundestag massiv: Bürgerliche Kräfte der Union könnten jetzt etwa gemeinsam mit Stimmen der FDP und der AfD ebenfalls Gesetze auf den Weg bringen und beschließen. Verzichten Union und FDP auf die Brandmauer gegen die AfD, könnten sie mit einer Mitte-Rechts-Mehrheit bürgerliche Politik machen – auch ganz ohne Koalition. Die politische Weichenstellung in den derzeitigen Krisenzeiten in Deutschland könnte damit auch über die Köpfe der rot-grünen Regierung hinweg getroffen werden. Es könnte aufregend werden.

Werbung